Unverhofft kommt oft

Von 90PLUS
N'Golo Kante (r.) überzeugt bei Leicester City bislang
© getty

Das Überraschungsteam Leicester City dominiert in England derzeit die Sportmedienlandschaft. Vor allem Jamie Vardy inklusive seines Torrekords und die spektakulären Leistungen von Riyad Mahrez werden gefeiert. Von N'Golo Kante redet derweil jedoch kaum jemand - dabei ist der "box-to-box" Mittelfeldspieler der heimliche und unerwartete Held der Foxes.

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Der Werdegang von N'Golo Kante ist mit einem Wort zu beschreiben: unspektakulär. Nachdem der gebürtige Pariser mit malischen Wurzeln bei einem unterklassigen Verein aus Suresnes das Kicken lernte, wechselte er mit 19 in das Reserveteam des Zweitligisten US Boulogne.

Nach seinem späten Profidebüt im Mai 2012 wurde Kantein der dritten französischen Liga zum Stammspieler und wechselte 2013 schließlich zum Zweitligisten SM Caen. Dort spielte er sich direkt in die erste Elf und war maßgeblich am Aufstieg 2014 beteiligt.

In der folgenden Saison, seiner ersten im französischen Oberhaus, drängte sich der defensive Mittelfeldspieler dann allerdings in den Fokus einiger internationaler Teams und sorgte für einiges Aufsehen: Von allen Spielern der fünf europäischen Top-Ligen fing der Spätzünder 2014/2015 die meisten Bälle ab und beging obendrein die meisten Tacklings!

Abgang des Altmeisters

In Leicester hinterließ der Abgang von Esteban Cambiasso derweil eine Lücke. Der Argentinier war eine wichtige Präsenz auf dem Platz und machte sich durch seine Erfahrung und Routine nahezu unverzichtbar, doch auch Leicesters Spieler des Jahres musste dem Alter Tribut zollen.

Auch wenn es an Majestätsbeleidigung grenzte, Cambiasso machte durch seine altersbedingte Passivität das Spiel langsam und hatte immer wieder Probleme mit dem Tempo. Als es den Routinier nach Griechenland zog, brauchte Coach Ranieri somit einen Nachfolger für das zentrale Mittelfeld.

Der neue Trainer, erst einige Tage bei Leicester im Amt, zeigte sich jedoch nur wenig begeistert als Co-Trainer und Leiter der Rekrutierung Steve Walsh von einem gewissen N'Golo Kante berichtete. Klar, seine Highlights in der Ligue1 konnten sich sehen lassen, das Energiebündel fiel konstant durch Leidenschaft, Willen und starkes Passspiel auf. Doch seine fragilen 1,69 Meter seien den physischen Anforderungen der Premier League nicht gewachsen, so der Italiener.

Eigentlich wollte Ranieri ohnehin Jordan Veretout vom FC Nantes verpflichten. Und eigentlich wollte Kante auch nach Marseille. Am Ende kam es jedoch ganz anders: Olympique verpflichtete Lassana Diarra (auch weil sich Caen quer stellte) und Veretout ging zu Aston Villa. Somit entschied sich Leicester alsodoch für Kante und Kante für Leicester. Ein typisches Transfer-Wirrwarr also, das ungeahnte Früchte tragen sollte.

Rasanter Aufstieg

Auch wenn Kante alles andere als ein Schnäppchen war (8 Millionen Euro Ablöse), erwarteten nicht viele, dass er sich so schnell und eindeutig im Konkurrenzkampf mit Gökhan Inler durchsetzen würde. Die Verpflichtung von Inler, der unter anderem bei Schalke auf dem Zettel stand, hatte nämlich für deutlich mehr Aufsehen als die Kantes gesorgt.

Bereits nach wenigen Spielen wurde den Zuschauern, aber vor allem Claudio Ranieri, klar, was Steve Walsh in dem 24-jährigen Mittelfeldmotor sah. Kante stellte seine Gegner in Windeseile zu, demonstrierte dabei einen außergewöhnlichen Antritt und enormes taktisches Bewusstsein. Die meisten abgefangenen Bälle in ganz Europa 2014/2015 waren kein Zufall, auch diese Saison führt Kante die Premier League in dieser Kategorie deutlich an.

Seine aggressive Spielweise spiegelt sich auch in der folgenden Statistik wieder: Kante führte die fünfmeisten Tacklings der Liga aus und erhielt dabei nur zwei Gelbe Karten.

Offensivstarker Hautausschlag

"The Rash"(=Hautausschlag), wie ihn Kollege Danny Drinkwater aufgrund seiner aggressiven Hartnäckigkeit liebevoll nennt, ist jedoch nicht nur ein reiner Zerstörer: Sein Spiel ist vielfältiger und auch offensiv mehr als rudimentär.

Sobald er den Ball erobert, kommen sein hoher Fußballverstand und seine Spielintelligenz zum Vorschein. Entweder treibt Kante mit seinem starken Antritt den Ball selbst in das gegnerische Drittel oder er leitet durch seine klugen Pässe (Passquote 82,1 Prozent - vereinsinterne Bestmarke) das exzellente Umschaltspiel der Foxes ein. So oder so, N'Golo Kante ist meistens der Initiator der Angriffe und die treibende Kraft aus dem Mittelfeld.

Der Held, den keiner kan(n)té

Mittlerweile stört sich kein Mensch mehr an der fragilen und jugendlichen Erscheinung Kantes - auch wenn er auf dem Trainingsgelände erst kürzlich gefragt wurde, ob er dort auf seine Eltern warte.

Während Mahrez und Vardy weiter Schlagzeilen machen und Rekorde brechen, wird N'Golo Kante mit jeder Minute unverzichtbarer und zum eigentlichen Schlüsselspieler des überraschenden Tabellenführers. Nach nur einer Saison in einer ersten Liga, ist er zweifellos einer der besten Neuzugänge der Premier League. Und selbst ein Claudio Ranieri, der seit knapp 30 Jahren als Trainer arbeitet, musste seinem Assistenz-Trainer Walsh gestehen: "Steve, höre nie wieder auf mich! Ich habe keine Ahnung wovon ich rede!"

N'Golo Kanté im Steckbrief