In den Anfangsminuten von Game 5 fürchtete der TD Garden in Boston das nächste Deja-vu. Denn die Gäste aus der Hauptstadt starteten gut in den Abend und führten schnell mit 4:0 - das kannte man ja schon. Es hatte sich bis dato wie ein roter Faden durch die Serie gezogen, dass die Celtics einen frühen Run zulassen, um anschließend mal mehr und mal weniger erfolgreich einem hohen Rückstand hinterherzurennen.
Diesmal sollte es anders kommen. Head Coach Brad Stevens verzichtete auf eine Auszeit und vertraute seinen Jungs. Und diese zahlten das Vertrauen zurück: Angeführt von einem bärenstarken Avery Bradley forcierten sie Ballgewinn um Ballgewinn, die in schnelle Transition-Punkte umgemünzt wurden.
Ein Block von Al Horford gegen John Wall auf der einen Seite, ein Dunk von Bradley auf der anderen. Ein weiterer Block von Horford hier, ein Alley-Oop von Isaiah Thomas auf Amir Johnson da - die Menge war aus dem Häuschen und durfte mit ansehen, wie sich ihr Team in einen Rausch spielte. An dessen zwischenzeitigem Ende stand ein 16:0-Run und eine 12-Punkte-Führung, die das restliche Spiel über Bestand hatte.
Transition als Schlüssel zum Erfolg
15:0 stand es bei den Fastbreak-Punkten nach zwölf Minuten, was die Spiele 3 und 4 in dieser Hinsicht kontrastierte. Mit 25:12 (Spiel 4) und 14:6 (Spiel 3) Transition-Punkten hatten die Wizards ihre beiden Heimsiege dominiert.
Was war diesmal anders? "Wir haben uns vorgenommen, den Ball nur noch zu unseren eigenen Leuten zu passen. Das ist alles", analysierte Stevens salopp. Die Zahlen gaben ihm Recht: Seinem Team gelang es, durch einen disziplinierten Umgang mit dem Spalding die Anzahl der Ballverluste von 20 aus Spiel 4 auf 11 zu reduzieren.
Washington (12 TO) zeigte zwar auch kein Turnover-Festival, beging aber einen anderen Fehler: Obwohl sich früh anbahnte, dass von Downtown an diesem Abend nicht viel gehen würde (24 Prozent 3FG), nahmen Otto Porter, Bradley Beal und Co. immer wieder den Eckendreier, der mal frei und mal "contested" war.
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Fällt diese Art und Wurf nicht rein, sondern prallt im schlimmsten Fall von der vorderen Ringseite ab, ist das Feld für Gegenangriffe enorm offen, da der Eckenschütze schon beim Rebound deutlich hinter dem Ball ist.
Macht der Gegner das Spiel nun schnell, wie es bei Bostons Top-Reboundern Jae Crowder oder Marcus Smart (!) der Fall war, gibt es für den Schützen keine Ausreden mehr - er muss die Beine in die Hand nehmen. Was er sehr oft nur halbherzig tat. "Wenn nur einer nicht schnell genug zurückkommt, bringt er die anderen vier in eine schwierige Situation", äußerte Head Coach Scott Brooks nach dem Spiel Kritik, ohne einen bestimmten Spieler anzusprechen.
Thomas als "Big Man"
Im Halbfeldspiel der Celtics war derweil zu beobachten, wie Bostons Liebling Isaiah Thomas in eine ungewohnte Rolle schlüpfte. Wie schon bei den Duellen in der Hauptstadt gönnte ihm die Wizards-Defense keinen Raum, doppelte seine Pick-and-Rolls, jagte ihn ohne Gnade und sehr physisch um die Screens. Doch IT4 hatte dazugelernt: Anstatt irgendetwas zu erzwingen, verrichtete er seine Arbeit besonders in der ersten Halbzeit abseits des Balles. "Man muss das annehmen, was die Defense anbietet - deshalb habe ich den anderen Leuten Platz verschafft", erklärte er auf der Pressekonferenz nach dem Spiel sein Vorgehen.
Deshalb setzte der 1,75-Meter-Mann selber Screens, was das Zeug hielt, oder marschierte die Grundlinie entlang, um seinen Verteidiger auf Trab und weg vom Geschehen zu halten. In einer Sequenz hielt er Ballführer Horford zwei Verteidiger vom Leib, sodass dieser seelenruhig einen Dreier verwandeln konnte. Einer von den Spielern, der nicht an IT vorbeikam, hieß Marcin Gortat, der bekanntlich 2,11 Meter groß ist.
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Und es wurde noch besser: Kurze Zeit später kamen die Celtics mit einem kuriosen Pick-and-Roll zum Erfolg. Kurios deshalb, weil Horford der Ballführer war und Thomas der Blocksteller. Das "vertauschte" Duo entschied sich für eine Pick-and-Pop-Variante, an dessen Ende die Wizards-Defense nicht um einen Switch herum kam und Horford lässig über Bradley Beal am Brett abschloss.
Im Gespräch nach dem Spiel wurde Coach Scott Brooks gefragt, ob er und sein Team auf Thomas als blockstellenden Big Man eingestellt waren. Als Antwort gab es nur resigniertes Auflachen.
Bradley dreht auf
Thomas selber hatte zur Halbzeit erst einen Treffer aus dem Feld auf dem Konto, wobei er nur viermal abgedrückt hatte. Dass sein Team zum Pausentee trotzdem deutlich führte, lag besonders an Bradley.
Der als Defensiv-Spezialist bekannte Flügelspieler generierte aus seiner gewohnt starken Defense gegen Wall jede Menge offensive Energie und Selbstvertrauen. Im Fastbreak war er stets der erste Spieler vorne, wofür er sich mit einfachen Dunks belohnte. Auch vor Transition-Dreiern schreckte er nicht zurück, die er mit Steph'scher Sicherheit im Korb unterbrachte.
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Viele fühlte sich an Spiel 3 aus der Erstrundenserie gegen die Bulls erinnert, als sein Team mit 0-2 hinten lag und er plötzlich den Schalter umlegte. Er hatte beim Blowout in Chicago, der den Anfang der 180-Grad-Wendung der Serie einläutete, nicht nur Jimmy Butler kaltgestellt, sondern auch vorne seine Würfe versenkt.
Das war ihm in Spiel 3 und 4 gegen Washington nicht gelungen, in denen er zusammengerechnet gerade einmal 12 Punkte erzielte und 5/17 aus dem Feld traf. Es liegt also die Vermutung nah, dass Bradley da ist, wenn es drauf ankommt. Oder? "Ja, natürlich. Denn das gehört dazu, wenn man ein Anführer sein will", erklärte er.
Physisch=siegreich?
Seine Teamkollegen waren von der Leistung Bradleys indes wenig überrascht. "Avery hat gespielt, wie man es von ihm erwartet in den Playoffs. Ich habe ihm vor dem Spiel gesagt, dass ich ihm alles zutraue und er ein großes Spiel machen wird", stellte Thomas klar und fügte direkt an: "Wir alle wissen, dass er der beste On-Ball-Verteidiger der Liga ist."
Die Wizards stehen bei der Rückkehr nach Washington also mit dem Rücken zur Wand: In 82 Prozent der Fälle kommt in einer Serie, die 2-2 ausgeglichen steht, das erfolgreiche Team aus Spiel 5 weiter. Das wissen natürlich auch Wall und Co., denen ihre Heimstärke jedoch in die Karten spielen dürfte. In der laufenden Postseason haben sie im Verizon Center noch nie verloren.
Der All-Star weiß auch, worauf es ankommt: "Sie waren heute das physischere Team. Und es zieht sich schon durch die ganze Serie, dass das der Schlüssel zum Sieg ist." Ob sie wohl eine Antwort auf den neuen, physischen Celtics-Big-Man haben?