Formel 1: Fragen und Antworten zur Dominanz von Max Verstappen: Schadet er der Königsklasse?

Von Christian Guinin
Max Verstappen
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Mit seinem neunten Sieg in Serie stellt Max Verstappen beim Großen Preis der Niederlande in Zandvoort den nächsten Rekord ein. Der Red-Bull-Pilot eilt damit weiter von Bestmarke zu Bestmarke und scheint nicht zu stoppen. Doch wie dominant ist der im Vergleich zu vergangenen Ären? Kann die Formel 1 etwas dagegen tun? Und gibt es bald Bundesliga-Verhältnisse?

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Neun Siege hintereinander, stets mindestens als Zweiter ins Ziel gerast, 138 Punkte Vorsprung in der Meisterschaft - Max Verstappen fährt in diesem Jahr alles und jeden in Grund und Boden. Die Hinterherfahrenden von Mercedes, Ferrari und Aston Martin verzweifeln an der Alleinherrschaft des niederländischen Dauersiegers.

Die Weltmeisterschaft Verstappens ist längst in Stein gemeißelt, lediglich ein Wunder könnte dies noch verhindern. Überhaupt macht sich die Frage breit, wie viele Rekorde der Red-Bull-Pilot in diesem Jahr noch knacken könnte. Ist überhaupt ein Ende seiner Dominanz in Sicht? Und was hat das für Auswirkungen? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.

Max Verstappen
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Max Verstappen: Wie dominant ist er wirklich?

Blickt man in die lange Historie der Königsklasse des Motorsports, so wird man schnell feststellen, dass dominante Ären, welche sich teilweise über mehrere Jahre erstrecken, nichts Besonderes sind. Egal ob Michael Schumacher, Sebastian Vettel oder Lewis Hamilton - sie alle prägten F1-Epochen in denen der Kampf um den Titel vor allem eins war: einseitig und langweilig.

Die Dominanz Max Verstappens in diesem Jahr ist in vielerlei Hinsicht aber noch einmal extremer. Nicht nur in Bezug auf die reine Siegquote des Niederländers, welche nach 13 von 22 Saisonrennen bei knapp 85 Prozent liegt (bei seinem Rennstall Red Bull sogar bei 100 Prozent), ist er das Nonplusultra. Auch in vielen anderen aussagekräftigen Statistiken hat er deutlich die Nase vorne.

Beispielsweise bei den Führungsrunden. Hier gehen im laufenden Jahr 630 von 796 Runden auf das Konto Verstappens, was eine Quote von 80 Prozent bedeutet. Nimmt man Red Bull als gesamtes Team in die Wertung, also auch Verstappens Teamkollege Sergio Pérez, liegt der Wert sogar bei über 96 Prozent. 20 von 26 möglichen Podestplätzen für Red Bull (77 Prozent) klingen da fast schon nach einer Enttäuschung, hier patzte aber lediglich der Mexikaner, welcher es in Australien, Monaco, Spanien, Kanada, Großbritannien und der Niederlande am Rennende nicht unter die besten drei Piloten schaffte.

Max Verstappen, Lewis Hamilton
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Formel 1: Verstappen dominanter als Schumi, Vettel und Hamilton

Vergleicht man all diese Zahlen mit den Vettels, Hamiltons und Schumachers, wird die drückende Dominanz noch deutlicher. Vettel brachte es in seiner dominantesten Saison (2013) beispielsweise auf eine Quote von 60 Prozent Führungsrunden, Lewis Hamilton (2020) auf 59 Prozent und Michael Schumacher (2004) auf 61 Prozent. Bei Rennsiegen sieht es prozentual für das Dreiergespann noch düsterer aus. Während Schumacher 2004 immerhin noch 72 Prozent aller Saisonrennen gewinnen konnte, schafften Vettel (68 Prozent) und Hamilton (65 Prozent) nicht einmal mehr die 70-Prozent-Marke.

Hier kann und darf man argumentieren, dass ja erst etwas mehr als die Hälfte aller Saisonrennen 2023 absolviert wurden. Es bleibt also noch Zeit genug für andere Teams und Fahrer, sich selbst in der Vordergrund zu fahren und der beeindruckenden Serie Verstappens ein Ende zu setzen. Das Gefühl, dass sich jemand anderes aufmacht, den Niederländer herauszufordern, bekommt man jedoch keineswegs.

Viel zu sehr stecken die anderen Teams bis zum Hals in Problembergen. Keinem einzigen Kontrahenten von Red Bull und Verstappen - sei es Ferrari, Mercedes, Aston Martin oder McLaren - gelingt es, konstant eigene Top-Leistungen abzurufen. So nimmt man sich viel mehr gegenseitig Punkte und Podestplätze weg, als dem Niederländer ernsthaft Paroli zu bieten.

Max Verstappen
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Max Verstappens Dominanz in der Formel 1: Wie konnte es dazu kommen?

Zur Saison 2022 beschloss die Formel 1 eigentlich weitreichende Regeländerungen, welche das Ziel hatten, die Königsklasse einerseits zukunftsfähiger, grüner und umweltfreundlicher, andererseits aber auch deutlich kompetitiver und fairer zu gestalten.

So wurden neben einem Budget-Cap (exklusive der Gehälter der Fahrer, die der drei bestverdienenden Mitarbeiter und dem Aufwand fürs Marketing) veränderte Front- und Heckflügel sowie neue Reifen, Unterböden und Seitenkästen eingeführt. Darüber hinaus vereinheitlichte man eine Vielzahl an Komponenten, um den extremen Performance-Unterschied zwischen den einzelnen Teams zu minimieren. Laut offiziellen Angaben betrug der Gestaltungsspielraum der Designer und Ingenieure bei diversen Teilen nur noch 15 Prozent des Werts des alten Reglements.

Ein weiterer sehr entscheidender Punkt war die Anpassung der Zeit der Teams im Windkanal. So wurde einerseits die effektive Testzeit bei der Entwicklung im Windkanal verringert. Andererseits führte die Formel 1 aber auch ein Fairness-System nach US-amerikanischem Vorbild ein. Je schlechter ein Rennstall in der Vorsaison abschnitt, desto mehr Zeit sollte er im Windkanal bekommen.

All das klingt zunächst einmal nach einem ordentlichen Maßnahmenpaket, um Alleinunterhaltern an der Spitze den Garaus zu machen. Und tatsächlich. Der damalige Serienmeister Mercedes in Persona von Lewis Hamilton wurde vom Thron gestoßen. Verstappen trat an seine Stelle, der Rest der Geschichte bis hierhin ist bekannt.

Christian Horner, Max Verstappen
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Formel 1: Red Bull ist der Konkurrenz überlegen

Woran liegt es also, dass Red Bull dem Niederländer trotz dieses Reglements ein Auto bauen konnte, welches der Konkurrenz dermaßen überlegen ist? Und die Antwort darauf ist relativ simpel: Die Österreicher machen im gesamten F1-Feld einfach den mit Abstand besten Job, wenn es darum geht, ein Auto auf einen einzelnen Top-Fahrer zuzuschneiden. Während Ferrari und Mercedes, welche von den logistischen Mitteln den Österreichern in keinster Weise nachstehen, damit beschäftigt sind, einen Boliden für zwei Piloten zu bauen, heißt bei Red Bull die einfache Devise: Alles für Verstappen.

Aufgrund der mittlerweile jahrelangen Zusammenarbeit sind der Niederländer und sein Team ein eingespieltes Gespann. Red Bull weiß genau, welches Paket Verstappen haben möchte und entwickelt das Auto dementsprechend und zu 100 Prozent nach seinen Wünschen und Vorstellungen. Teamkollege Pérez hat hingegen überhaupt kein Mitspracherecht in Sachen Konzept und muss sich viel mehr an Verstappens Fahrstil und Vorlieben anpassen anstatt eigene Ideen vorzubringen.

Mit Adrian Newey hat man darüber hinaus den wahrscheinlich brillantesten Aerodynamiker der jüngeren F1-Geschichte in den eigenen Reihen. Und auch der neu gegründete, in Zusammenarbeit mit Ex-Motorenlieferant Honda aufgebaute Antriebs-Hersteller Red Bull Powertrains macht ziemlich gute Arbeit. Kurzum: Auf ungemein vielen Ebenen ist Red Bull die absolute Speerspitze in der Formel 1.

Und dann wäre da natürlich noch Verstappen selbst, welcher sich schon jetzt aufmacht, einer der größten F1-Piloten der Geschichte zu werden. In Sachen reinem Rennspeed schon seit einigen Jahren der schnellste Mann im Feld, hat sich der Niederländer von Saison zu Saison auch in Bezug auf Fehleranfälligkeit, Konstanz und strategischer Intelligenz stetig weiterentwickelt. Nicht umsonst bezeichnete ihn der eigentlich eher reservierte und zurückhaltende Niki Lauda einst als "Jahrhunderttalent", vor welchem er ehrfürchtig sein "Kapperl" zog.

Max Verstappen, Stefano Domenicali
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Max Verstappens Dominanz: Kann die Formel 1 etwas dagegen unternehmen?

Eine Lösung des "Problems" ist aktuell nicht in Sicht. Aus eigener Kraft ist derzeit kein anderes Team im Stande Red Bull und Verstappen herauszufordern, die weiße Fahne ist längst gehisst. "Hoffentlich", meint etwa Ferrari-Pilot Carlos Sainz, "macht Red Bull irgendwann einen Fehler. Dann muss ich da sein und die Gelegenheit beim Schopfe packen." Ins gleiche Horn stößt Lando Norris (McLaren): "Einmal müssen sie ja einen Fehler machen."

Der Formel 1 selbst sind die Hände ebenfalls gebunden. Erst 2026, so steht zu befürchten, könnte die Konkurrenz so weit sein, die Dominanz des Brauseherstellers infrage zu stellen, wenn das grundlegend neue Regelwerk eingeführt wird. Dann heißt es erneut: Neue Motoren, neue Aerodynamik, noch mehr Einheitsteile. Auch eine weitere Anpassung der Kostendeckelung ist im Gespräch.

Aber wird das wirklich helfen? Schließlich waren die Änderungen zur Saison 2022 im Verhältnis zu anderen Regel-Anpassungen in der Vergangenheit nahezu revolutionär. Stattdessen hat es zu einer neuen, noch dominanteren Epoche geführt, die sich nach nicht einmal zwei Jahren schon so langweilig und eintönig anfühlt wie eine gesamte Dekade Mercedes-Dominanz. Eine Prognose dafür ist noch zu früh. Weder kennt man die genauen Vorhaben der Formel 1, noch gibt es Informationen, wie die Königsklasse bis dahin aussehen wird. Neue Teams und Hersteller könnten hinzukommen und die Szene neu aufmischen, andere hingegen abspringen.

Lando Norris, Lewis Hamilton, Max Verstappen
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Formel 1: Verstappen wünscht sich Teams "näher beieinander"

Bis zur Saison 2026, so viel sei aber mal gesagt, sieht es düster aus. Im Antriebs-Bereich, vielleicht die einzige Sparte, in der starke Marken und Hersteller wie Ferrari oder Mercedes sich gegenüber Red Bull einen Vorteil erarbeiten könnten, ist die Entwicklung aufgrund der finanziellen Einbußen der Teams nach der Corona-Pandemie bis auf Weiteres eingefroren.

Den enormen Rückstand nur mit aerodynamischen Teilen wettzumachen, gleicht einem hoffnungslosen Unterfangen. Zudem wird Red Bull aufgrund des reibungslosen Saisonverlaufs und dem damit verbundenen Gewinn beider WM-Wertungen schon früh mit der Entwicklung des 24er-Boliden beginnen können, während andere Teams vielleicht bis zum Ende um Platzierungen und Punkte kämpfen müssen.

Abhilfe könnte da ein Vorschlag von Ex-Weltmeister Hamilton schaffen. Per Vorschrift soll die Formel 1 den Zeitpunkt bestimmen, zu dem die Teams damit beginnen dürfen, den Boliden für die folgende Saison zu entwerfen. Dadurch, so glaubt der Brite, würde sich der Erfolg nicht von Jahr zu Jahr weitervererben.

In Zandvoort brachte sogar Verstappen, angesprochen auf seine Dominanz, den Wunsch nach mehr Herausforderung zum Ausdruck. "Eine Saison wie diese erlebst du vielleicht ein- oder zweimal in der Karriere", meinte Verstappen. "Es ist entspannter, komfortabel zu gewinnen. Aber wir sind Rennfahrer. Wenn die Teams näher beieinander wären - auch gut."

Max Verstappen
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Max Verstappen: Wie sehr schadet seine Dominanz der Formel 1?

Aktuell trägt die Formel 1 von der Verstappen-Dominanz noch keinen allzu großen Schaden. Vor allem in den USA, Asien und den arabischen Ländern boomt die Serie mit Jahr für Jahr neuen Zuschauerrekorden bei den Rennen. Zu verdanken hat man das vor allem einer cleveren Marketing-Strategie sowie Shows wie Netflix' "Formula 1: Drive to Survive", die speziell in den Staaten eine Welle des Hypes rund um die Königsklasse ausgelöst hat.

Hinzu gekommen sind dabei hauptsächlich Fans, welche sich erst seit kurzem mit der Formel 1 beschäftigen. Dort löst die Verstappen-Serie dementsprechend noch nicht diese großen Befürchtungen aus, die alteingesessene Zuschauer der F1 haben. Hält das "Problem Verstappen" aber weiter an, wird sich auch dort früher oder später die Langeweile breit machen. Seriensieger im Sport mag niemand, seien sie auch noch so sympathisch und Fan-gestützt wie Verstappen.

Als drohendes Beispiel sollte die Bundesliga und dortige Dominanz des FC Bayern dienen. Im internationalen Vergleich hat das deutsche Fußball-Oberhaus die Quittung für fehlende Spannung im Titelkampf längst bekommen. Die Formel 1 kann sich (noch) glücklich schätzen, keine ebenbürtige Serie als Konkurrenten zu haben, in der es spannender zugeht. Die seit Jahren sinkenden Zuschauerzahlen könnten ein böser Vorbote für die F1-Macher sein. Das Gute: Noch hat die Königsklasse etwas Zeit, um entgegenzusteuern.

Max Verstappen
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Formel 1: Stand in der Fahrerwertung und der Konstrukteurswertung nach 14 von 23 Rennen*

Fahrerwertung:

Pos.FahrerPkt.
1.Max Verstappen (Red Bull)339
2.Sergio Pérez (Red Bull)201
3.Fernando Alonso (Aston Martin)168
4.Lewis Hamilton (Mercedes)156
5.Carlos Sainz (Ferrari)102
6.Charles Leclerc (Ferrari)99
7.George Russell (Mercedes)99
8.Lando Norris (McLaren)75
9.Lance Stroll (Aston Martin)47
10.Pierre Gasly (Alpine)37
11.Esteban Ocon (Alpine)36
12.Oscar Piastri (McLaren)36
13.Alexander Albon (Williams)15
14.Nico Hülkenberg (Haas)9
15.Valtteri Bottas (Alfa Romeo)5
16.Guanyu Zhou (Alfa Romeo)4
17.Yuki Tsunoda (AlphaTauri)3
18.Kevin Magnussen (Haas)2
19.Logan Sargeant (Williams)0
20.Daniel Ricciardo (AlphaTauri)0
21.Nyck de Vries (AlphaTauri)0
22.Liam Lawson (AlphaTauri)0

Konstrukteurswertung:

Pos.TeamPkt.
1.Red Bull Racing540
2.Mercedes-Benz255
3.Aston Martin215
4.Ferrari201
5.McLaren111
6.Alpine73
7.Williams15
8.Haas11
9.Alfa-Romeo9
10.AlphaTauri3

*Der Große Preis der Emilia Romagna musste aufgrund der starken Regenfälle in der Region abgesagt werden.

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