FC Bayern München: Die wichtigsten Fragen zur Zukunft des FCB unter Thomas Tuchel

Von Justin Kraft
Thomas Tuchel, FC Bayern München
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Thomas Tuchel soll den FC Bayern München nach der Entlassung von Julian Nagelsmann zu Titeln führen - bestenfalls zum Triple. Doch wie kann ihm das gelingen? Und was kann der Rekordmeister von seinem neuen Trainer erwarten? Die wichtigsten Fragen zur sportlichen Tuchel-Zukunft des FCB.

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Es gibt so viele Ebenen, auf denen die Entlassung von Julian Nagelsmann und die Verpflichtung von Thomas Tuchel besonders, diskutabel und an manchen Stellen auch etwas absurd wirken. Emotional, zwischenmenschlich, selbst sportlich gehen die Meinungen auseinander, ob diese Entscheidung des FC Bayern München wirklich richtig ist.

Nun aber ist Tuchel da und der hat genau sechs Spiele vor sich, nach denen alle Titel bereits weg oder fast weg sein könnten. Erst das Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund in der Bundesliga, dann das Viertelfinale im DFB-Pokal gegen den SC Freiburg und anschließend neben weiteren Partien in der Liga die beiden entscheidenden Viertelfinal-Duelle mit Manchester City in der Champions League.

"Das setzt mich natürlich unter Druck", sagte Tuchel bei seiner Vorstellung: "Aber wenn du bei Bayern unterschreibst, geht es darum, um alle Titel mitzuspielen." Besonders interessant ist aber, dass der 49-Jährige kaum Trainingseinheiten haben wird, um der Mannschaft seinen Stempel aufzudrücken. Erst die Länderspielpause, dann englische Wochen - zwischen Abstinenz und Regeneration wird er nach eigener Aussage vieles mit kleinen Spielformen und Taktikeinheiten lösen müssen.

Aber was gibt es eigentlich zu lösen bei einem Klub, der in allen Wettbewerben noch gute Chancen auf Titel hat? Wie viel und was wird Tuchel wohl anpassen? Und wird er den FC Bayern nun in ein Defensivbollwerk verwandeln? Die wichtigsten Fragen rund um die sportliche Zusammenarbeit zwischen Tuchel und den Münchnern.

FC Bayern München, Thomas Tuchel, Analyse, Taktik, Zukunft
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FC Bayern München: Welche Probleme muss Thomas Tuchel eigentlich lösen?

In der Bundesliga steht der FC Bayern auf dem zweiten Platz - mit der Chance, im nächsten Spiel wieder die Tabellenführung zu übernehmen. Im DFB-Pokal wartet ein Heimspiel im Viertelfinale und in der Champions League spielt der Rekordmeister eine fehlerfreie Saison mit acht Siegen und 21:2 Toren. Welche Probleme genau soll Tuchel also lösen?

Geht es nach den Bossen, dann ist vor allem Konstanz das große Thema. Die Bayern haben in der Bundesliga einfach zu oft gepatzt. Zwar gab es nur drei Niederlagen, aber eben auch sieben Unentschieden. Trotz einer beeindruckenden Zahl von 72 Toren in 25 Spielen ist die Offensive Teil der Sorgen. Spieler wie Serge Gnabry, Leroy Sané oder zuletzt auch Jamal Musiala und Thomas Müller spielen nicht konstant genug, haben zu oft Durchhänger.

Im Saisonverlauf gab es zu viele Spiele, in denen die Bayern sich kaum gefährliche Chancen erspielt haben. Spiele mit vielen Toren und Abschlüssen wechselten sich regelmäßig mit schwächeren Auftritten ab. Teilweise fehlte der Zug zum Tor komplett und durch simple Ballverluste wurde auch die Defensive in Gefahr gebracht.

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FC Bayern München: Was kann Thomas Tuchel kurzfristig verändern?

Trainerwechsel haben zunächst oft einen psychologischen Effekt. Tuchel ist bekannt als guter Kommunikator, der Spieler an ihr Limit bringen kann. Dass er weniger Kumpeltyp als Nagelsmann ist, könnte für die jetzige Phase ein Vorteil sein. Durch die neue Distanz und den Wechsel steht die Mannschaft wieder stärker in der Verantwortung. "Es werden nicht alle Spieler super happy sein", erklärte Tuchel zudem: "Es passiert ein großer Umbruch, wenn ein Cheftrainer geht. Da kann Unsicherheit entstehen." Damit muss er zunächst umgehen und das Team schnellstmöglich hinter sich bringen.

Taktisch wird der ehemalige Trainer des FC Chelsea gar nicht so viel verändern können. Dafür fehlen schlicht die Trainingseinheiten und die Zeit. "Es ist nicht die Zeit für große Wechsel in der Systematik oder in der Taktik", analysierte Tuchel, der sich zudem selbst vom Zeitpunkt des Trainerwechsels überrascht zeigte: "Daher ist weniger mehr, es wird um Details gehen. Ich habe eine Idee, was man machen kann und eine große Vorfreude."

Der Erfolg von Tuchel bei all seinen Stationen lässt sich vor allem mit einer Frage erklären: Für welche Art Fußball steht er eigentlich? Denn einfach zu beantworten ist sie nicht. Bisher trainierte er im Profibereich den FSV Mainz 05, Borussia Dortmund, Paris Saint-Germain und den FC Chelsea.

All diese Teams zeigten unter ihm zwar Parallelen, doch die Schwerpunkte setzte er unterschiedlich. Tuchel ist jemand, der seine Strategie und seine taktischen Mittel hervorragend an das Profil des Kaders anpassen kann, der ihm zur Verfügung steht. Deshalb war er bei seinen Stationen nicht nur erfolgreich, sondern das meist auch auf Anhieb.

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FC Bayern München: Parkt Thomas Tuchel jetzt den Bus?

Eine Sorge einiger Fans des FC Bayern ist, liest man die Reaktionen in den sozialen Medien, dass Tuchel einen destruktiven und defensiven Ansatz für den Rekordmeister wählt. Mit dem FC Chelsea gewann er die Champions League mit einem Fünferkettensystem. Für spektakulären Offensivfußball blieb er dort nicht in Erinnerung. Auch bei seinen bisherigen Duellen mit dem FC Bayern wählte er mit all seinen Teams einen taktischen Ansatz, der vor allem darauf ausgerichtet war, gegen den Ball gut zu pressen und nach Ballgewinnen gefährlich umzuschalten.

Große Sorgen darum, dass der FC Bayern mit seiner Spielweise nun Union Berlin oder Atlético Madrid Konkurrenz macht, müssen sich die Fans des Offensivfußballs der letzten Jahre aber nicht machen. Gut möglich, dass Tuchel gerade in den Duellen mit Manchester City einen defensiveren Ansatz wählt, um die Geschwindigkeit seiner Offensivspieler im Umschaltverhalten auszunutzen. Ansonsten ist ein variables Pressing zu erwarten, das von großen Druckphasen bis hin zu einem kompakten Mittelfeldpressing vieles bieten kann. Doch ein großer Kernaspekt seiner Philosophie ist ohnehin ein gutes Positionsspiel in Ballbesitz.

Dort wird es für den FC Bayern wohl die größte Veränderung geben. Nagelsmanns Fußball war beim FC Bayern oft geprägt durch ein direktes Spiel in die Offensive. Viel Risiko, viele vertikale Pässe in die engen Räume im Zentrum, hohes Tempo - das sind Attribute, die auch unter Tuchel ihren Wert nicht komplett verlieren werden. Gleichwohl steht er vor allem für einen ruhigeren Spielaufbau.

Dort wird der neue Trainer wahrscheinlich mit hoher Priorität ansetzen, um die Münchner unter Pressingdruck zu stabilisieren und einfache Ballverluste zu vermeiden. Unter Flick und Nagelsmann zeichnete sich das Spiel der Bayern durch viele physische Komponenten und ein hohes Gegenpressing aus. Tuchel könnte den Fokus wieder mehr auf die spielerische Komponente legen. Vor allem kurzfristig wird es darum gehen, Fehler und Unsicherheiten zu minimieren und das Tempo im Spiel nach vorn womöglich etwas zu reduzieren.

Nagelsmann hat bereits gute Anlagen im Positionsspiel etabliert, die Tuchel nutzen kann. Dennoch ist es vorstellbar, dass er den Zentrumsfokus etwas auflöst und die Geschwindigkeit auf den Flügeln durch gezielte Verlagerungen noch besser einbinden möchte, indem er seine Spieler gerade im letzten Drittel breiter aufstellt. Denn unter Nagelsmann gelang es den Bayern häufig zwar gut, den Gegner in zentralen Räumen zu binden. Sie schafften es aber weniger gut, die dadurch entstehenden Räume auf den Außenbahnen durch Eins-gegen-eins-Situationen für sich zu nutzen. Ein möglicher Ansatzpunkt für Tuchel.

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FC Bayern München: Was wird sich mittel- und langfristig durch Thomas Tuchel ändern?

Mit Borussia Dortmund und Paris Saint-Germain ließ er teils hochattraktiven Ballbesitzfußball spielen. Es ist wahrscheinlicher, dass sich seine Ideen für den FC Bayern mehr mit diesen Stationen seiner Karriere decken als mit jener beim FC Chelsea. Gerade weil er aber unter ganz unterschiedlichen Voraussetzungen immer gut passende taktische Lösungen fand, ist er im Moment einer der besten Trainer der Welt.

Mittel- und langfristig könnten die Bayern sich womöglich wieder mehr in Richtung des Fußballs entwickeln, den sie unter Pep Guardiola gespielt haben. Dafür wird Tuchel womöglich auch den einen oder anderen Neuzugang brauchen. Gerade das Mittelfeld hat sich in den letzten Jahren immer stärker verändert. Spieler wie einst Toni Kroos, Xabi Alonso oder jüngst Thiago gibt es nicht mehr.

Der FC Bayern setzte vor allem auf physisch starke Spieler, die möglichst viel Raum bespielen können. Leon Goretzka ist dafür das Paradebeispiel. Joshua Kimmich ist zwar der Stratege im Mittelfeld und verfügt über ein herausragendes Passspiel, doch mit seinem Offensivdrang ist er kein klassischer Ankersechser, der die Mannschaftsteile zusammenhalten kann.

Mit Julian Weigl hatte Tuchel bei Borussia Dortmund einen Spieler, der seine Position konsequent hielt und dort den Spielaufbau ebenso regelte wie den Zusammenhalt im Pressing gegen den Ball. Auch bei Paris Saint-Germain (Marco Verratti oder Leandro Paredes) und dem FC Chelsea (Jorginho) hatte er solche Spielertypen. Soll Kimmich diese Rolle einnehmen, wird er deutlich disziplinierter sein müssen. Ob sich im Sommer auf dieser Position auch transfertechnisch etwas tut, bleibt abzuwarten.

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FC Bayern München: Dreierkette oder Viererkette?

Die alles entscheidende Frage, die für Trainer oft gar nicht so entscheidend ist: Wird der FC Bayern unter Tuchel mit einer Dreier- oder mit einer Viererkette auflaufen?

In einem System mit Dreierkette bieten sich Alphonso Davies und João Cancelo als Flügelspieler für die Breite an. Tuchel könnte so weiter an dem Ansatz feilen, den Nagelsmann zuletzt verfolgt hatte: den Abgang von Robert Lewandowski durch mehrere Offensivspieler in zentraleren Räumen zu kompensieren.

Auch eine Viererkettenformation ist denkbar. In Paris ließ Tuchel meist im 4-4-2 spielen, der BVB lief häufig im 4-1-4-1 auf. Dann wird er ähnlich wie seine Vorgänger aber wohl seltener auf zwei offensiv ausgerichtete Außenverteidiger setzen, sondern eher auf Spieler wie Benjamin Pavard oder Josip Stanisic, die hinten mit absichern. Offensiv wäre eine klarere Doppelspitze eine Option. Mit Thomas Müller, Sadio Mané, Serge Gnabry und auch Jamal Musiala hat Tuchel mehrere Spieler, die als zweite Spitze neben Eric Maxim Choupo-Moting für mehr Tiefe sorgen könnten.

Wofür sich der gebürtige Schwabe entscheidet, ist kaum vorhersehbar. Das Versprechen taktischer Flexibilität, das auch einst bei Nagelsmann als großer Vorzug genannt wurde, gibt auch Tuchel. Mit diesem Kader kann er so einiges anfangen. Tuchel hat in seiner Karriere schon oft bewiesen, dass er in kürzester Zeit erfolgreich ist.

Was ihm in München aber in die Karten spielt: Er übernimmt keinen Trümmerhaufen, sondern eine Weltklassemannschaft, die kürzlich erst Pais Saint-Germain mit 3:0 in zwei Partien besiegt hat. Auch das ist sicher eine Ebene, die das ganze Thema so besonders macht. Nach den kommenden sechs Spielen wird wohl eine weitere dazukommen.