SPOX und Goal liefern die fünf wichtigsten Erkenntnisse.
1. Real Madrid ist wieder zurück
Ja, Barca trat nicht in absoluter Bestbesetzung an. Und ja, der angeschlagene Lionel Messi griff erst ab der 64. Minute aktiv ins Spielgeschehen ein. Trotzdem zeigte der Clasico, dass in der Primetime der Saison mit Real Madrid zu rechnen ist. Die in der Hinrunde noch konfusen Königlichen waren gerade in der ersten Halbzeit die bessere Mannschaft, versäumten es jedoch, nach der frühen Führung durch Lucas Vazquez (6.) nachzulegen.
Barcas Defensive leistete sich überraschend viele Ballverluste und Abstimmungsfehler bei der Vorwärtsbewegung in der eigenen Hälfte, die die Gäste nicht bestraften. Der Torschütze sprach nach Schlusspfiff von einem "bittersüßen Geschmack", man sei zwar zufrieden mit der Leistung, nicht aber mit dem Ergebnis. "Wenn wir uns etwas vorwerfen können, dann, dass uns vor dem Tor Abstimmung und Präzision gefehlt haben", resümierte Vazquez.
Unter dem Strich können die Hauptstädter das 1:1 jedoch als Fingerzeig in die richtige Richtung deuten. Ende Oktober waren sie im Liga-Clasico noch mit 1:5 vom Erzrivalen verprügelt worden. Eine Schmach, die nicht nur zur Entlassung des damaligen Trainers Julen Lopetegui führte, sondern auch das von Egos nur so strotzende Starensemble auseinandertrieb. Lopeteguis Nachfolger Santiago Solari gelang es sukzessiv, den Teamgedanken wieder in den Vordergrund zu stellen. Vor allem im Spiel ohne Ball präsentiert sich Real seit Jahresbeginn weitaus geschlossener und disziplinierter.
Hinzu kommt, dass Leistungsträger wie Sergio Ramos, Raphael Varane oder Luka Modric das kräftezehrende WM-Jahr allmählich abschütteln und sich ihrer Bestform nähern. "Wir haben unter Beweis gestellt, dass wir eine Mannschaft sind, die sehr ernsthaft arbeitet", sagte Solari nach dem Clasico. Seine Truppe ist nunmehr seit sechs Spielen ungeschlagen. Das Achtelfinale der Champions League gegen Ajax Amsterdam (Mittwoch ab 21 im LIVETICKER) kommt zur rechten Zeit
2. Marcelo, Isco und Bale bleiben Reals Sorgenkinder
Solari setzt gnadenlos auf das Leistungsprinzip. Um seine löchrige Defensive zu stärken, probierte der Argentinier zuletzt verschiedene Systeme und Aufstellungen aus. Die Leitragenden hießen dabei vor allem Marcelo, Isco und Gareth Bale. Ersterer wurde im Clasico begnadigt und dem aufstrebenden Eigengewächs Sergio Reguilon auf der linken Abwehrseite vorgezogen. Werbung in eigener Sache konnte der Brasilianer allerdings nicht betreiben. Bis auf ein paar nette Finten und Hackenpässe war offensiv nichts von Marcelo zu sehen, auch weil er zu sehr damit beschäftigt war, Barcas rechte Seite mit Malcom und Nelson Semedo in den Griff zu bekommen.
Das gelang ihm in der ersten Hälfte mäßig, in der zweiten überhaupt nicht. Insbesondere beim Gegentor, als er nur zurücktrabte, während Malcom lossprintete und den Ball nach dem Pfostenschuss von Luis Suarez im Netz unterbrachte. "Wir arbeiten daran, aus jedem das Beste herauszuholen", sagte Solari anschließend über Marcelo. Konkreter zu dessen Verhalten beim Gegentor befragt, antwortete er nur: "Kein Kommentar, danke."
Der eingewechselte Bale machte es nicht besser, bestritt in knapp einer halben Stunde nur einen Zweikampf und verbuchte elf Ballaktionen. "Er hat überhaupt keine Bindung zum Spiel und ist verletzungsanfällig. Wir Madridistas sind alle verärgert über das, was er spielt", hatte Real-Legende Predrag Mijatovic bereits vor der Partie in einem Interview mit dem Radiosender Cadena Ser gesagt.
Ein Verkauf des Walisers dürfte nach Saisonende - einmal mehr - zum Thema an der Concha Espina werden. Gerüchte um eine Rückkehr auf die Insel kursieren seit Monaten. Fraglich auch, wie es mit Isco weitergeht. Der spanische Nationalspieler schmorte im Camp Nou 90 Minuten lang auf der Bank. Sein Verhältnis zu Solari ist vom ersten Tag an angespannt. Erst warf der Trainer dem Spielgestalter vor, nicht akribisch genug im Training zu arbeiten, jetzt findet er keinen Platz mehr für ihn. Isco ist nur noch Reals Mann Nummer 14 - wenn überhaupt.
3. Wo ist Coutinho?
Auf der anderen Seite wäre wohl nicht aufgefallen, hätte Philippe Coutinho sein Dasein am Mittwochabend ebenfalls als Zuschauer gefristet. Der mit bis zu 160 Millionen Euro inklusive Prämien teuerste Spieler der Vereinsgeschichte hat den bisweilen undisziplinierten Ousmane Dembele längst als größtes Sorgenkind von Barca-Coach Ernesto Valverde abgelöst. Im Gegensatz zu Dembele kann der Ex-Liverpooler dem Spiel der Katalanen nämlich in keiner Weise seinen Stempel aufdrücken.
Auch im Clasico, als er Messi als Dreh- und Angelpunkt der Offensive vertreten sollte, wirkte er wie ein Fremdkörper. Der 26-Jährige spielte mit 34 Pässen nur zwei mehr als Keeper Marc-Andre ter Stegen. "Traurig", nannte das vereinsnahe Blatt Mundo Deportivo seinen Auftritt. Sport wurde noch deutlicher: "Coutinho setzte gegen Madrid seinen desaströsen Weg fort. Er hat keine Entschuldigung mehr. Und es gibt kein Pardon. Wenn er nicht reagiert, muss man ihm sofort einen neuen Klub suchen. Bevor er unverkäuflich wird.
4. Brasiliens Tempodribbler begeistern
Ähnlich deftige Kritik erntete zuletzt auch Malcom. Als "Fehleinkauf" (AS) und "Missverständnis" (Marca) wurde der 41 Millionen Euro schwere Neuzugang von Girondins Bordeaux abgestempelt, den Barca im vergangenen Sommer der AS Rom noch auf den letzten Drücker vor der Nase weggeschnappt hatte.
Im Clasico schlug aufgrund des Ausfalls von Dembele jedoch die große Stunde des wendigen Brasilianers. Malcom lief seinem indisponierten Landsmann Marcelo ständig davon, traute sich trotz einiger misslungener Aktionen zu Beginn immer wieder, ins Eins-gegen-Eins zu gehen. Ein mutiger Auftritt, der am Ende nicht unbelohnt blieb: Der 21-Jährige besorgte mit einem wuchtigen, wenn auch leicht abgefälschten Schuss das 1:1 und holte sich bei seiner Auswechslung in der 76. Minute viel Applaus von den Rängen ab.
Auf der Gegenseite wusste mit Vinicius Junior ein weiterer Tempodribbler aus Brasilien zu überzeugen. Reals Linksaußen, Jahrgang 2000, vernaschte Barcas Verteidiger ein ums andere Mal und hatte mit seiner perfekt getimten Flanke auf Karim Benzema entscheidenden Anteil am Auswärtstor der Blancos. "Was Vinicius macht, überrascht mich nicht", schwärmte Real-Trainer Solari von seinem Rohdiamanten. Selbst Gerard Pique fand lobende Worte für den "Unruheherd" (Marca): "Er hat das Potential, um ein ganz Großer zu werden."
Dafür muss er aber noch an seiner Entscheidungsfindung vor dem Tor arbeiten. In der ersten Hälfte regte sich Toni Kroos mit Recht auf, als der Shootingstar es aus schwieriger Position selbst probierte anstatt ihn zu bedienen. Für ein Clasico-Debüt war das, was Vinicius zeigte, aber durchaus beeindruckend. "Wir sind sehr zufrieden, wie er sich hier entwickelt und der Mannschaft hilft", sagte Real-Direktor Emilio Butragueno.
5. Es gibt keinen Clasico ohne Schiedsrichter-Diskussionen
The same procedure as every time: Obwohl sich Fouls und Rudelbildungen im Vergleich zu vergangenen Clasicos diesmal in Grenzen hielten, nahmen im Anschluss an die Partie wieder einmal Diskussionen um den Unparteiischen überhand.
Pique etwa sprach süffisant über den Auftritt des 41 Jahre alten Antonio Mateu Lahoz. "Für seine Verhältnisse hat er wirklich einen guten Job gemacht", sagte der Abwehrchef der Blaugrana. Er hätte seinen früheren Nationalmannschaftskollegen Sergio Ramos, der nach zehn Minuten verwarnt worden war und daraufhin einige weitere, wenn auch "handelsübliche" Fouls beging, vom Platz gestellt. "Aber es war Mateu", resümierte Pique weiter, "deshalb müssen wir zufrieden sein."
Dani Carvajal war erwartungsgemäß anderer Meinung. "Ich denke, man muss dem Schiedsrichter gratulieren. Er hat es gut gemacht", sagte Reals Rechtsverteidiger. Wer das Rückspiel am 27. Februar (ab 21 Uhr LIVE auf DAZN) pfeift, ist noch offen. Wer es am Ende auch wird: Recht machen kann man es den beiden Erzrivalen nie.