SPOX: Mit 34 waren Sie in Baden-Baden der älteste Teilnehmer des Turniers. Sind die Topspieler insgesamt jünger geworden?
Aronian: Also ich fühle mich noch sehr jung. Im Schach kann ein 18-Jähriger sehr alt sein, und gleichzeitig ist ein 41-Jähriger wie Vladimir Kramnik noch ein junger Mann. Das Alter ist sehr relativ. Die neue Generation ist sehr gut, aber ich habe das Gefühl, dass ich manche Dinge trotzdem noch etwas besser verstehe als sie.
SPOX: Wie viele Jahre geben sie sich noch auf allerhöchstem Niveau?
Aronian: Ich habe doch gerade erst angefangen. Meiner Meinung nach habe ich noch nichts erreicht, weil ich einzig und allein das Ziel habe, die Nummer eins zu werden und irgendwann um den WM-Titel zu spielen. Natürlich habe ich auch jetzt Spaß am Schach. Aber ich habe ganz klar höhere Ziele.
SPOX: Die Chinesin Hou Yifan war in Baden-Baden ebenfalls dabei. Mit einer Elo-Zahl von 2.652 ist sie die beste Spielerin der Welt. Macht es am Schachbrett einen Unterschied, gegen eine Frau zu spielen? Spielt sie vielleicht anders als Männer?
Aronian: Hou Yifan ist eine sehr sympathische und gut aussehende Frau. (lacht) Es ist wunderbar, jemanden wie sie so für den Sport kämpfen zu sehen. Je mehr Frauen an Männer-Turnieren teilnehmen, desto besser. Aber auf diesem Level, wenn man schon zur Elite gehört, da spielt es keine Rolle. Man registriert eigentlich gar nicht mehr, wer da auf der anderen Seite sitzt. (lacht)
SPOX: Glauben Sie, dass der Frauenanteil in der Weltspitze in den nächsten Jahren steigen wird?
Aronian: Das ist ein interessantes Thema: Ich war immer der Meinung, dass Frauen gegen Männern spielen sollten. Für mich gibt es keine Unterschiede: Schach ist kein "Sport", sondern ein Denksport. Hou Yifan ist ein gutes Beispiel, aber in meinen Augen gibt es noch viel mehr Potenzial. Je mehr Frauen gegen Männer spielen, desto stärker werden sie. Als ich 15 war, hat mein Coach zu mir gesagt: "Du musst gegen die U20 spielen, nicht gegen die U16 oder U18. Du musst gegen die Stärksten spielen, nur so wirst du dein Niveau steigern." Das gilt auch für Frauen.
SPOX: Man wächst mit der Herausforderung.
Aronian: Genau. Wenn man einem Sprinter sagt er muss die 100 Meter unter 13 Sekunden laufen, um der Beste zu sein, wird er das auch schaffen. Aber wenn man ihm sagt, dass er sie unter zehn Sekunden laufen muss, wird er noch viel härter trainieren. Und das ist in meinen Augen das Problem im reinen Frauenschach. Der höchste Level ist leichter zu erreichen, und wegen dieser fehlenden Herausforderung wachsen sie auch nicht über sich hinaus. Sie wollen kein Magnus Carlsen werden, sie wollen eine Hou Yifan werden. Hou Yifan dagegen will ein Magnus Carlsen werden, das ist ihr Geheimnis. Ich bin fest davon überzeugt, dass auch Frauen dieses Niveau erreichen können.
SPOX: Sie haben Ihre Jugend kurz angesprochen. Wie kam denn Ihre Leidenschaft für Schach zustande?
Aronian: Als ich sechs Jahre alt war, habe ich immer Dame gespielt. Als ich dann älter wurde, hat mir meine Schwester dieses Spiel gezeigt und ich fand es sehr interessant und habe es gelernt. Danach habe ich erfahren, dass viele große Spieler aus Armenien kommen, sogar Weltmeister. Das hat mich fasziniert und auch motiviert.
SPOX: Was bedeutet Ihnen das Spiel heute ganz persönlich?
Aronian: Sehr viel, Schach ist eine Philosophie. Ich sehe viele Parallelen zur Musik: Beide sind sehr mathematisch, der Rhythmus ist sehr wichtig. Ich könnte Stunden über dieses Thema sprechen. (lacht) Ich finde, jeder Mensch sollte ein bisschen Schach verstehen, es gibt so viele wunderschöne Harmonien zu entdecken. Es gibt Studien darüber, wie viel Schönheit in diesem Sport steckt. Ich kann daraus die gleiche Freude ziehen, wie andere aus der Musik oder der Kunst. Schach ist für mich beides.
SPOX: Schach als Kunst?
Aronian: Absolut. Für mich ist es mehr als nur ein Sport, weil Schach verschiedene Ebenen hat. Man kann vergangene Partien nachspielen und sie dennoch genießen, weil es immer etwas Neues zu entdecken gibt.