DTM-Pilot Mike Rockenfeller im Interview: "Sim-Racing macht süchtig"

Von Andreas Reiners
Mike Rockenfeller gewann 2013 die Fahrerwertung in der DTM.
© imago images
Cookie-Einstellungen

Der Vorteil beim Sim-Racing: Fliegt man ab, drückt man Escape und gut ist. 2011 ging das nicht, als Sie in Le Mans schwer verunglückt sind. Was hat der Crash mit Ihnen gemacht?

Rockenfeller: Nicht sehr viel, muss ich sagen. Auch wenn ich extrem viel Glück gehabt habe. Im Unterbewusstsein war es dann aber vielleicht doch etwas mehr, als man zugibt. Ich bin der Typ, der nicht auf Psychologen oder Mentaltrainer zurückgreift, sondern so etwas mit sich selbst ausmacht.

Wie lange wird man davon verfolgt?

Rockenfeller: Ich bin relativ schnell wieder Rennen gefahren, aber das hat mir schon nachgehangen. Gemerkt habe ich das auf der Autobahn. In Le Mans gibt es auf der Landstraße den gestrichelten Mittelstreifen, und bei dem Unfall war das Auto ganz links, ehe es plötzlich nach rechts herüberzog, als ich zum Überholen ansetzte. Das hat etwas mit mir gemacht. Ich habe auf der Autobahn plötzlich viel mehr auf den Mittelstreifen geachtet, auf andere Autos, was sie machen. Da bin ich dann vom Gas gegangen, was ich früher nicht gemacht hätte. Auch in Le Mans ein Jahr danach habe ich im Rennen im Verkehr ein bisschen gebraucht. Ich musste mich überwinden. Im Nachhinein sage ich: Vielleicht hätte ich mir damals professionelle Hilfe holen sollen, anstatt es mit mir selbst auszumachen.

2017 hatten Sie auch einen heftigen Crash in der DTM: Wie hat der sich vom ersten unterschieden?

Rockenfeller: In der DTM hatte mich der Crash in Le Mans sowieso nie beeinflusst. Und der Unfall am Norisring hat mich nie wirklich gejuckt. Le Mans war definitiv einschlägiger, auch aus sportlicher Sicht. Man ist ja so verrückt als Rennfahrer, dass man nach dem Unfall zuerst an das Sportliche denkt. Ich habe nur gedacht: ‚Scheiße, scheiße, das Rennen ist vorbei. Das gibt es doch nicht.' Das war einfach eine große Enttäuschung. Le Mans hat mich unfassbar viele Nerven und graue Haare gekostet, mehr als Glücksgefühle. Ich liebe es trotzdem.

Muss man so eine Einstellung als Rennfahrer haben?

Rockenfeller: Die hat jeder Mensch, glaube ich. Man wächst als Rennfahrer aber auch damit auf. Ich fühle mich im normalen Leben in vielen Situationen 100 Mal unsicherer als im Rennauto. Das ist verrückt, aber das mache ich von klein auf und ich kann die Gefahren einschätzen. Ich habe in einem Rennauto noch nie, auch nach Le Mans nicht, an Gefahr gedacht.

Über einen Crah in Le Mans sagt Rockenfeller: "Das hat mir schon nachgehangen."
© imago images
Über einen Crah in Le Mans sagt Rockenfeller: "Das hat mir schon nachgehangen."

Rockenfeller über Crash: "Weiß, dass ich damals Glück hatte"

Macht man sich denn gar keine Gedanken à la "Du hättest tot sein können?"

Rockenfeller: Doch, das schon, ich weiß auch, dass ich damals Glück hatte. Ich will das auch nicht klein reden oder auf cool machen, aber das Leben hat insgesamt viele Gefahren und birgt Risiken, das gehört einfach dazu. Als Rennfahrer ist es heutzutage überschaubarer.

Haben Sie ans Aufhören gedacht?

Rockenfeller: Ja, wenn es sportlich nicht läuft, wenn es frustrierend ist, weil nichts zusammenläuft. Da kamen die Gedanken, alles hinzuschmeißen, schon mal kurzzeitig auf. Vor allem, weil man in der DTM solche Jahre hat, in denen man die Welt nicht mehr versteht. Wie 2015 und 2016, die waren eine Voll-Katastrophe. Aber wegen des Unfalls nicht.

Haben Ihre beiden Kinder Ihre Sichtweise verändert?

Rockenfeller: In Bezug auf den Motorsport nicht wirklich, aber man relativiert viele Dinge. Was aber nicht nur an Kindern liegt, sondern auch am Alter. Aber wenn man gestresst nach Hause kommt und die Kinder warten, bist du schnell wieder zurück auf dem Boden der Realität. Lange denkt man, das perfekte Setup oder Titel sind alles, was zählt, aber irgendwann verschieben sich Prioritäten.

Glauben Sie, dass Sie mehr aus Ihrer Karriere hätten herausholen müssen?

Rockenfeller: Ja, klar, aber damit kann man sich ganz schön unglücklich machen. Es gibt einfach Dinge, bei denen du machtlos bist, wie bei meinem Crash 2011. Es war ein siegfähiges Jahr für uns, dann kommt ein Vollidiot und das Rennen ist verloren. Und du selbst kannst nichts dafür. Damit kann ich gut umgehen, man braucht für die Erfolge einfach auch Glück. Frustrierend ist es, wenn ich nicht verstehe, was falsch gelaufen ist. Aber ich schaue nicht mehr so sehr zurück, denn ich habe zu lange damit gehadert: ‚Warum nicht ich, warum die anderen?'. Ich freue mich darauf, was noch vor mir liegt.

Rockenfeller: "Habe viel von meinem Talent gelebt"

Wie schwierig war es denn für Sie, professioneller Rennfahrer zu werden?

Rockenfeller: Bei mir war nicht ganz so viel möglich wie bei anderen. Im Kart konnte ich nur begrenzt agieren, wir hatten nicht das große Budget. Dafür habe ich es gut erwischt und viel Glück gehabt, als ich zum Beispiel ein Jahr in der Formel König gewonnen habe. Ich hatte keinen Coach oder Mentor und habe viel von meinem Talent gelebt - mich vielleicht hier und da auch ein bisschen zu sehr darauf ausgeruht - aber als ich es in den Werkssport geschafft hatte, lag es nur noch an mir, da gab es keine Ausreden mehr. Ich denke, die Chancen, die ich bekommen habe, habe ich genutzt. Ich hatte aber das Glück, sie überhaupt bekommen zu haben.

Die Vorbereitung auf die Karriere war ungewöhnlich: Sie haben mit dem Traktor schon früh die Limits ausprobiert?

Rockenfeller (lacht): Wenn beide Großeltern einen Bauernhof haben, ist es unumgänglich, dass du mit allem fahren kannst, was einen Motor hat. Da hatte ich viel Freiraum und durfte als Sechsjähriger die großen Maschinen bewegen. Da habe ich früh ein Gefühl dafür bekommen, wie eine Kupplung funktioniert.

Sie sind sehr bodenständig aufgewachsen. Beeinflusst Bodenständigkeit die Karriere?

Rockenfeller: Ich denke schon. Das eine ist auf der Rennstrecke, das andere daneben. Man soll als Werksfahrer nicht nur schnell sein, sondern man ist auch ein Repräsentant der Marke und muss zuverlässig sein. Was das angeht, bin ich sehr früh erwachsen gewesen. Es geht neben der fahrerischen auch um eine menschliche Qualität. Die hat man oder hat man nicht.

Zur Bodenständigkeit gehört seit einem Jahr auch ein Leben ohne Social-Media-Account. Wie lebt es sich ohne Twitter und Co.?

Rockenfeller: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Das hat für mich auch Nachteile, und ich habe noch einmal darüber nachgedacht, es wieder rückgängig zu machen. Aber es lebt sich super damit, ich vermisse nichts, ich bin einfach nicht der Typ dafür. Wenn ich alleine meine Rennfahrer-Kollegen sehe: Die machen es toll, hängen aber auch den ganzen Tag nur am Handy rum.

Sie sagten mal, dass das alles eine Schweinwelt sei...

Rockenfeller: Da sehe ich die größte Gefahr: Dass die Jugendlichen irgendwelchen Influencern hinterherschauen. Ich will so etwas meinen Kindern nicht vorleben. Denn das Leben findet im Hier und Jetzt statt, und nicht in einer virtuellen Scheinwelt, an den schönsten Stränden und in den tollsten Klamotten. Das verabscheue ich.