"Nicht einen, sondern 16 Stars": Warum PSG ohne Kylian Mbappé besser funktionieren könnte

Von Oliver Maywurm
Ligue 1, Frankreich, Paris Saint-Germain, Luis Enrique, PSG, Kylian Mbappé
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Kylian Mbappé ist nicht mehr da - doch auch ohne den Superstar hat PSG nach drei Ligue-1-Spielen schon 13 Tore auf dem Konto.

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"Wenn alles gut geht", blickte Paris Saint-Germains Trainer Luis Enrique Ende Februar voraus, "werden wir nächste Saison in allen Belangen eine bessere Mannschaft haben: offensiv, defensiv, taktisch. Ich habe keinen Zweifel daran."

Dass Kylian Mbappé in jener nächsten Saison, die mittlerweile die aktuelle ist, nicht mehr da ist, war seinerzeit zwar noch nicht offiziell. Doch Enrique wusste natürlich schon sehr genau, dass der Abgang seines Superstars zu Real Madrid in diesem Sommer über die Bühne geht. Ergo war ihm auch bewusst, dass diese offensiv, defensiv und taktisch bessere Mannschaft eine Mannschaft ohne Mbappé sein würde.

Eine fundierte Aussage darüber zu treffen, ob Enriques Prophezeiung tatsächlich eintrifft, dafür ist es natürlich viel zu früh. Vor allem hinsichtlich der Ansprüche von PSG auf dem höchsten internationalen Level.

Dennoch lässt sich nicht verneinen, dass der Start eindrucksvoll gelungen ist: 13 Tore hat der französische Meister an den ersten drei Ligue-1-Spieltagen schon erzielt - macht im Schnitt gut vier Treffer pro Spiel. Einem 4:1 in Le Havre folgte ein rauschendes 6:0 zuhause gegen Montpellier, auch die erste kleine Standortbestimmung in Lille endete erfolgreich (3:1).

Es deutet sich in den ersten Wochen der neuen Spielzeit also zumindest an, wie und warum ein PSG ohne Mbappé tatsächlich besser funktionieren könnte.

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PSG ohne Kylian Mbappé: Das befreiende Vakuum, das ein Superstar hinterlässt

Da Fußball nun mal ein Mannschaftssport ist, kann ein Team zuweilen besser spielen, wenn der individuell beste Spieler nicht mehr da ist. Andere Akteure können sich plötzlich freier entfalten oder übernehmen die Verantwortung, die zuvor ohnehin der Superstar übernommen hatte und die für sie gar nicht verfügbar schien. Und manchmal ist die kumulierte Klasse dieser anderen, nun wichtigeren Spieler in Summe wertvoller für die Mannschaft als die Qualität des alles überstrahlenden Superstars.

Einen solchen Effekt scheint der Abgang Mbappés bei PSG in den ersten Ligue-1-Spielen der Saison 2024/25 zu haben. Die Verantwortung liegt nun nicht mehr allein auf den Schultern des in Richtung Madrid abgewanderten Ausnahmekönners, sondern verteilt sich gleichmäßig auf mehrere, ebenfalls hochveranlagte Fußballer.

Interessant dabei: Auf einen echten Mittelstürmer verzichtete Coach Enrique in den vergangenen beiden Partien und gab Marco Asensio das Vertrauen als sogenannte falsche Neun. Der Spanier agierte als kluger Ballverteiler, der sich immer wieder zurückfallen ließ, um dann die extrem schnellen Außenbahnspieler Ousmane Dembélé auf rechts und Bradley Barcola auf links in Szene zu setzen. Zahlreiche gefährliche Aktionen und auch schon einige Tore der Pariser entstanden nach diesem Muster, wenngleich dabei nicht immer Asensio der Passgeber aus dem Zentrum war.

Und während sich Dembélé anschickt, in Mbappés Abwesenheit mehr Verantwortung für das Offensivspiel zu übernehmen, glänzte allen voran Youngster Barcola und mauserte sich zu dem überragenden Mann der ersten Saisonwochen.

Bradley Barcola, Paris Saint-Germain
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Bradley Barcola überragt bei PSG in den ersten Wochen

Mbappé eins zu eins zu ersetzen, ist ob dessen herausragender Fähigkeiten praktisch unmöglich. Das ist auch PSG offenkundig bewusst, schließlich wurde diesen Sommer kein Ersatz für den französischen Nationalmannschaftskapitän verpflichtet. Vielmehr will man den Verlust im Kollektiv auffangen - doch dabei spielt mit Barcola eben doch ein einzelner Akteur bisher eine hervorstechende Rolle.

Der 22-Jährige, der 2023 für 45 Millionen Euro von Olympique Lyon kam, hat in bisher 155 Einsatzminuten in dieser Saison schon vier Tore erzielt. Vor allem Barcolas Treffer zum Liga-Auftakt beim 4:1 in Le Havre erinnerte sehr an Mbappé: Von der linken Seite zog er, umringt von mehreren Gegenspielern, mit einem schnellen Haken am Strafraumeck nach innen und schlenzte den Ball unhaltbar ins lange Eck. Die Bewegungsabläufe, die Spritzigkeit, die schnellen Schritte und die dynamische Ballführung - sehr vieles an diesem Treffer hätte genauso auch von Mbappé kommen können.

Barcola war ebenso wie Dembélé kurz vor seinem Tor eingewechselt worden, in den beiden weiteren Partien bildeten die beiden dann gemeinsam mit Asensio die Pariser Offensive. Neben Barcolas drei weiteren Toren (zwei gegen Montpellier, eins gegen Lille) dabei besonders auffällig: Seine - vor allem im Vergleich zu Mbappé - leidenschaftliche Defensivarbeit, die auch Enrique öffentlich hervorhob. Sinnbildlich dafür: Ein Ballgewinn Barcolas tief in der eigenen Hälfte gegen Montpellier, nach dem er selbst einen Gegenstoß einleitete, der letztlich in einem Asensio-Tor mündete.

"Ich glaube, wir haben heute nicht einen Star gesehen, sondern 16 Stars, die für die Farben von PSG gekämpft haben", sagte Enrique nach dem 6:0 gegen Montpellier und man wurde den Verdacht nicht los, als wollte der Spanier dem zuweilen verteidigungsmüden Mbappé noch einen Seitenhieb verpassen. "16 Stars in der Offensive, 16 Stars in der Defensive. So funktioniert Perfektion", frohlockte der PSG-Coach.

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PSG ohne Kylian Mbappé: Das Kollektiv steht jetzt über allem

Nicht nur das Ersetzen Mbappés soll bei PSG gleichmäßig auf mehrere Schultern verteilt werden. Ganz generell ist das Kollektiv ohne einen allgegenwärtigen Superstar, der an jedem Tag und auf jeder Bühne potenziell den Unterschied machen kann, wichtiger denn je. Und dieses Credo verfolgte Paris diesen Sommer auch auf dem Transfermarkt.

"Es sind Spieler, die offensiv und defensiv ein hohes Niveau verkörpern", lobte Enrique jüngst die drei Neuzugänge João Neves, Désiré Doué und Willian Pacho. "Sie passen perfekt zu unserer Spielidee und zu den Spielern, die wir zuvor schon im Kader hatten."

Einen wirklich herausragenden Start hat dabei der erst 19-jährige Neves hingelegt. Der Portugiese, für 60 Millionen Euro von Benfica gekommen, kam in seinen ersten drei PSG-Spielen schon auf vier Assists und harmonierte hervorragend mit Landsmann Vitinha (24) sowie Mega-Juwel Warren Zaire-Emery (18). Ein Trio, das über Jahre hinweg ein spektakuläres Mittelfeld garantieren könnte. Und das Enrique offensichtlich so gut findet, dass mit Fabián Ruiz ein spanischer Europameister und einer der besten Spieler der zurückliegenden EM bisher nur zu Jokereinsätzen kam.

Luis Enrique, PSG
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Wird Luis Enriques Prophezeiung bei PSG Wirklichkeit

Obwohl er mit seiner Spielstärke sicherlich eine sehr gute Addition zu den ebenfalls extrem guten Fußballern im Pariser Mittelfeld wäre, ist Ruiz zu Saisonbeginn hinten dran. Auch er muss sich vollends dem Kollektiv unterordnen, das mit dem Abgang Mbappés über allem steht.

Dafür spricht auch eine kuriose Elfmeterregel, die Enrique laut Le Parisien eingeführt hat: Diese besagt, dass der Elfmeterschütze vor jedem Spiel neu festgelegt wird. So soll auch hier die Verantwortung verteilt werden, bei den ersten beiden Strafstößen wurde die Regel auch schon angewandt: Zum Auftakt bei Le Havre trat Randal Kolo Muani zum Elfmeter an, zuletzt in Lille war es dann Vitinha.

Enrique scheint jedenfalls auf einem guten Weg zu sein, ein funktionierendes Gerüst zu etablieren, das die Anwesenheit Mbappés bei all der herausragenden Qualität des jetzigen Real-Madrid-Angreifers vielleicht mitunter verhindert hat. Und die ersten Eindrücke der neuen Saison geben den PSG-Fans Hoffnung, dass Enriques Prophezeiung aus dem Februar tatsächlich wahr werden könnte.