Formel 1, Power Ranking zum Saisonstart: Mercedes zurück auf dem Boden der Tatsachen - ein Traditionsteam schmiert ab

Von Christian Guinin
Nico Hülkenberg
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Die Testfahrten sind absolviert, der Start in die neue Formel-1-Saison ist weniger als eine Woche entfernt. Mit Blick auf das erste Rennen auf dem Bahrain International Circuit am kommenden Sonntag macht SPOX den Check. Wer geht als Favorit ins neue Jahr? Wer muss sich eher nach hinten orientieren?

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Williams
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Platz 10: Williams (Alexander Albon & Logan Sargeant)

Schnellste Rundenzeit: 1:32.762 (-2,378 Sek. zu 2022), Testdistanz: 439 Runden (2.375,87 Kilometer)

Der britische Traditionsrennstall hat sich für das Jahr 2023 vorgenommen, endgültig dem Dasein als Hinterbänkler zu entkommen und den Anschluss an die Mittelfeldplätze zu finden. Nach allem, was man bei den Tests sehen konnte, muss man allerdings festhalten: Wirklich gelungen ist das nicht.

Vorab positiv zu erwähnen ist: Von allen zehn Teams spulte man die zweitmeisten Kilometer ab und auch auf eine Runde gesehen ist man der Rennstall, welcher am meisten Zeit im Vergleich zu den Vorjahres-Tests gutmachte. Mit guten Neuigkeiten war es das dann aber schon.

Der erste gute Eindruck am Donnerstag zog sich nämlich nicht über die vollen drei Tage. Williams hat nach wie vor große Probleme im Renntrimm - bei den Longruns, welche Alexander Albon am Samstagabend absolvierte, scheint man gegenüber allen anderen Teams das Nachsehen zu haben. Es scheint das nächste schwierige Jahr für die Truppe aus Grove zu werden.

Haas
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Platz 9: Haas (Nico Hülkenberg & Kevin Magnussen)

Schnellste Rundenzeit: 1:31.301 (-0,860 Sek. zu 2022), Testdistanz: 414 Runden (2.240,57 Kilometer)

Kann Nico Hülkenberg als letzter verbleibender Deutscher im Fahrerfeld für das ein oder andere Ausrufezeichen sorgen? Der erste Eindruck lässt das zumindest nicht vermuten, auch wenn Teamchef Günther Steiner von den "besten Tests" sprach, die der US-amerikanische Rennstall jemals hatte.

"In Sachen Vorbereitung und in Sachen Fahrzeit, ja", konkretisierte der Südtiroler nach dem Ende des letzten Testtages. "Aber es ist unser bester, weil wir letztes Jahr unseren schlechtesten Test hatten, weil wir so oft kaputtgegangen sind."

Und tatsächlich: Im Gegensatz zum letzten Jahr, als man aufgrund von technischen Problemen und Einreiseproblemen wichtige Zeit auf der Strecke verpasst hatte sowie mit der Entlassung von Nikita Mazepin einen Krisenherd im Team hatte, verliefen die Tests 2023 weitestgehend reibungslos.

Sorgenfalten sollte Haas allerdings das Zeitentableau bereiten. Auf eine gewertete Runde ist man mit P6 noch halbwegs bei der Musik dabei, die Rennsimulation macht aber wenig Hoffnung auf Besserung. Dort scheint aktuell nur Williams noch schwächer, mit den erhofften Punkterängen wird es also wohl erst einmal nichts.

McLaren
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Platz 8: McLaren (Lando Norris & Oscar Piastri)

Schnellste Rundenzeit: 1:32.160 (-1,011 Sek. zu 2022), Testdistanz: 311 Runden (1.683,13 Kilometer)

Das Traditionsteam ist die vielleicht größte Enttäuschung der Testfahrten in Bahrain. Die wenig zuversichtlichen Worte von Teamchef Andrea Stella bei der Präsentation des Autos Mitte Februar ("Wir sind nicht komplett zufrieden mit dem Startauto") spiegeln tatsächlich die Realität wieder. McLaren ist aus der erweiterten Spitzengruppe herausgefallen, der Blick muss eher nach hinten gerichtet werden.

Probleme macht der MCL60 vor allem auf aerodynamischer Ebene. Hier ist man vielleicht sogar am schlechtesten von allen zehn Teams aufgestellt, die beiden Piloten Lando Norris und Oscar Piastri hatten während der drei Tage große Probleme, ihren Boliden um den Kurs zu bewegen. Das Auto wirkt schwerfällig, Lenk- und Bremsbewegungen sind nicht flüssig.

Das beeinträchtigte zu allem Überfluss auch die abgespulten Kilometer. Am Donnerstag und Samstag musste McLaren das Auto über weite Strecken in der Garage stehen lassen, da es Probleme mit den vorderen Deflektoren gab. Das Team betonte zwar, dass diese Probleme bis zum kommenden Sonntag behoben seien, wichtige Daten fehlen aber dennoch.

So gibt es beim britischen Rennstall im Gegensatz zu fast allen anderen Teams auch nur wenig Details in Sachen Rennpace. Die schnellste Rennrunde ist aufgrund der unklaren Spritmenge zu vernachlässigen, richtige Longruns absolvierte McLaren aber keine.

AlphaTauri
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Platz 7: AlphaTauri (Yuki Tsunoda & Nyck de Vries)

Schnellste Rundenzeit: 1:31.261 (-1,741 Sek. zu 2022), Testdistanz: 456 Runden (2.467,87 Kilometer)

Das B-Team Red Bulls ist nach den Tests nur schwer einzuschätzen. Auffällig unauffällig beschreibt die Gesamtperformance AlphaTauris wohl am besten.

Erfreulich ist für das Team von Franz Tost die abgespulte Distanz von knapp 2.500 Kilometern (am meisten aller Teams), gegenüber den vermeintlich direkten Konkurrenten Haas und McLaren ist man hier also klar im Vorteil was die Erhebung von Daten angeht.

Weniger gut sieht es wiederum bei der Pace im Renntrimm aus. Zu den Plätzen fünf und sechs klafft mit knapp drei bis vier Zehntel Rückstand pro Runde eine riesige Lücke, welche bis zum Sonntag in keinem Fall geschlossen werden kann.

Mit McLaren bewegt man sich aktuell wohl auf Augenhohe, beim britischen Traditionsteam kann man aber erwarten, dass bis zum Sonntag noch nachgelegt wird.

Alpine
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Platz 6: Alpine (Esteban Ocon & Pierre Gasly)

Schnellste Rundenzeit: 1:32.762 (+0,064 Sek. zu 2022), Testdistanz: 353 Runden (1.910,44 Kilometer)

Ähnlich wie AlphaTauri spielten auch die Franzosen während der dreitägigen Tests nicht mit offenen Karten. Im Team zeigte man sich zumindest optimistisch in Bezug auf die Gesamtperformance. "Wir haben ein gewisses Maß an Zuversicht. Natürlich haben wir das, denn wir haben eindeutig nicht das volle Potenzial des Autos ausgeschöpft", resümierte der technische Direktor von Alpine, Matt Harman.

Genau dieses versteckte Potenzial lässt den Alpine fürs Erste schwierig bewerten. Denn was man zu Gesicht bekam, sah keineswegs schlecht aus. Die Longruns konnten sich - auch wenn sie im Vergleich zu anderen Teams deutlich abgespeckter abgewickelt wurden - mehr als sehen lassen, auch wenn Teamchef Szafnauer betont, in Sachen Spritmenge wenig experimentiert zu haben.

"Wir sind noch nicht mit weniger Benzin gefahren, um zu sehen, was wir über eine Runde erreichen können", so der Alpine-Boss. Dass man als einziges Team ein positives Delta im Vergleich zu 2022 hat, ist deshalb auch zu vernachlässigen.

Weitere Zuversicht versprüht ein bereits für den Auftakt am Sonntag angekündigtes Aero-Upgrade-Paket. "Es wird einige optische Unterschiede geben", ließ Szafnauer diesbezüglich durchblicken. "Wir haben ein ziemlich gutes Upgrade, das uns hoffentlich dabei helfen wird, näher an Platz drei heranzukommen, wenn nicht sogar diesen zu erreichen."

Alfa Romeo
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Platz 5: Alfa Romeo (Valtteri Bottas & Guanyu Zhou)

Schnellste Rundenzeit: 1:30.827 (-2,158 Sek. zu 2022), Testdistanz: 401 Runden (2.170,21 Kilometer)

Die Truppe aus Hinwil ist eine der positiven Überraschungen der Tests. Neben Red Bull und Mercedes war man das einzige Team, welches auf eine Runde unterhalb der magischen Grenze von 1:31 lag, am Freitag überraschte Guanyu Zhou sogar mit der absoluten Tagesbestzeit.

Über die Aussagekraft dieser Marke lässt sich zwar streiten, schließlich war der Chinese auch mit der weichsten Mischung (C5) unterwegs, dass man auf eine Runde aber durchaus Potenzial hat, unterstrich am Folgetag auch Teamkollege Valtteri Bottas. Dieser war Tags darauf noch einmal schneller als Zhou.

Darüber hinaus scheinen auch die Longruns bei Alfa ziemlich vielversprechend zu sein. Am Samstagmorgen absolvierte Bottas zeitgleich mit Mercedes-Pilot George Russell eine Rennsimulation und bewegte sich dabei absolut auf Augenhöhe mit dem Engländer. Zweitweise knallte der Finne sogar bessere Rundenzeiten aufs Tableau.

"Das Gefühl mit dem Auto ist recht positiv", zog Bottas ein vielversprechendes Fazit. "Es ist definitiv deutlich besser als zum gleichen Zeitpunkt im letzten Jahr. Ich denke, wir sind gut vorbereitet auf die neue Saison - so vorbereitet, wie man nur sein kann."

Aston Martin
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Platz 4: Aston Martin (Fernando Alonso & Lance Stroll)

Schnellste Rundenzeit: 1:31.450 (-2,371 Sek. zu 2022), Testdistanz: 387 Runden (2.094,44 Kilometer)

Der Ex-Rennstall von Sebastian Vettel ist ohne Frage der große Gewinner der Testfahrten. Zuverlässigkeit, Rundenzeiten und Longruns - es gab kaum einen Aspekt, bei dem Aston Martin keine verwunderten Blicke von der Konkurrenz kassierte.

"Es ist klar, dass Aston Martin einen Schritt gemacht hat. Fernando Alonso scheint an beiden Tagen und bei beiden Bedingungen (morgens und abends; Anm. d. R.) sehr konkurrenzfähig zu sein. Ich denke, er wird im Kampf um das Mittelfeld ganz vorne mitmischen", gab Alfa-Pilot Zhou seine Einschätzung zum Boliden in grün ab. Ähnlich äußerte sich auch Hülkenberg-Teamkollege Kevin Magnussen. "Aston Martin sieht schnell aus."

Vor allem in Sachen Rennpace wussten die Briten zu überzeugen. Bei Alonsos angesprochener Longrun-Simulation performte der Spanier über weite Strecken schneller als die Mercedes-Piloten, sogar Ferrari scheint, Stand jetzt, in Reichweite zu sein. Ähnlich sah es bei Felipe Drugovich am Samstagmorgen aus - durchgehend bewegte sich der Stroll-Ersatz auf dem Niveau der Silberpfeile.

Übermäßig hohe Erwartungen will man bei Aston Martin aber nicht schüren, schließlich wisse man nicht, wie viel die Top-Teams wirklich gezeigt hätten. "Es gibt viel Energie, aber keinen Hype", wollte Teamchef Mike Krack die Messlatte nicht zu hoch ansetzen. "Ich glaube, wir müssen mit den Füßen auf dem Boden bleiben. Wir sind Realisten. Wir haben klare Ziele, die wir im Vergleich zum letzten Jahr verbessern wollen. Und dann werden wir sehen."

In eine ähnlich Kerbe schlug Alonso, der die Euphorie ebenfalls etwas einbremsen wollte. "Vergangenes Jahr war Aston Martin Siebter in der Konstrukteurswertung. Wir müssen also sehen, was wir tun können, aber wir wollen nicht wieder Siebter werden. Ich denke, es ist unrealistisch zu glauben, dass wir in die Nähe der Top 3 kommen werden."

Mercedes
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Platz 3: Mercedes (Lewis Hamilton & George Russell)

Schnellste Rundenzeit: 1:30.664 (-2,095 Sek. zu 2022), Testdistanz: 398 Runden (2.153,98 Kilometer)

Die Euphorie der Silberpfeile ist nach einem starken Schlussspurt zum Ende der vergangenen Saison spätestens seit den Tests in Bahrain wieder verpufft. Mercedes wurde auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Und diese machen derzeit wenig Hoffnungen auf Rennsiege oder gar den ersehnten WM-Titel für Lewis Hamilton.

Zwar ist das große Problem von 2022, das Porpoising am Unterboden, endgültig behoben, die aerodynamischen Schwierigkeiten am Mercedes scheinen aber immer noch nicht aus der Welt zu sein. Auf dem Bahrain International Circuit machte vor allem das Heck Probleme.

"Das Bouncing, das wir hatten, ist ziemlich weg, und das ist ein Riesenschritt für uns", ging Hamilton ins Detail. "Es ist angenehm, ohne Bouncing durch die Kurven zu fahren. Aber es gibt immer noch ein paar tieferliegende Dinge, durch die wir uns arbeiten müssen." Dinge, die wohl nicht über Nacht behoben werden können.

Im Laufe der Tage fand eine Steigerung statt, richtig zufrieden ist bei den Silberpfeilen aber niemand. Die Longruns von Russell am Samstag waren für Mercedes-Verhältnisse okay, zur Spitze gibt es aber einen gehörigen Rückstand. "Es ist klar, dass wir noch an der Pace des Autos arbeiten müssen, aber der heutige Tag hat uns ein viel kohärenteres Bild davon vermittelt, worauf wir unsere Anstrengungen konzentrieren müssen", sagte Andrew Shovlin, der Einsatzleiter an der Rennstrecke.

Ferrari
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Platz 2: Ferrari (Charles Leclerc & Carlos Sainz)

Schnellste Rundenzeit: 1:31.024 (-1,381 Sek. zu 2022), Testdistanz: 416 Runden (2.251,39 Kilometer)

Neuer Teamchef, neues Jahr, neues Glück. Bei der Scuderia soll 2023 alles anders laufen. Dominator Max Verstappen soll endlich vom F1-Thron gestoßen werden und im besten Fall durch einen der eigenen Piloten ersetzt werden. Doch ist diese Erwartungshaltung nach den Tests überhaupt gerechtfertigt.

Zum Teil zumindest. Vor allem beim Thema Motor scheinen die Roten einen deutlichen Schritt im Vergleich zum Vorjahr gemacht zu haben, Charles Leclerc und Carlos Sainz konnten reihenweise die höchsten Topspeed-Werte auf den Geraden vorweisen.

Abstriche gibt es hingegen bei der Aerodynamik und im Kurvenhandling, was Leclerc am Samstag bestätigte: "Wir haben in den Kurven vielleicht etwas mehr zu kämpfen." Das Auto fühle sich anders an als der Vorgänger. "Ich werde nicht zu sehr ins Detail gehen, aber ich denke, dass es auf die richtige Art und Weise gemacht wurde", so der Monegasse weiter.

Der zweite große Problempunkt scheint bei Ferrari der starke Reifenverschleiß zu sein. Besonders in den Morgensessions, als die Temperaturen in Bahrain sehr heiß waren, konnte man in den Longruns nicht mit der Spitze mithalten. Bei abkühlender Streckentemperatur und mehr Grip war der Nachteil dann nur noch marginal.

Dass die nächsten Grands Prix in Bahrain und Saudi-Arabien Nachtrennen sind, dürfte die Probleme bei Ferrari also etwas kaschieren, sofern die Scuderia nicht ohnehin eine Lösung gegen den hohen Reifenverschleiß findet.

Red Bull
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Platz 1: Red Bull (Max Verstappen & Sergio Pérez)

Schnellste Rundenzeit: 1:30.305 (-1,415 Sek. zu 2022), Testdistanz: 413 Runden (2.235,16 Kilometer)

Wie gut der Red Bull im Jahr 2023 wirklich ist, wird sich erst am kommenden Wochenende beantworten lassen. Fürs Erste gibt es aber nur wenig Anhaltspunkte, die daran zweifeln lassen, dass die Österreicher auch in dieser Saison die Truppe sind, die es auf dem Weg zum WM-Titel zu schlagen gilt.

Die Rennsimulation, welche Sergio Pérez am Freitagvormittag absolvierte, war die mit Abstand schnellste und beständigste der drei Testtage. Alonso und Alpine-Pilot Pierre Gasly, welche gleichzeitig mit dem Mexikaner auf der Strecke waren und damit identische Bedingungen vorfanden, wurden um rund neun (!) Zehntel pro Runde distanziert.

Bei Red Bull hätte man nach Aussage von Motorsportchef Helmut Marko sogar schon am Setup-Feintuning für das Rennen am Sonntag gearbeitet. "Es hat sich gezeigt, dass wir zuverlässig sind und dass wir schnell sind", resümierte der 79-Jährige zufrieden. Dass man auch auf eine Runde gesehen am schnellsten im Feld war, unterstreicht den sehr positiven Gesamteindruck.

Für Sonntag gehen die Bullen deshalb auch als klarer Favorit ins Rennen. "Es gibt immer ein paar Kleinigkeiten, die noch besser sein könnten. Aber fürs erste Mal mit einem neuem Auto war das schon ziemlich nah am Optimum", meinte Weltmeister Verstappen.

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