Auf Regen folgt Sonnenschein

Von Shoto
Damian Lillard wurde 2012 mit dem sechsten Pick von den Portland Trail Blazers gedraftet
© getty

Die Portland Trail Blazers haben mit Power Forward LaMarcus Aldridge abermals einen dekorierten All Star verloren. Es ist eine weitere Kerbe im Stock der Franchise-Geschichte. Eine Geschichte voller Parallelen, Enttäuschungen und Hoffnungen. Und einen neuen Lichtblick am Firmament.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Am Ende war dort nur noch eine Leere. Dort, das heißt in den Körpern und Seelen der Portland Trail Blazers Fans. Zugegeben, mancherorts war man wütend, traurig, teils sogar gänzlich hoffnungslos. Aber dominierend war sicherlich das Gefühl der Leere, eine gewisse Taubheit.

Vielleicht war und ist es ein Schutzmechanismus, der den Leib vor größerem Schaden bewahren soll, vielleicht aber auch schlichte Nüchternheit. Man hatte damit gerechnet. Gerade in Oregon. Hatte bereits die Zeichen gedeutet. Wie oft hat sich die professionellste und respektierteste Franchise der NBA - diese verdammten San Antonio Spurs - schon um einen Free Agent bemüht, der wahrscheinlich das beste realistische Objekt für General Manager war? Außerdem: Man reißt kein Team auseinander, wenn es keinerlei Anlass dazu gibt; zumindest nicht dieses.

Es sollten simple Einsen und Nullen sein, die den Karriereabschnitt des LaMarcus Aldridge in Portland beenden würden. Keine 140 Zeichen, die die Blazers aus den Rängen der potenziellen Playoff-Teams befördern sollten. Adrian Wojnarowski nimmt und gibt, startet Dynastien und beendet sie.

"The rich get richer"

Eine fast schon gottähnliche Gestalt, der man wütend zurufen möchte, warum sie denn mehr nimmt als gibt, während die anderen, die dort oben, weiter bevorteilt werden. "The rich get richer and the poor get poorer". Portland und LaMarcus Aldridge, das war nie vollends glücklich, nie Traumehe, aber doch verspürte man einen tiefen gegenseitigen Respekt. Eine Partnerschaft, die kleiner startete, als sie aufhören sollte. Die erst spät - vielleicht zu spät - Früchte des Erfolges tragen, dann aber viel zu früh vom Baum der potenziellen Championship gepflückt werden sollte.

Den Magnum Opus hatte man - so lässt sich retrospektiv feststellen - etwa ein Jahr früher erreicht. In absurd märchenhafter Art und Weise. 0.9 Sekunden. Lillard. Buzzer Beater. Sieg. 4-2, gegen die Rockets. Erste gewonnene Playoff-Serie seit 14 Jahren.

Ein in seiner Vorgeschichte, Ausführung und Auswirkungen so formvollendeter Wurf, er möge noch Jahre später von Heranwachsenden in Hinterhöfen, vor Garagen oder in der Trainingshalle nachgestellt werden. Peinlich romantisch, ich weiß. Rührselig, auf jeden Fall. Aber eben auch schlicht das, was die Blazers und deren Erfolg für ihre Fans, für die Stadt Portland und das Umfeld bedeuten.

Aber es sind nicht allein die Szenen der Ausführung, sondern auch die nachfolgenden, die in ihren Bann ziehen. Grenzenloser Jubel auf der einen, enttäuschte Gesichter auf der anderen Seite. Der Schlusspfiff als Katalysator reiner Emotionen. Die Bilder wirken auf mich bisweilen noch beeindruckender, als die der 0.9 Sekunden zuvor.

Aldridge und Lillard - zwei verschiedene Charaktere

LaMarcus Aldridge, Trost spendend bei den Verlierern, Damian Lillard unter Rot gekleideten Seinesgleichen, die Atmosphäre inhalierend, sich selber auf die Brust schlagend. Es ist eine wertfreie Beobachtung, vielleicht sogar eine falsche durch schlecht geschnittene Abläufe. Aber ich mag sie dennoch.

Denn es zeigt sich wunderschön die unterschiedlichen Lebensabschnitte und -erfahrungen der beiden Portland-Anführer. Hier der verdiente Power Forward, der verschiedene Karrieren zu früh enden gesehen hat, Niederlagen gesammelt hat, Schmerz kennt. Dort der aufstrebende Point Guard, Eiswasser in den Venen; ekstatisch, wie er den größten Moment seiner jungen Karriere genießt.

Ich mag diese Szenerie, beweist sie mir erneut, dass Damian Lillard nicht nur die logische Folge mehrerer Jahrzehnte Erfahrung war, sondern auch Gefäß mehrerer Gesichter längst vergangener Blazers-Teams.

♦♦♦

Es ist ein üblicher nebelverhangener Morgen an der Westküste der Vereinigten Staaten von Amerika im Jahre 1968, als John Wooden, damaliger UCLA Coach, die Tür seines Büros schließt und seinem Assistenten Denny Crum eröffnet, er möge bitte nie wieder solch eine dumme Aussage tätigen, sie würde ihn aussehen lassen, wie einen Idioten.

Momente zuvor berichtet Crum seinem Vorgesetzten von einem rothaarigen Jungen mit Sommersprossen aus San Diego, oder anders: Dem besten High School Spieler den er je beobachtet habe.

Bill Walton betritt die Bühne

1974 beendet jener rothaarige Sommersprossenwirt nach drei Jahren seine Karriere für UCLA. Es ist die vielleicht dominanteste College-Karriere, die die Welt bis heute gesehen hat: Zwei Titelgewinne, 88 Siege in Folge, mehrere individuelle Auszeichnungen. Kurz: Ein gebrandmarkter Nummer Eins Pick, der nächste große NBA Spieler, die Identifikationsfigur für rotbehaarte Basketball-Enthusiasten auf der ganzen Welt.

Sein Name? Bill Walton. Walton folgt dem goldgepflastertem Weg Richtung NBA, hört am 28. Mai 1974 in New York als Erster seinen Namen und streift sich ab der Saison '74-'75 das Trikot der Blazers über.

Es ist eine natürlich zu perfekte Geschichte. Walton bleibt nie vollends gesund, geplagt von verschiedensten Fußverletzungen. Statt einer prognostizierten historischen Dynastie in Portland rund um ABA Ankömmling Maurice Lucas, den Guards Dave Twardzik und Lionel Hollins und eben jenem Walton bleibt im Rückspiegel lediglich eine gewonnene Championship. Es soll bis heute dabei bleiben.

Clyde Drexler verstärkt die Blazers

1983 erscheint die nächste Führungsfigur in Portland: Clyde Drexler. Es folgt eine erste Episode, die für Fans der Blazers nur mit gedrückter Vorspultaste zu ertragen ist: Draft 1984. Bowie statt Jordan. Finaleinzüge in den Jahren 1990 und 1992. Finalniederlagen gegen die Detroit Pistons (1990) und Chicago Bulls (1992), letztere rund um den verschmähten Michael Jordan.

Ein langsames Auseinanderbrechen, das seinen Höhepunkt mit dem Trade von Clyde Drexler gen Houston Rockets findet. Drexler soll 1995 - im Jahr seiner Ankunft - den NBA Titel holen, während für die Blazers ihr dunkelstes Kapitel bevorsteht.

Drogenmissbrauch, Hundekämpfe, teaminterne Faustkämpfe, Bedrohungen von Schiedsrichtern und Journalisten, gekrönt von einem verbalisierten "Fuck You" in Richtung Fans: Die Jail Blazers schlagen in Portland auf.

Es ist ein fast schon einzigartiger Versuch, die Frage nach intaktem Charakter komplett der nach dem Talent zu opfern. Ein Versuch, der zunächst sogar zu gelingen scheint und mit dem Erreichen der Western Conference Finals in 1999 und 2000 belohnt werden soll. Aber es wären nicht die Portland Trail Blazers, wenn es eben nicht genau das geben würde: Das "Aber".

Neu-Aufbau nach den Jail Blazers

Natürlich war es hirnrissig anzunehmen, dass ein solch dysfunktionales Gebilde dem Stress im Dauerzustand, welchen die NBA von seinen Akteuren abverlangt, dauerhaft standhalten würde. Sie brechen auseinander - wie sollten sie auch anders - und werden zum meistgehassten Team.

Nicht nur der NBA, sondern auch unter den eigenen Fans; einer Basis, die sich bis heute ihre Loyalität aus dem Hals schreit. Am Ende verlässt unter anderem Rasheed Wallace via Trade den Nordwesten, später gewinnt er mit den Detroit Pistons die NBA Championship. Es ist eine zynische Randnotiz, dass abermals ein Spieler, der die Blazers verlässt, seine NBA Träume unmittelbar danach erfüllen kann.

Vielleicht war es der Versuch, jene Eskapaden schnellstmöglich vergessen zu machen. Vielleicht waren es neurowissenschaftliche Vorgänge, die eine negative Erfahrung durch eine andere ersetzten.

Vielleicht war es schlicht menschliche Fehlinterpretation. Es jedoch nur schwerlich zu erahnen, was eine Franchise, die sich auch dadurch definiert, einen von Verletzungen geplagten Spieler viel zu früh verloren zu haben, dazu bewegt, nach "Talent über Charakter" wieder zum erprobten und offenkundig gescheiterten "Talent über Verletzungsrisiko" Schemata zurückzukehren. Vielleicht war es auch Masochismus.

Tragische Entwicklung um Roy und Oden

Was es auch war, Portland pickt im Verlauf der Post-Jail Blazers-Jahre Brandon Roy, LaMarcus Aldridge und Greg Oden. Eine zunächst spektakuläre Formation. Der kommende Kobe Bryant Nachfolger Brandon Roy, den stets eine stille Eleganz auf dem Platz umgab. Eine Naturschönheit wie reißende Flüsse in Gebirgsformationen: Wandelbar, fließend, mitreißend.

Oden, der "nächste dominierende Center", der die Blazers ... [Flashback beim Autoren] ... [Absturz]... [Neu starten] ... LaMarcus Aldridge als dritte Option aus der Mitteldistanz. Big Three, Wachablösung für die viel zu lange viel zu erfolgreichen Spurs, Blaupause für kommende Teams.

Zu perfekt? Zu perfekt. Natürlich konnte es nicht anders kommen. Nicht für dieses Team, nicht für diese Franchise. Verletzungen, Misere, ein alte Bekannte. Die Blazers werden zu einer traurigen Schönheit, die sich ihrem Schicksal ergibt. Den Traum vom nächsten großen Wurf ablegt wie eine Schlange ihre Haut, ihre Träume reduziert.

"Aim fort he stars", aber der Mond kann auch ganz schön sein. Retool nannte man das, holte Felton, Crawford, Wallace. Wollte in die Playoffs, aber traute sich nicht mehr zu. Wollte die Fans zufriedenstellen, aber auch nicht mehr; aus Angst, man würde wieder enttäuschen.

♦♦♦

With the sixth Pick...

Es ist nicht gänzlich unwichtig, sich die illustre Geschichte der Blazers in dieser Kurzform vor Augen zu führen. Denn als in der Draft 2012 Damian Lillard gezogen wurde, war es die logische Konsequenz aus den Fehlern der Vergangenheit, aber auch erwachter Hunger früherer Tage. Es war die logische Konsequenz der Blazers, nicht Andre Drummond, Konkurrent auf Augenhöhe im Rennen um die Wahl desjenigen, den die Blazers an Nummer Sechs wählen würden, zu picken.

Scheint es doch abstrus, nach Walton, nach Bowie und nach Oden einen talentierten Center mit Fragezeichen-Cape anderen Talenten vorzuziehen. Es war aber eben auch der Hunger, denn Lillard war und ist die Verkörperung der positiven Eigenschaften vergangener Spieler und Zeiten. Guard-Hoffnungen geweckt durch Drexler und Brandon Roy? Check. Erfahrener College-Spieler wie Walton? Check. Höflich, intelligent, vermarktbar auch neben dem Platz, dabei aber das zu Eigen machen der vergangenen Jail Blazers "Fuck You" Einstellung in den entscheidenden Momenten nie vergessen? Check und check.

Lillard (und der später ertradete Robin Lopez) waren die letzten benötigten Puzzlestücke, die letzten Software-Bestandteile, die fehlenden Einsen und Nullen, die man haben musste, um sich aus der Asche zu erheben, nachdem man in den Jahren zuvor das Fundament mutwillig und bewusst abbrennen lies. Die Blazers in der Formation Lillard, Wesley Matthews, Nicolas Batum, Aldridge und Lopez waren auf ihrem Höhepunkt eine chemische Formation in Reinform, eine homogene Masse, ein perfekt abgestimmtes synergetisches Basketballprodukt.

"Legion ist mein Name"

Im Markusevangelium heißt es: "Legion ist mein Name, denn wir sind viele". Es ist die wahrscheinlich treffendste Bezeichnung, will man sich daran versuchen, das einzufangen, was die Blazers bisweilen auf dem Platz ausstrahlten. Dann, wenn die Flow-Offensive von Terry Stotts ein Monster gebar, das immer in Bewegung ist, ob mit oder ohne Ball. Dann, wenn die Gedanken der Einzelteile verschmelzen. Dann, wenn das Eine größer ist, als die pure Summe der Teile.

Aber die Blazers waren nicht nur Monstrum, sie waren auch Beispiel. Beispiel dafür, dass Erfolg in der NBA noch immer ein Zusammenspiel aus Variablen und Konstanten ist. Variablen zu Konstanten zu machen, das war etwas, das den Blazers, anders als dem letztendigen Champion aus Golden State, nie gelingen wollte.

Es gelang ihnen nie, dauerhaft in den Modus zu schalten, in dem sie es mit jedem Team der NBA aufnehmen konnten, anders als beispielsweise die Dallas Mavericks während ihres Titellaufes. Stattdessen war es so, als hätte man in den letzten Atemzügen der Saison eine riesige Kuppel auf das Monstrum hinabgelassen, durch die es nicht entrinnen konnte. Sie waren Gefangene, nicht im Stande auszubrechen und jene Freiheit zu nutzen, die sie für ihren Erfolg brauchten.

Batum nach Charlotte getradet

Als am 24. Juni 2015 allmählich bekannt wurde, dass Nicolas Batum gen Charlotte getradet wurde, dann war das nicht nur das Entfernen eines Einzelnen, sondern das bewusste Auflösen jener chemischen Verbindung. Ab jenem Moment war klar oder sollte es jedem klar gewesen sein, dass das Monstrum nie wieder in seiner alten Form erwachen würde. Batum war aber nicht nur der Klebstoff, der die Verbindung durch sein Playmaking und seine Punkte zusammenhielt. Er war auch derjenige den man auswählte, wollte man das Gebilde trotz aller Unkenrufe anhand eines Einzelnen beschreiben.

Im "Flow" war Batum ein aufregender Spieler, einer der besten Flügel der NBA. Jemand, der in der Defensive den besten gegnerischen Spieler decken und sich den Rebound oder Steal holen konnte, nur um im direkten Umschaltspiel via Dunk selber oder per Pass auf einen Mitspieler die Punkte für sein Team zu holen. Doch konnte er nie dauerhaft dieser Spieler sein. Vielleicht wollte er es aber auch nicht.

Es war dieser Trade, der die eingangs erwähnte Leere erklärt. Es war dieser Trade, der als Signal zu deuten war, dass man seinen nächsten All Star verlieren würde. Aldridge sollte den Nordwesten verlassen. Jedoch nicht dem Pfad folgend, dem ihm talentierte, aber durch Verletzungen geplagte Spieler wie Walton und Roy bereiteten; jenen die durch einen nachgebenden Körper ausscheiden mussten.

Sondern jenem, den schon Drexler und Wallace beschritten. Jene Spieler, die ihr Glück in der Ferne fanden, Championships errangen, ihre NBA Karriere vollendeten. Ich wünsche es LaMarcus Aldridge aus ganzem Herzen, dass er ihrem Beispiel auch bis zum Schluss folgen kann. War er es doch, der großen Verdienst daran hatte, dass allerorts die Blazers wieder mit Respekt begegnet werden.

Aldridge-Abgang als Chance

Und doch kann ich nicht umhin, diese aufgezwungene neue Situation mit Vorfreude entgegenzublicken. Sie als neue Chance zu begreifen. Denn auch, wenn die Blazers in ihrem besten Moment die Warriors hätten besiegen können, um dauerhafter Konkurrent zu sein, fehlte es ihnen an Chaos. Die Warriors, sie hatten ihr Chaos in Form von Stephen Curry gefunden. Jemand, der mittels Dribblings komplette Verteidigungen auch im Alleingang hypnotisieren konnte.

Nietzsche schriebt einst: "Ich sage euch: Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können." Es war dieses Chaos, das meiner Meinung nach in dem Konstrukt "Monstrum" fehlte. Es war eine weitere Variable, die die Blazers nicht zu einer Konstanten formen konnten. Vielleicht vermag es die kommende Generation, jenes Chaos zu entfesseln.

Denn es ist nicht verwunderlich, dass der größte Moment der jüngeren Historie in einem Augenblick des Chaos von demjenigen geboren wurde, der der kommende Fixstern der Portland Trail Blazers ist: Damals, als Damian Lillard in 0.9 Sekunden den Blazers längst vergessene Freude bescherte.

Die Portland Trail Blazers im Steckbrief