Noah Rubin im Interview: "Ich werde den Tennissport verändern, versprochen!"

Noah Rubin traf bei den Australian Open 2018 auf Roger Federer.
© getty

Noah Rubin ist nur die Nummer 195 der Welt. Ein Nobody auf der Tennistour, trotz großer Erfolge zu Junioren-Zeiten. Der 23-Jährige ist aber auch einer der spannendsten Tennisprofis. Im Interview mit SPOX spricht der US-Amerikaner vor dem Start der US Open (ab Montag live im Eurosport-Channel auf DAZN) über seine Behind-the-Racquet-Serie, in der er Spielern die Möglichkeit zum Seelenstriptease gibt. Mit bemerkenswertem Erfolg.

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Außerdem erklärt Rubin, warum er am System der Tour fast zerbrochen wäre, wie er einst in Marbella die dunkelste Stunde seiner Karriere erlebte und warum Tennis an vielen Orten stirbt. Rubin stellt bei SPOX sein Modell für eine Revolution im Tennissport vor.

Noah, Sie stehen in der Weltrangliste aktuell auf Rang 195 und sind in Deutschland sicher nur den absoluten Freaks ein Begriff. In Ihren eigenen Worten: Wer ist Noah Rubin?

Noah Rubin: Noah Rubin ist ein sehr kleiner, aber dafür auch schneller Tennisspieler, der in jungen Jahren mehr Erfolg hatte, als die meisten Menschen erwartet hätten. Das größte Highlight war natürlich mein Sieg in der Junioren-Konkurrenz von Wimbledon. Aber auch danach durfte ich am College große Erfolge feiern und war irgendwann bereit dafür, den Schritt zum Profi zu gehen. Bei den Australian Open 2017 bekam ich es in der zweiten Runde mit Roger Federer zu tun. Mit einem der größten Spieler aller Zeiten, vielleicht sogar dem größten überhaupt, gemeinsam auf dem Platz zu stehen und gegen ihn anzutreten, hat mir damals unglaublich viel gebracht. Ich habe gesehen, dass ich phasenweise mithalten kann, das hat mir Selbstvertrauen gegeben. Ich habe aber auch gesehen, wie unfassbar viel mir fehlt, im mentalen und im körperlichen Bereich.

In Wimbledon hätte es in diesem Jahr wieder zu einem Duell mit Federer kommen können, wenn Sie die erste Runde gewonnen hätten.

Rubin: Ich schlafe immer noch schlecht, weil ich das nicht geschafft habe. Ich bin jetzt die 195 der Welt, meine beste Ranking-Position war bis dato 125. Nachdem es anfangs nur nach oben gegangen war, habe ich dann herausgefunden, wie brutal hart die Tour ist. Es ist definitiv nicht zufriedenstellend, wie meine Karriere bis jetzt verlaufen ist, aber ehrlich gesagt bin ich auch nur eines der vielen Beispiele für Jungs, die zwischen Platz 80 und 250 in der Welt stehen. Wenn du dort stehst, ist das Tennisleben eine Achterbahnfahrt. Du spielst ein Turnier hervorragend, beim nächsten spielst du aber dann wieder totale Grütze. Es ist eine Lebensschule, aber es ist hart. Ich bin erst 23 Jahre alt, aber ich habe in den vergangenen Monaten mit großen Motivationsproblemen zu kämpfen gehabt, weil ich immer mehr gemerkt habe, dass die Tour kein Ort der Glückseligkeit ist. Die Tour macht dich nicht glücklich. Ich war wirklich nicht gut drauf, bis ich mich entschieden habe, die Platzierung im Ranking mal beiseite zu schieben. Das Resultat war, dass ich mich zum ersten Mal überhaupt in Wimbledon durch die Quali gespielt habe.

Noah Rubin traf bei den Australian Open 2018 auf Roger Federer.
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Noah Rubin traf bei den Australian Open 2018 auf Roger Federer.

Rubin: "Diese Interviews sind stinklangweilig"

Sie haben eine sehr beeindruckende "Behind the Racquet"-Serie gestartet, in der Sie andere Spieler offen über Ihre Probleme erzählen lassen. Sogar die New York Times hat Ihnen einen Artikel gewidmet. Was waren die Gründe dafür, diese Serie zu starten?

Rubin: Es gab zwei Gründe. Zum einen ist einer meiner engsten Freunde auf mich zugekommen. Er verfolgt Tennis, spielt aber nicht selbst. Er meinte zu mir, dass er es nicht mehr ertragen kann, immer und immer wieder die gleichen Interviews zu hören. Niemand will hören, was Spieler über ihre Vor- oder Rückhand zu erzählen haben, diese Interviews sind stinklangweilig. Er hat Recht. Ich glaube ohnehin, dass Tennis ein bisschen seine Anziehungskraft verliert und die Verbindung zwischen Spielern und Fans verloren geht, wenn wir nichts dagegen machen. Das will niemand hören, ich bin aber fest davon überzeugt, dass es so ist. Und der zweite Grund war, dass ich ein Tabuthema aufbrechen und Spielern eine Plattform geben wollte, um offen wie nie über ihre seelische Gesundheit zu sprechen. Dass wir alle mehr über die Spieler und die Menschen dahinter erfahren. Das Feedback von Spielern und Fans war unglaublich positiv.

Aber die Geschichten zeichnen teilweise ein sehr dunkles Bild.

Rubin: Absolut, aber das ist die Wahrheit. Wir sprechen alle nicht genug über diese Themen. Ich bin eng mit Tennys Sandgren und Darian King befreundet, wir kennen uns seit Ewigkeiten. Und dann haben sie mir Geschichten erzählt, die ich trotzdem nicht kannte. Ich wusste nicht, dass Darians Mutter gestorben war, obwohl wir doch eigentlich eine enge Beziehung hatten. Das war so traurig. Es ist ein Problem unserer Gesellschaft, dass wir selbst mit engen Freunden nicht über diese Sachen sprechen. Diese Erfahrungen haben mich unglaublich motiviert, weiterzumachen und eine Art Botschafter dafür zu werden, dass wir uns öffnen und über unsere psychischen Probleme sprechen. Viele Spieler saßen mir gegenüber und haben geweint. Sie haben mich danach in den Arm genommen und einfach nur danke gesagt, dass sie ihre Geschichte erzählen durften. Diese Momente werde ich nie vergessen. Deshalb werde ich dranbleiben, wir müssen diese Stille durchbrechen. Wir müssen füreinander da sein.

Noah Rubin gewann den Junioren-Wettbewerb von Wimbledon.
© getty
Noah Rubin gewann den Junioren-Wettbewerb von Wimbledon.

Rubin: "Das System war dabei, mich zu brechen"

Ist die Tough-Guy-Mentalität nach wie vor so ausgeprägt?

Rubin: Sie machen sich keine Vorstellung, wie sehr so viele Spieler immer noch Angst davor haben, Schwächen zu zeigen und nach außen irgendwie tough wirken wollen. Aber es ist vollkommener Unsinn. Kein Spieler denkt sich bei 4:4 im dritten Satz: "Oh, der Typ hat ja letztens ganz schön offen über seine Gefühle gesprochen, er ist jetzt bestimmt schwach in diesem Moment."

Für Sie persönlich gesprochen, was waren denn Ihre dunkelsten Momente in Ihrer Karriere bislang?

Rubin: Ein Moment war im vergangenen Jahr, als ich sieben Matches in Folge verlor. Ich habe die Quali eines Challengers in Marbella gespielt. Das Match begann um 22 Uhr, es war arschkalt und ich habe in drei Sätzen verloren. 2:6, 6:3, 2:6. Ich sehe mich noch ganz alleine auf der Bank sitzen. Mein Coach war schon ins Hotel gegangen. Die Lichter waren aus. Und ich saß da, habe geweint und dachte mir: "Ich kann es nicht fassen. Ich kann es nicht fassen, dass ich hier in der Quali verloren habe. Vor drei Monaten habe ich noch ein Challenger gewonnen, ich reiße mir den Hintern auf und ich bin nicht in der Lage, ein verdammtes Match zu gewinnen. Nicht eins!" Es war ein Moment, in dem ich realisieren musste, dass Tennis einem gar nichts schuldet. Du kannst so hart arbeiten wie du willst, du kannst trotzdem jedes Match verlieren. Du musst beharrlich dranbleiben und da sein, wenn deine Chance kommt. Ich bin danach ein Level nach unten auf Future-Ebene gegangen, um mich aus dem Loch zu befreien und habe später im Jahr wieder ein Challenger gewonnen. Am Ende hat es mich weitergebracht, aber der Moment war brutal.

Und die zweite Situation?

Rubin: Das war vor einigen Monaten, als viele meiner Freunde schon mein Karriereende vorausgesagt haben. Ich wusste nicht, ob ich den Sport, den ich so liebe, noch weiter ausüben will. Ich habe mich bei Spielern, die in der Weltrangliste um Platz 80 stehen, erkundigt, ob es denn besser wird, wenn man mal so weit vorne steht. Ihre Antwort war aber wenig überzeugend. Ja, du spielst ein paar größere Matches, aber finanziell wird es nicht viel besser, wenn du einen eigenen Coach und Physiotherapeuten hast. Dann verdienst du nicht so viel Geld. Und der Druck hört ja auch nie auf. Ich war in einem ziemlich tiefen Loch. Wie gesagt, ich liebe diesen Sport, aber das System war dabei, mich zu brechen. Meine Freundin hat gewitzelt, ob denn alle Spieler so fertig seien? Sie dachte, das wäre nur ich. (lacht) Nein, es ist nur so, dass jetzt viele offener darüber sprechen. Es kann einem Angst machen, wie der Zustand ist. Ich hoffe sehr, dass die Leute an der Spitze verstehen, dass wir Tennis verändern müssen. Für die Spieler und für die Fans. Es muss etwas passieren.