Symptom einer größeren Krankheit

Von Shoto
Dieses Plakat wurde von Fans des Karlsruher SC am 9. März 2015 im Stadion gezeigt
© getty

Als am Montag im DFB-Pokalspiel zwischen dem VfL Osnabrück und RB Leipzig der Schiedsrichter in der 71. Minute von einem Feuerzeug getroffen wurde, dann war das nicht die Tat eines einzelnen Chaoten im Osnabrücker Block oder eine Verkettung von unglücklichen Ereignissen, sondern die Konsequenz einer nationalen aggressiven Grundstimmung gegenüber den Leipzigern. Eine Stimmung, die nicht nur gefährlich werden kann, sondern in vielen Fällen inkonsequent ist und die Entwicklungen im Fußball ignoriert.

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Es war ein einzelner Chaot. Einer, der aus der ansonsten friedlich homogenen Masse ausbrechen konnte. Ein Fan, aber einer in Anführungszeichen. Und schon gar keiner, der repräsentativ für einen ganzen Verein stehen kann. Keiner von "uns", sondern einer von "denen". Denen, die schon im Spiel gegen Preußen Münster randalierten. Oder nach einem Spiel gegen Fortuna Köln einen Fanbus mit Eimern bewarfen.

Einzelfälle, man kennt sie, distanziert sich von ihnen. Sowas kommt schließlich in den besten Vereinen vor. Und überhaupt: Etwas gegen sie unternehmen kann man ja ohnehin nicht. Man muss sie halt hinnehmen und sich darum bemühen, dass das Kollektiv größer, stärker und vor allem intelligenter ist. Und so wird auch am zweiten Tag nach dem Spielabbruch der Erstrundenpartie im DFB-Pokal zwischen dem VfL Osnabrück und RB Leipzig in Osnabrück vor allem eines: Relativiert.

Bemühung um Schadensbegrenzung

Man bemüht sich um Schadensbegrenzung, versucht das beschmutzte Image zumindest teilweise zu reinigen. Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände, ein möglicher Ausgang unter Tausenden. Hätte man nicht so früh ein Tor geschossen, hätte man nicht die eigenen Fans so früh in Ekstase versetzt, wäre das Fangnetz nicht beschädigt worden, wäre Davie Selke nie nach Leipzig gewechselt, wäre RB Leipzig nur ein richtiger Traditionsverein, usw. usf.

Durchatmen und darauf hoffen, dass die DFB Juristen den Fall so bewerten, dass ein Nachholspiel irgendwo möglich gemacht werden kann.

Allein: Es war kein Einzelner. Es war nicht die Tat eines Chaoten. Sondern die logische Konsequenz einer mit aggressiv geladenen Neutronen angereicherten Handlungskette. Oder vielleicht treffender: Einer Pyramide mit verschiedenen Betrachtungsebenen.

Zugute halten möchte ich jedoch der VfL Führung um Jürgen Wehlend und Hermann Queckenstedt an dieser Stelle, dass eben jene Aussage auf der heutigen Pressekonferenz präzisiert wurde: So spricht man vom Einzeltäter nur mit Bezug auf den Feuerzugwerfer; dass weitere Gegenstände in den Innenraum geworfen wurden, weiß und verurteilt man aufs Schärfste.

"Tradition vs. Geld"

Aber auch etwas unterhalb der Ebene, die sich vom Geschehnis im Stadion löst, jedoch den regionalen Zusammenhang betrachtet, kann und darf man in meinen Augen nicht von einer Einzeltat sprechen. Und ja, ich bin ernsthaft genervt von der Berichterstattung gerade in der Neuen Osnabrücker Zeitung, die weiterhin den Geist des "einzelnen Chaoten" heraufbeschwört.

Es ist sicherlich kein singuläres Problem, das nur die NOZ betrifft, wenn sie im Vorfeld der Partie nur zu gerne auf den Faustkampf "Tradition" vs. "Geld" hinweist. Den wackeren Versuch eines Underdogs, diese zusammengekaufte Jahrhundertelf bezwingen zu wollen. Die Teutonen, diese Götter aus dem Osten Deutschlands.

Es ist ein ambitionierter und irgendwo auch legitimer Ansatz, über dieses martialische Bild ein "Wir"-Gefühl projizieren zu wollen. Einen regionalen Zusammenhalt herbeizurufen. Diese Kräfte zu kanalisieren, um am Ende siegreich aus der Schlacht hervorzutreten. Nur sollte man sich bei diesen Bemühungen über die negativen Konsequenzen stets im Klaren sein.

Ersatzspieler Hohnstedt im Fokus

Begeisterung kann in überschwänglichen Momenten, gerade gegen diesen Gegner, auch in Fanatismus umschlagen, und "den Einzelnen" Dinge tun lassen, die er abseits dieser Stimmung vielleicht nicht getan hätte. Dann im Nachgang die Legende des Chaoten zeichnen zu wollen, zu relativieren und sich fast schon ironisch über den "Fluchtversuch" der Leipziger zu äußern (eine Maßnahme, die offensichtlich von der Osnabrücker Polizei angestoßen wurde), während man die Aktionen von Michael Hohnstedt erst dann anspricht, nachdem sie überregional kritisiert wurde, ist nicht nur naiv, sondern schon anmaßend frech.

Verdammt noch mal: Redet diese Scheiße nicht klein! Schiebt sie nicht einem Einzelnen zu, verweigert euch nicht eurer Verantwortung und setzt im Nebensatz nicht weitere Nadelstiche in Richtung Leipzig, die bei einer möglichen nächsten Partie wieder für eine aufgeheizte Stimmung sorgen wird. Entschuldigt bitte diese Polemik.

Aber bei allen Vorwürfen, die ich der NOZ nur zu gerne mache: Natürlich sind sie kein - Achtung - Einzelfall. Sie sind eben nur die Osnabrücker Verkörperung der aggressiven Grundstimmung gegen RB Leipzig. Ein Symptom, ja, aber nicht die Krankheit. Diese verdammten Leipziger, dieser in Marketingsitzungen geborene Antichrist.

RB Leipzig - alles nur PR?

Diese kühl berechnende Plastik-Kopie eines richtigen Fußballvereins. Es ist eine weitere Absurdität rund um die Geschehnisse am Montag, die einer gewissen Komik nicht entbehrt. Denn komisch ist es, wenn keine 24 Stunden nach einem Spiel, das durch einen Ausbruch von Dummheit beendet werden musste, exakt die gleiche Stimmung wieder aufgebaut wird, die überhaupt zu jenem Ereignis geführt hatte. Wenn ein Angebot seitens Leipzig, man würde das Spiel gerne wiederholen und somit zu einer sportlichen Entscheidung kommen, wieder ätzenden Kommentare allerorts produziert:

"Das ist doch sowieso nur ein Marketingzug, die Leipziger wissen doch, dass der DFB seine Schiedsrichter schützen muss und ähnlichen Aktionen vorbeugen will."

"Damit verhöhnen sie nur ihren Gegner!"

"Gegen die Bayern würden sie nur zu gerne am grünen Tisch gewinnen. Arrogantes Pack, aber mit den Kleinen kann man es ja machen."

Auf der einen Seite dieses perfekt durchdachte Marketing-Erzeugnis, auf der anderen Seite ein amateurhafter Versuch, durch so ein offensichtliches Angebot Sympathien zu gewinnen? Vielleicht bin ich selbst ein eher dümmlicher Geselle, aber das scheint mir doch wenig logisch. Vielleicht bin ich ja aber nur ein weiterer indoktrinierter Bullen-Soldat. Oder ein gekaufter Blogger.

Diese verdammte Lügenpresse! Oder vielleicht sehe ich in RB Leipzig schlicht nicht das manifestierte Böse, das mir "meinen" Fußball kaputt kapitalisieren will. Sondern die nächste Form einer Entwicklung, die schon wesentlich früher eingesetzt hat (siehe dazu auch ein lesenswerter Beitrag vom rotebrauseblog). Die die man mögen oder ablehnen kann, sie aber nicht nur in einem einzigen Verein suchen sollte.

Ohne Red Bull kein RB Leipzig

Sicherlich wäre es falsch, den Verein RB Leipzig ohne den Kontext Red Bull und deren unternehmerischen Ziele bewerten zu wollen. Denn ganz sicher ist es für Red Bull eine hervorragende Marketing-Gelegenheit, sollten sie es einmal in die erste Bundesliga schaffen und womöglich dauerhafter Anwärter auf einen Platz sein, der für den europäischen Wettbewerb berechtigt.

Aber soll diese Gelegenheit nur Red Bull erkannt haben? Adidas etwa nicht? Oder Audi? Die Allianz? Haben diese Unternehmen nur sportliche Gründe im Sinn, wenn sie über Sponsoring nachdenken? Oder ist die grundsätzliche Unterstützung seitens Red Bull gar nicht das eigentliche Problem, sondern deren Ambitionen? Das wäre dann tatsächlich ein Grund, der mir die große Aufregung um einen Verein, der diese Saison mit Mühe vier Punkten in zwei Spielen in der zweiten Bundesliga holen konnte, erklären würde.

Es ist nicht so, dass in einem gewissen Rhythmus Talente gleichmäßig verteilt und hinzugefügt werden können, sodass die grundsätzliche Logik die ist, dass auf negative Bilanzen Spielzeiten um den Titel folgen. Der Fußball ist eher ein Highway und einer, der über die Jahre profitabler geworden und zu einem potenten Wirtschaftszweig gewachsen ist.

Ohne Fremdkapital kaum Aufstiegsmöglichkeiten

Zu glauben, dass es in Zeiten, in denen unlängst über überhöhte Preise auch für Talent-Mittelmaß geschimpft wird, in denen noch die kleinsten und jüngsten Talente so früh wie möglich beobachtet und abgeworben werden können, möglich ist, über einen originären Aufbau von den unteren Ligen in die obersten aufsteigen zu können und sich gänzlich Fremdkapital zu verwehren, ist schlicht naiv.

Oder besser: Aufzusteigen und sich dann halten zu können. Sicherlich gibt es in unregelmäßigen Abständen schöne Geschichten über Vereine, die dem Trend trotzen konnten. Und der Fußball-Romantiker in mir ist auch derbe von Beispielen wie Darmstadt oder Mainz angefixt. Aber es sind eben Ausreißer und nicht die Regel.

Und diesen Umstand sollte man sich und möglichen Lesern bei aller Romantik stets bewusst machen: Ohne Fremdkapital wird man es in der heutigen Zeit wohl nicht mehr schaffen, sich dauerhaft in den oberen Ligen festzuklammern. Nur ist jenes Fremdkapital nicht in "hier gut, dort böse" zu unterteilen.

Man kann sich mit diesem allgemeinen Trend entweder arrangieren oder ihn ablehnen, in beiden Fällen muss man jedoch die jeweiligen Auswirkungen bedenken. Aber dem Trend zuzustimmen, weil er vielleicht irgendwann den eigenen Verein begünstigt, gleichzeitig aber die Negativauswirkungen nur durch Einzelfälle erklären wollen und sich an denen abarbeiten, ist nicht nur engstirnig, sondern produziert auch die Stimmung vom vergangenen Montag.

Osnabrück: Beschädigtes Image

Indes wird man in Osnabrück darum kämpfen, nicht nur das national beschädigte Image wieder herzurichten, sondern auch die wirtschaftlichen Folgen abzufedern, die offenbar mit Verlusten in Höhe von 500.000 Euro beziffert werden müssen.

Die NOZ fragt sich derweil, ob aus den Geschehnissen vielleicht eine Trotzreaktion entstehen könnte, die letztendlich im Aufstieg in die zweite Liga münden würde.

Ich weiß allerdings nicht, ob eine Trotzreaktion das ist, was dem VfL Osnabrück nach den Szenen vom Montag jetzt guttun würde. Denn Trotz ist für mich auch immer eng mit dem Gefühl, man sei schlecht behandelt worden, verflochten. Und eines wurden sie in Osnabrück durch den Spielabbruch am Montag nicht: Schlecht behandelt.

RB Leipzig im Steckbrief