Grausames Spektakel

Von Maximilian Schmeckel
Die Bilder von Julito gingen um die Welt
© getty

Streng genommen ist Stierkampf nicht einmal ein Sport. Er ist eine ungleiche Show, die als Erbe der römischen Gladiatoren-Kämpfe gilt und jährlich alleine in Spanien 40.000 Stiere das Leben kostet. Das Lager der Gegner wird immer größer, der Ruf nach einem landesweiten Verbot lauter. Dieses erscheint aber utopisch, schließlich ist die "Corrida" fest verankert in der spanischen Tradition - und hat selbst den Ministerpräsidenten zum Fan.

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Die Stimmung in Las Ventas, der Madrider Stierkampf-Arena, genannt "Kathedrale", ist elektrisierend. Fast 20.000 Menschen starren gebannt auf das Treiben unten im Zentrum des sandbedeckten Runds. Es ist alles wie immer: Rioja wird getrunken, um die in der Mai-Luft trocken gewordenen Kehlen anzufeuchten, Eltern reichen ihren Kindern Oliven und immer wieder schallen Sprechchöre durch die altehrwürdige Arena, um dem Helden in den engen Hosen und dem mit Brokat besetzten Hemd zu huldigen.

Julio Aparicio Diaz, genannt Julito, ist ein Superstar. Er verdient Millionen, ist landesweit bekannt, gilt als einer der besten und elegantesten Matadoren der Welt. In der "Kathedrale" im Mai 2010 steht er ganz aufrecht da, Stolz steht ihm ins Gesicht geschrieben, das Hemd sitzt tadellos, die mit Pomade in Form gebrachten Haare ebenso.

Plötzlich, ohne Vorwarnung, rutscht Julitos rechtes Standbein im Sand weg, er will aufstehen, schafft es nicht und der 600-Kilo-Stier "Opiparo" setzt nach. Er erwischt seinen Peiniger am Kinn und sein rechtes Horn durchbohrt Unterkiefer und Zunge mühelos. Blutig tritt es aus dem geöffneten Mund des Matadors wieder aus.

Milliardengeschäft Stierkampf

Julito überlebt die Attacke schwer verletzt, aufstehen kann er sogar unmittelbar danach, am nächsten Tag ziert sein Bild weltweit die Zeitungen. Ein Bild, das die Gefahr und Absurdität des Stierkampfes skizziert und die Debatte um die Legitimation des ungleichen Duells zwischen Mensch und Tier neu angefacht hat.

Im 21. Jahrhundert wird im Supermarkt penibel darauf geachtet, die Eier aus der Freilandhaltung zu kaufen, Pelzträger werden angefeindet und seit Jahren ist das Schächten nach jüdischer Tradition Gegenstand juristischen Diskurses. Der Stierkampf aber geht weiter seinem blutigen Wirken nach - und bleibt in Spanien ein Milliardengeschäft.

Sport oder nicht?

Im Vorfeld dieses Artikels stellte sich die Frage, ob der Stierkampf auf einer Sportseite überhaupt etwas zu suchen habe oder ob er nicht besser im Panorama-Teil der hiesigen Medienlandschaft aufgehoben wäre. In Spanien tauchen Berichte gar im Kultur-Teil auf.

"Nach bestimmten Regeln [im Wettkampf] aus Freude an Bewegung und Spiel, zur körperlichen Ertüchtigung ausgeübte körperliche Betätigung", beschreibt der Duden den Begriff Sport. Und nach dieser Definition fällt der Stierkampf darunter.

Denn "bestimmte Regeln" hat die "Corrida de Toros". Sie ist in drei Drittel, genannt Tercias, aufgegliedert. Im ersten nimmt es der Matador mit dem Stier auf, antizipiert dessen Attacken und leitet ihn durch Bewegungen seines meist gelb-roten Tuches, der muleta, in die von ihm gewünschte Richtung. Bereits in diesem ersten Teil wird der Stier von berittenen picadores mit Lanzen verletzt, um ihn zu schwächen und seine Kopfbewegungen einzuschränken, damit ihn der Torero später besser töten kann.

Im zweiten Tercia haben die banderilleros ihren Auftritt. Die meist breite Hüte tragenden Männer nehmen es mit dem Stier ohne die muleta auf. Im richtigen Moment lenken sie die Attacke des Stiers durch das gezielte Bohren ihrer langen bunten Spieße (banderillas) in die Muskeln zwischen den Schulterblättern in eine andere Richtung und bringen sich anschließend in Sicherheit. Sie gehören zum Team des Matadors und arbeiten diesem für das große Finale zu.

Im letzten Teil des Kampfes, der etwa acht Minuten dauert, tötet der Matador, nun mit Degen und purpurrotem Tuch ausgestattet, das geschwächte Tier und die Menge entscheidet, ob es zur "Ehrerweisung" noch einmal im Kreis durch die Arena geschleift wird.

"Grausame Bestialität"

Was hier nüchtern beschrieben wird, gilt bei Gegnern als bestialische Quälerei. Schließlich wird der Stier so lange verletzt und verstümmelt, bis er niedersinkt. Und selbst dann wird er weiter gereizt, damit er sich zu einer letzten Attacke schleppt. Das Tier hat keine Chance und wenn es dann doch einmal den Torero verletzen kann, dann wird es entweder sofort getötet oder eben vom nächsten Matador.

"Grausamkeit, Bestialität zum Spektakel zu erheben, sich daran zu ergötzen, Leiden zuzufügen und zu töten - das ist pervers und zutiefst schockierend", sagt etwa die französische Schauspielerin Brigitte Bardot. Die Brutalität, die die Menschen mit lachenden Gesichtern und lauten "Ole"-Rufen betrachten und anschließend nach Hause gehen wie nach dem Besuch eines Fußballspiels, hat etwas von den Arenen im alten Rom.

In Katalonien verboten

Das Lager der Gegner besteht längst nicht mehr nur aus einigen Tierschützern wie in den Siebzigern, sondern ist inzwischen die Mehrheit. Nachdem die Linkspartei bei den Kommunalwahlen im Mai dieses Jahres triumphierte, verboten einige Bürgermeister den Kampf in ihren Territorien. In Katalonien und auf den Kanarischen Inseln ist er schon länger komplett untersagt.

Madrids linke Bürgermeisterin Manuela Carmena verzichtet auf den ihr zugedachten Platz auf der Ehrentribüne im Las Ventas. Demonstrationen gegen die Tierquälerei sind an der Tagesordnung.

Utopie des Abschaffens

Und dennoch: Obwohl sich die Zuschauerzahlen in den letzten Jahren halbiert haben und nur noch 18 Prozent der bis 25-Jährigen grundsätzliches Interesse am Stierkampf mitbringen, ist ein flächendeckendes Verbot oder eine ganzheitliche moralische Verurteilung in Spanien Utopie.

Denn es gibt weiterhin tausende Befürworter, darunter einige der bekanntesten Gesichter des Landes wie Ministerpräsident Mariano Rajoy, Real Madrids Kapitän Sergio Ramos oder die selbst von Barca-Fans verehrte Real-Legende Raul. Sie folgen prominenten Vorbildern wie Schriftsteller Ernest Hemingway oder Künstler Pablo Picasso.

Ministerpräsident als Fan

Rajoy unternimmt gar Schritte gegen das Sterben der Branche. 2013 wwird der Stierkampf zum nationalen "immateriellen Kulturgut" erklärt. Zuvor hatten Spanier 600.000 Unterschriften gesammelt. Es gibt inzwischen einen Plan zur "Förderung" des Stierkampfes, der höchst umstritten ist und etwa vorsieht, an Schulen zu lehren, dass er keine Barbarei sei, sondern zur spanischen Kultur gehöre.

Geplant ist zudem, den Stierkampf wie zum Beispiel den argentinischen Tango zum UNESCO-Weltkulturgut zu ernennen. Seit 2012 werden Kämpfe wieder live im spanischen Fernsehen übertragen, was die Sozialisten zuvor verboten hatten, 2014 blieben die Zuschauer-Zahlen erstmals seit fünf Jahren stabil. Ein rasender Niedergang ist also keineswegs zu erkennen, vielmehr ein grundsätzliches Ringen um das Verständnis nationaler DNA.

Die Befürworter haben mehr Argumente als nur traditionsbasierte. Sie stützen sich auf die kriselnde spanische Wirtschaft, die der Stierkampf mit 40.000 Arbeitsplätzen und 1,5 Milliarden Euro Umsatz im Jahr ankurbelt. Sie stützen sich auf das Argument, den Tieren gehe es bis zu ihrem Tod weit besser als den hunderttausenden in den Mast-Betrieben, schließlich lebten sie auf grünen Wiesen und bekämen nur bestes Futter.

Fragwürdige Kunst-Argumentation

Und, natürlich, stützen sie sich auf das Kunst-Argument. "Ich bedaure, dass es Menschen gibt, die ein verachtendes Bild von der Corrida haben. Diese Menschen kennen sich mit unserer Kunst nicht aus. Sie lehnen den Stierkampf aus Unkenntnis ab", sagte etwa Juan Jose Padilla dem Spiegel. Padilla hatte bei einem Kampf ein Auge verloren, dennoch kämpft er weiter und bezeichnet die "Corridas" als "Tanz zwischen Tier und Torero", den Stier als "Mitstreiter", der am "Triumph des Toreros vollen Anteil hat".

Padilla ist vollständig annektiert von der Branche, die ihn groß gemacht hat und sagt schwachsinnige Sätze wie: "Der Stier kommt, um dich zu fassen. Dafür ist er da. Das ist seine Natur." Von Natur aus bösartig ist dieser schließlich selbstverständlich nicht, sondern erst dann, wenn man ihn mit allen Mitteln dazu bringt.

Es ist bemerkenswert, dass die meist aus dem Süden Spaniens stammenden Matadoren ihr Handwerk mit keiner Faser hinterfragen, obwohl es sie fast getötet hat. "Es ist Kunst. Dafür wäre ich bereit zu sterben", sagt etwa der derzeit berühmteste Torero Jose Tomas. Auch er wurde bereits lebensgefährlich verletzt - und wird als Gott verehrt. In Sevilla ist er bekannter als die die Spieler des FC Sevilla.

Die wahre Tragik

Und genau dieses Gottsein ist der Kern des Problems. Die bereits als Kinder in Eliteschulen ausgebildeten Matadoren haben den Status römischer Gladiatoren. Sie sind moderne Helden, deren elegante Bewegungen Kinder auf den Straßen Andalusiens nachahmen. Dabei töten die "Götter" Lebewesen in einem ungleichen Duell, das einzig den Tod an sich zum Sujet hat.

Es ist Blödsinn, Traditionen anderer Länder, sich auf die Moral-Vorstellungen im eigenen Land stützend, zu attackieren, ohne sich umfassend mit Gründen und Geschichte dieser Traditionen beschäftigt zu haben. Das von den USA gerne angewandte Pressen der nach eigenem Verständnis von Sachverhalten kreierten Schablone auf externe Länder oder Kulturen ist nicht nur arrogant und anmaßend, sondern auch schlichtweg dumm.

Im Fall des Stierkampfes aber ist die Kritik aus dem Ausland keinesfalls eine solche Schablone, denn auch von innen heraus mehrt sich der Widerstand gegen die nach Jahrhunderten ohne das Hinterfragen starr gewordenen Strukturen eigenen Kultur-Verständnisses. Man hinterfragt einen Vorgang, der egal, ob man ihn nun Sport nennen mag oder nicht, auch dann einfach nur grausam ist, wenn man die Fremdheit und Andersartigkeit der Kultur akzeptiert.

Denn in Szenen wie der, die zur lebensgefährlichen Verletzung Julitos geführt hat, ist das Tragische nicht die Fragilität des Menschseins, sondern vielmehr, dass das andere Lebewesen in der Arena durch menschliches Einwirken überhaupt dazu gebracht wurde, jene Fragilität aufzuzeigen.

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