Hate it or love it

Von Ole Frerks
Marin Cilic feiert nur ein Jahr nach einer Doping-Sperre seinen ersten Grand-Slam-Titel
© getty

2013 durfte Marin Cilic an den US Open nicht teilnehmen, weil er vom Verband wegen Dopings gesperrt war. Ein Jahr später spielte er in Flushing Meadows ein nahezu perfektes Turnier, das Montagnacht mit dem Triumph über Kei Nishikori gekrönt wurde. Das Warten auf den Durchbruch, das viele Experten schon aufgegeben hatten, hat damit endlich ein Ende.

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Der Schock war noch zwei Tage später greifbar. In der Stadt, im Arthur Ashe, beim Publikum. Noch immer wollte niemand so recht glauben, dass statt Roger Federer und Novak Djokovic Marin Cilic und Kei Nishikori das Finale der US Open bestreiten würden. Es war vielleicht das erste Mal überhaupt, dass die Trainer der beiden Spieler (Goran Ivanisevic und Michael Chang) bekannter waren als ihre Schützlinge.

Sogar die Spieler wirkten vor dem Match noch etwas skeptisch, als sie gemeinsam mit schüchternem Lächeln für die Kameras posierten. Der Blick auf die Ränge der größten Tennis-Arena der Welt offenbarte zudem, dass das Interesse an diesem Finale - gelinde gesagt - nicht gerade überwältigend war.

Die Schwarzmarktpreise für das Spiel brachen ein, als die Paarung feststand. Für durchschnittlich 390 Dollar hätte man laut "Bloomberg.com" noch am Finaltag ein Ticket bekommen können. Vor den Halbfinals waren es demnach noch 526 Dollar.

Das Ziel vor Augen

Das war Cilic freilich alles egal. Nachdem er seine anfängliche Nervosität abgelegt hatte, ließ sich gut erkennen, dass er auf einer Mission war. Er war determinierter als sein Gegner, der von der Kulisse teilweise überwältigt wirkte. Er wollte diese große Chance unbedingt beim Schopfe packen.

"BBC"-Experte Pat Cash beschrieb Cilic' Reaktion nach dem Gewinn des ersten Satzes treffend: "Cilic hat sich ganz ruhig umgedreht, um Blickkontakt mit seinem Coach aufzunehmen, wie um ihm mitzuteilen: 'Ich bin auf dem Weg.'"

Es war irgendwie klar, dass der lange erwartete Durchbruch wenn überhaupt in Flushing Meadows stattfinden musste. Zum einen, weil der Hardcourt von New York perfekt zu seinem Spielstil passt. Zum anderen aber auch deshalb, weil das Turnier wie kein anderes die Aufs und Abs seiner Karriere illustriert.

Das erste Ausrufezeichen

Es ist das Turnier, bei dem er als 20-Jähriger erstmals auf großer Bühne auf sich aufmerksam machen konnte: 2009 warf er in der vierten Runde den damaligen Weltranglistenzweiten Andy Murray aus dem Turnier, bevor er im Viertelfinale vom späteren Sieger Juan Martin del Potro gestoppt wurde.

Schon bei seinem nächsten Grand Slam, den Australian Open 2010, erreichte er erstmals ein Grand-Slam-Halbfinale und sah wie ein sicherer Kandidat für die Top 5 in den nächsten Jahren aus. Damals hätte vermutlich niemand vorhergesagt, dass seine nächste Grand-Slam-Halbfinal-Teilnahme erst knapp vier Jahre später stattfinden würde.

2012 schaffte Cilic es in New York noch einmal ins Viertelfinale, bevor im Vorjahr der absolute Tiefpunkt erfolgte. Nach einer positiven Dopingprobe wurde er zunächst für neun Monate gesperrt, später wurde die Sperre auf vier Monate reduziert. Bei den US Open durfte er trotzdem nur zusehen.

Federer: "War er naiv? Vielleicht."

Im April 2013 wurden bei ihm Spuren des Aufputschmittels Nikethamid festgestellt, das in Glukose-Tabletten enthalten ist. Cilic' Mutter hatte sie in einer Apotheke besorgt, Cilic bestritt, von den Spuren der "illegalen" Inhalte zu wissen. Auch deshalb reduzierte das CAS die Sperre, ohne ihn jedoch freizusprechen.

Es liegt schließlich in der Verantwortung des Athleten, darauf zu achten, was er zu sich nimmt, und Cilic muss sich zumindest Unachtsamkeit vorwerfen lassen. Für seinen Gegner aus dem Halbfinale hat Cilic zumindest nie eine böse Absicht verfolgt.

"Ich glaube fest daran, dass er nichts falsch gemacht hat, zumindest nicht absichtlich", sagte Federer am Samstag: "War er naiv? Vielleicht. Aber ich glaube, ich kenne ihn gut genug, um zu sagen, dass er so etwas nicht machen würde."

Für Viele macht der Vorfall Cilic trotzdem zum gebrannten Kind, zum Doper, zum Schummler. Völlig unverständlich für seinen Trainer Ivanisevic: Der einzige Kroate, der vor Cilic einen Grand Slam gewann, sprach am Samstag, nach der wohl besten Leistung in der Karriere seines Schützlings, von "Gerechtigkeit".

Totale Dominanz

Ob man Ivanisevic zustimmt oder nicht, ob man Cilic für einen Schummler hält oder einen Spieler, dem mal ein dummer Fehler unterlaufen ist - es wird zumindest niemand bestreiten, dass Cilic' Triumph in New York hochverdient war. Dafür zeigte er sich einfach zu dominant.

Bis zum Viertelfinale hatte er zwar einen relativ leichten Draw erwischt, auch wenn ihm Gilles Simon in der vierten Runde in einem Fünf-Satz-Krimi alles abverlangte. Die wirklich beeindruckenden Leistungen zeigte er allerdings erst danach, in zwei Spielen als klarer Underdog sowie im Finale gegen Nishikori, der in der Weltranglistenerste auch immerhin vier Plätze vor ihm liegt.

3:0 Sätze gegen Berdych, 3:0 Sätze gegen Federer, 3:0 Sätze gegen Nishikori. Der letzte US-Open-Sieger, der die letzten neun Sätze des Turniers allesamt gewonnen hat? Federer im Jahr 2007. Der letzte Spieler außerhalb der Top 10, der die US Open gewann? Pete Sampras im Jahr 2002. Cilic' Turniersieg war gleichzeitig Sensation und Demonstration.

Mehr als nur der Aufschlag

Cilic' größte Waffe bei seinem Triumph war wie erwartet der Aufschlag. Insgesamt schlug er während des Turniers sensationelle 98 Asse (17 im Finale), mehr als jeder andere Champion seit Andy Roddick vor elf Jahren. Doch es war bei weitem nicht die einzige in seinem Arsenal.

Er ist gewissermaßen eine logische Weiterentwicklung von seinem Trainer - ein Aufschlagwunder, das sich für seine Größe von 1,98 Meter aber auch überragend bewegt, sehr gut von der Grundlinie Druck machen kann und auch am Netz durchaus zu überzeugen weiß. Wer ihn mit eindimensionalen Ass-Maschinen wie Ivo Karlovic gleichsetzt, hat sich seine Spiele in jedem Fall noch nie besonders aufmerksam angesehen.

Ivanisevic, der ihn seit Ende letzten Jahres trainiert, hat seinen wohl größten Einfluss allerdings nicht auf der spielerischen Ebene gehabt, zumindest nicht direkt. Er hat ihm nach der schweren Zeit im Zuge der Sperre eher dazu gebracht, wieder nach vorne zu blicken und seinen Ballast loszuwerden.

"Das Wichtigste, was er mir beigebracht hat, war wieder Spaß am Tennis zu haben", sagte Cilic am Montag, mit der Trophäe in der Hand. Er ist seinen Ballast losgeworden. Ivanisevic bekräftigte, dass sein Schützling viel entspannter geworden sei: "Er hat in diesem Jahr nicht gelernt, Tennis zu spielen. Das konnte er schon vorher."

Nicht mehr unter dem Radar

Die neu gewonnene Ruhe war ihm im Finale anzusehen. Er spielte nicht so außerirdisch wie im Halbfinale gegen FedEx, das brauchte er aber auch nicht. Er kontrollierte das Match und schnappte sich den Titel, der vor nicht allzu langer Zeit noch so weit außer Reichweite zu sein schien. Nun gilt es, die herausragende Form der letzten Woche irgendwie zu konservieren.

Wer Cilic in New York gesehen hat, kommt nicht drum herum, ihn zumindest bei den Hartplatz-Turnieren weit oben auf der Liste zu haben - dass er auch auf dem Rasen von Wimbledon klar kommt, hat seine Viertelfinal-Teilnahme in diesem Jahr bewiesen.

Mit ihm wird - genau wie mit Nishikori, der im Finale zwar klar unterlegen war, aber nichtsdestotrotz ein ganz starkes Turnier spielte - in Zukunft immer zu rechnen sein. Die 100-zu-1-Quote, die man vor gut zwei Wochen noch für eine Wette auf seinen Turniersieg bekommen hätte, wird man in jedem Fall nicht mehr bekommen.

Die Zeiten ändern sich

"Ich habe das Gefühl, das mein Leben sich dadurch definitiv verändern wird", blickte der Riese nach dem Sieg mit einem strahlenden Lächeln in die Zukunft. Er wirkte immer noch wie im Delirium. "Es fühlt sich völlig unrealistisch an, auf einmal 'Grand-Slam-Sieger' genannt zu werden."

Die Zeiten ändern sich, nicht nur für ihn. Nächsten Montag wird Murray zum ersten Mal seit 2008 nicht mehr unter den zehn besten Tennis-Spielern der Welt gelistet sein. Der Vorsprung, den die großen Drei Nole, Rafa und FedEx haben, schmilzt nach und nach.

Nach rund einer Dekade der Dominanz des Trios ist es heute auch anderen möglich, die Grenzen zu durchbrechen. Stan Wawrinka und nun Cilic haben es vorgemacht, künftige Kandidaten gibt es genug. Auch im Arthur Ashe wird man sich früher oder später daran gewöhnen müssen.

Die US Open im Überblick