Auf los geht's los

SID
Clemens Tönnies steht zunehmend in der Kritik
© getty

Schalke ist wieder da angekommen, wo es üblicherweise steht - in der "Twilight Zone" zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Tradition und Kommerz, zwischen Demokratie und Diktatur des Mammons. Aber wie sieht es an den entscheidenden Schnittstellen eigentlich wirklich aus? Eine Abrechnung.

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Die Situation lässt sich mit vier einfachen Adjektiven zusammenfassen:

  • lustlos
  • hilflos
  • machtlos
  • ahnungslos

Die "Mannschaft" - lustlos

Von einer Mannschaft mag man angesichts des Haufens, der sich in der Rückrunde meist auf dem Platz tummelte, eigentlich kaum sprechen. Der suspendierte Kevin-Prince Boateng diktierte jüngst der Springer-Journaille ein Kabinengespräch in den Block, nach dem er ziemlich präzise darauf hingewiesen haben soll, dass es doch auf Schalke gar keine Mannschaft gäbe, sondern dass die wenigen Tore, die man in der Rückrunde erziehlt hat, ausschließlich auf die individuelle Klasse zurückzuführen seien.

Und wenn man die Spiele alle gesehen hat, dann muss man dem Twitterprinzen leidlich zustimmen, denn von einer geschlossenen Mannschaftsleistung ist der S04 in dieser Saison so weit entfernt gewesen wie von einem Champions League-Platz. Also WEIT.

Die Ursachenforschung treibt den geneigten Analytiker schnell dorthin, wo es richtig wehtut, nämlich an das Selbstverständnis der Profis. Mich zumindest hat oft genug der Eindruck beschlichen, als hätten die Spieler des ruhmreichen FC Schalke 04 überhaupt nicht begriffen, dass sie nur als Team erfolgreich sein können. Da kochte jeder nur sein eigenes Süppchen, da waren überhaupt keine Automatismen zu erkennen.

Vor allem aber fehlte mir das Engagement jedes einzelnen Spielers, an der miserablen spielerischen Situation überhaupt etwas ändern zu wollen! Bedarf es in so einem Fall wirklich eines Impulses von "draußen", also vom Trainer, vom Manager oder Tönnies, damit die Spieler verstehen, dass sie ohne funktionierende Mannschaft ein Spiel schlichtweg nicht gewinnen können?

Führungsspieler? Fehlanzeige!

So richtig Bock auf eine Änderung des eigenen Verhaltens hatte jedenfalls in dieser Saison keiner der Spieler. Im Gegenteil - viele Spieler waren scheinbar ganz froh darüber, die Verantwortung für schlechte Leistungen auf andere abschieben zu können. Es entstand insgesamt nicht der Eindruck, als seien die Spieler besonders erpicht darauf, für das gute Geld, das sie erhalten, eine ansprechende Leistung abzuliefern. Von daheraus (um's mal mit dem guten, alten Huub Stevens zu sagen) bleibt nur der Schluss, dass die Mannschaft schlichtweg lustlos agiert hat.

Nun kann man natürlich trefflich darüber streiten, ob es der Mannschaft anheim gestellt bleiben sollte, die eigene Situation kritisch zu beleuchten oder ob diese Aufgabe ausschließlich bei den Vereinsverantwortlichen liegen sollte. "Mannschaften" im eigentlichen Sinne haben meist die Eigenschaft, dass die Führungsspieler diese Rolle moderierend übernehmen.

Im Schalker Kader standen und stehen genug erfahrene Profis, die diese Aufgabe hätten übernehmen können - doch weder Höwedes noch Huntelaar, Fährmann oder der mittlerweile suspendierte Boateng haben es vermocht, innerhalb des Spielerkaders für einen Teamspirit zu sorgen, der diesen Namen verdient. In einem solchen Fall obliegt es aber üblicherweise dem Übungsleiter, dafür zu sorgen, dass das hinhaut. Richten wir unser Augenmerk also als nächstes dorthin...

Der Trainer - hilflos

Lustige Geschichte. Bei Roberto di Matteos erster Pressekonferenz hatte ich mich doch spontan verhört. Statt "es gibt nur einen Boss" hatte ich verstanden "es gibt nur einen Bus", in dem alle Spieler beispielsweise gleichberechtigt nebeneinander sitzen könnten. Ein anderes Zitat das mir im Gedächtnis geblieben ist: "Ich bin ein Coach". Nach einem mittlerweile mehr als halben Jahr bleibt nur zu konstatieren, dass der mit vielen Vorschusslorbeeren gestartete Coach sein Pulver verschossen hat, und dass die Trennung deshalb auch mehr oder weniger vorhersehbar war.

Das Defensivbollwerk in der 90er-Jahre-5-3-2-Taktik hatte sich ruckzuck überholt, nachdem sich auch die spielerisch schwächeren Mannschaften problemlos darauf eingestellt hatten - folglich schwand nicht nur das Überraschungsmoment, sondern auch die Akzeptanz der anfangs noch geduldigen Fans, die die torarme Mauertaktik zunächst unter dem Schlagwort "notwendiges Übel" abgelegt hatten.

Leicht zu führen? Bitte?

Ein müdes Lächeln gibt's für den Kommentar von di Matteo, die Mannschaft sei insgesamt leicht zu führen. Man fragt sich ob solcher Zitate allerdings, welche Mannschaft der Italo-Schweizer im letzten halben Jahr betreut hat, oder welche bewusstseinserweiterten Mittelchen nötig sein mögen, um zu dieser Einschätzung zu kommen.

Angesichts der vielen Disziplinlosigkeiten und Extrawürste, die die Schalker Spieler sich nebenher so geleistet haben, und von denen wahrscheinlich nur ein Bruchteil überhaupt jemals an die Öffentlichkeit gekommen sein mögen, bleibt ein fader Beigeschmack, wenn man die Leistung von di Matteo als Trainer beurteilen soll - er hat den Mittelweg zwischen "hartem Hund" und "langer Leine" jedenfalls nicht gefunden.

Doch anstatt die offenkundigen Missstände offen zu kommunizieren und zur Not auch einmal die Öffentlichkeit in Anspruch zu nehmen, hat di Matteo nach außen hin immer die Wagenburg geschlossen, sich nie zum emotionalen oder psychischen Zustand der Mannschaft geäußert oder in die sprichwörtlichen Karten schauen lassen. Im Nachhinein erscheint di Matteo ob des völlig zerklüfteten Kaders, der Grüppchenbildung und des fehlenden Mannschaftsgeistes mit der Aufgabe schlichtweg überfordert - und damit erfüllt er das Attribut, das ich ihm in der Überschrift zugewiesen habe zu einhundert Prozent: hilflos.

Dass sich der Verein nun von ihm getrennt hat, entspricht nicht nur den üblicherweise hier zitierten "Mechanismen des Geschäfts". Di Matteo hat auch den Ansprüchen nicht genügt, denen sich Trainer auf Schalke unterwerfen. Es sind vielleicht die höchsten in der Bundesliga neben Bayern München, aber nicht im Hinblick auf die spielerische Entwicklung einer Mannschaft, sondern viel eher in Bezug auf die Erwartungen des Umfelds.

Seite 1: Eine lustlose Mannschaft und ein hilfloser Trainer

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