Alfons Hörmann sah rot: Nach immer wieder neuen Enthüllungen und Verdächtigungen im Zuge des Korruptionsskandals im Weltverband IAAF platzte dem Chef des DOSB der Kragen.
"Es ist schlichtweg schockierend, unverständlich und in jeder Hinsicht inakzeptabel, was in der Leichtathletik von Tag zu Tag an neuen Nachrichten kommt. Vor wenigen Wochen dachten wir, schlimmer als in der FIFA kann es nicht mehr werden, aber die Leichtathletik bekommt's hin", sagte Hörmann im "Aktuellen Sportstudio" des ZDF.
Der DOSB-Präsident übte scharfe Kritik am langjährigen IAAF-Vize Helmut Digel. Der ehemalige DLV-Chef hatte erklärt, er habe vom Treiben seines korrupten Präsidenten Lamine Diack "nichts gewusst".
"Kann nichts mehr ausschließen"
Das reicht Hörmann nicht. "Wer zwei Jahrzehnte neben dem Präsidenten und - so muss man heute sagen - Verbrecher sitzt, der muss auch mal klare Kante zeigen", sagte er mit Blick auf die "erschütternden" Machenschaften des wegen der Annahme von Schmiergeldern schwer belasteten Senegalesen Diack.
Dass auch vergangene Vergaben von Großereignissen auf dem Prüfstand stehen, überrascht Hörmann nicht. Er hält sogar Unregelmäßigkeiten im Zuge der Berliner Bewerbung um die Leichtathletik-WM 2009 für denkbar.
"Man kann leider, und an dem Punkt sind wir jetzt, nichts mehr ausschließen", sagte der 55-Jährige. In dem am Donnerstag vorgestellten zweiten Untersuchungsbericht der unabhängigen Kommission der WADA wurden Unregelmäßigkeiten bei vergangenen WM-Vergaben thematisiert. Explizit genannt wurde Berlin allerdings nicht.
Japan soll gezahlt haben
Der DLV stritt jegliche Verwicklung in das Geflecht aus Korruption und Vetternwirtschaft ab. "Es ist damals niemand an uns herangetreten", sagte DLV-Präsident Clemens Prokop dem SID. Berlin hatte 2004 den Zuschlag für die Titelkämpfe 2009 erhalten.
Konkrete Hinweise gab es in dem WADA-Bericht in Bezug auf Tokio, Gastgeber der Sommerspiele 2020. In einer Fußnote hieß es, die Bewerberstadt Istanbul habe die Unterstützung des damaligen IOC-Mitglieds Lamine Diack verloren, weil die Türkei keinen Sponsorendeal in Millionenhöhe abschließen wollte.
Japan soll dagegen gezahlt haben. Auf SID-Anfrage erklärte ein IOC-Sprecher, dass das IOC die entsprechenden Unterlagen bei der WADA-Kommission angefordert habe.
"Jeder muss sich die Frage stellen"
Prokop sprach sich in der FAZ dafür aus, auch die Vergabe der Leichtathletik-WM nach Doha (2019) und Eugene (2021) zu überprüfen und zu "entscheiden, ob eine neue Vergabe notwendig ist". Diacks Nachfolger als IAAF-Präsident, der Brite Sebastian Coe, war selbst mit der WM-Vergabe an Eugene in Verbindung gebracht worden.
Als Marken-Botschafter des US-Sportartikelherstellers Nike soll der zweimalige Olympiasieger großes Interesse an einer WM im US-Bundesstaat Oregon gehabt haben. Die Nike-Zentrale ist nicht weit von Eugene entfernt. Sein Nike-Amt hat er inzwischen niedergelegt.
Hörmann sieht Lord Coe in der Krise besonders in der Pflicht: "Jeder, der im IAAF-Council war, muss sich die Frage stellen, welche politische Verantwortung er hat. Und Coe muss wissen: Diese Last hat er jetzt ganz schnell zu beseitigen. Das Vertrauen ist am Nullpunkt, da wird er sehr schnell agieren müssen, dass die Chance für den gesamten Verband besteht, eine erfolgreiche Zukunft zu gestalten."
Wahl im September
Unterdessen hat der skandalumwitterte russische Verband ARAF Dimitri Schljachtin als "Anti-Krisen-Präsident" gewählt. Er soll den Verband zunächst bis nach Olympia in Rio durch die Krise führen, ehe im September oder Oktober Olympia ein langfristiger Verbands-Chef gewählt werden soll.
In der russischen Leichtathletik hat es offenbar systematisches Doping gegeben. Der Verband ARAF war im November vorläufig suspendiert worden und muss für eine Wiederaufnahme zahlreiche Auflagen erfüllen.