Fußball-Kolumne: Wie Schalke durch ein Gazprom-Aus sogar zum Vorbild werden könnt

Wird Schalke 04 durch ein Aus von Sponsor Gazprom zum Vorbild?
© getty

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine reagiert der organisierte Sport in weiten Teilen zurückhaltend statt russische Vereine, Verbände und Sponsoren massiv zu sanktionieren. Ein Grund ist der große Einfluss des Staatskonzerns Gazprom, nicht nur bei Schalke 04. Die Fußball-Kolumne.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Die Stimmung unter der Schalker Delegation im Kurfürstensaal des Dresdner Hotels Taschenbergpalais war überragend an jenem 10. Oktober 2006.

Aufsichtsratsboss Clemens Tönnies erhielt sogar eine 50-minütige Privataudienz beim russischen Präsidenten Wladimir Putin, bei dem dieser am Ende das geschenkte Trikot der Königsblauen überzog.

"Der Ritterschlag für Tönnies und Schalkes Super-Deal", wie die Bild-Zeitung in ihrem Text unter der Überschrift "FC Schalski 04 - Rubel, Trubel, Heiterkeit" jubelte.

Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der seinerzeit bereits enge Kontakte zu Putin besaß, hatte zuvor einen Millionen-Deal mit dem staatlich geführten Energierversorger Gazprom in die Wege geleitet. "Auf Schalke rollt der Rubel", kommentierte das Handelsblatt danach.

Schalker Euphorie nach Gazprom-Deal: "Lerne jetzt Russisch"

Und der damalige Schalker Finanzvorstand Josef Schnusenberg erklärte euphorisch: "Deutschland ist nicht mehr das Maß der Dinge. Ich lerne ab jetzt Russisch. Und unsere Spieler sollen sich schon mal auf einen Trip auf die Erdgasfelder in Sibirien einstellen. Da können sie sich anschauen, wie erfolgreich gearbeitet wird."

Doch schon ein Jahr später erhielt die Begeisterung über den neuen Trikotsponsor einen empfindlichen Dämpfer, als Russland Georgien überfiel. Und 2014 nach der völkerrechtswidrigen russischen Invasion auf der Krim-Halbinsel forderte eine Fan-Petition vergeblich eine Distanzierung von Tönnies-Freund Putin, der vom Fleischunternehmer regelmäßig bei privaten Treffen mit Eisbein und Schalke-News versorgt wurde. "Tönnies war immer ein heimlicher Bewunderer von Putin", sagt ein Insider.

Vor allem aber war der Rubel den klammen Knappen immer wichtiger, denn mit mindestens 15 Millionen Euro jährlich (plus Erfolgsprämien in Millionenhöhe) rettete Gazprom den Traditionsklub schon seinerzeit vor der Pleite. Umgekehrt nutzte der Staatskonzern diese und andere großzügige Sponsorings im Sport vor allem zur PR in eigener Sache.

Wladimir Putin und Clemens Tönnies pflegten enge Verbindungen.
© getty
Wladimir Putin und Clemens Tönnies pflegten enge Verbindungen.

Gazprom und Schalke: "Mäzenatentum"

Das zweite Ziel erreichte Gazprom allerdings nicht, denn der eigentlich geplante Einstieg auf dem regionalen Energiesektor in Deutschland wurde von den Behörden untersagt. "Deshalb ist es eigentlich kein echtes Sponsoring, sondern Mäzenatentum, weil sie keinen Markt in Deutschland haben. Daher blieben viele Kundenplätze von Gazprom in der Schalker Arena leer, man hat von denen immer noch Tickets bekommen", erinnert sich ein einstiger S04-Funktionär.

Geld macht das von Putin-treuen Weggefährten geführte, weltweit größte Erdgasförderunternehmen natürlich trotzdem, schließlich sitzt es auf den größten Erdgasreserven der Welt und kontrolliert den deutschen Gasmarkt. Zudem verdient der Mischkonzern inzwischen auch Millionen im Finanz- und Medienbereich.

Entsprechend großzügig und großflächig tritt das Unternehmen auch außerhalb Russlands als Geldgeber auf, vor allem im Sport und hier besonders im Fußball. So ist Gazprom seit 2012 Großsponsor der UEFA im Bereich Champions League.

Kurz vor der EM 2021 sprang die Firma beim Kontinentalverband zusätzlich für den aserbaidschanischen Staatskonzern SOCAR ein, der angeblich seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen war, und weitete die Aktivitäten auf die Nations League sowie die Europameisterschaften aus, inklusive der Qualifikationsspiele und der EM 2024 in Deutschland.

"Hat sich Putin die EM gekauft?"

Über die genauen Summen schweigt sich die UEFA aus, angeblich sollen aber allein für die letzte Endrunde rund 50 Millionen Euro geflossen sein. "Hat sich Putin die EM gekauft?", fragte die Bild damals. Jedenfalls fanden gleich sechs Vorrundenspiele in der Gazprom-Arena in St. Petersburg statt, wo auch diesen Mai das Champions-League-Finale ausgetragen werden sollte.

Immerhin dieses Spiel wurde Putins Heimatstadt am Freitag vom Exekutivkomitee der UEFA angesichts des Einmarschs russischer Truppen in der Ukraine entzogen. Ein Verzicht auf die Gazprom-Millionen war für das 20-köpfige Gremium, dem auch DFB-Vizepräsident Rainer Koch und der frühere Bayern-Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge angehören, allerdings kein Thema.

Gazprom-Vertreter mit Sitz und Stimme in UEFA-Führung

Was jedoch kaum verwundert angesichts der Tatsache, dass im russischen Exekutivmitglied Alexander Djukov gleichzeitig der Vorstandsvorsitzende von Gazprom Neft, der Öltochter von Mutterkonzern Gazprom, in der UEFA-Exekutive sitzt. Der 54-Jährige war bis 2019 Präsident von Zenit St. Petersburg, wo Gazprom Hauptanteilseigner ist, und ist seit dem Präsident des heimischen Fußballverbandes.

Djukov ist also Vertreter Russlands, Vertreter des Staatsunternehmens und Sponsors Gazprom und "unabhängiges" Mitglied der europäischen Fußball-Führung zugleich. Mit Compliance hat das eher wenig zu tun - wenngleich eine solche Vermischung von Interessen und Ämtern gerade im Fußball auch keine Seltenheit ist.

Womit man beim eigentlichen Problem ist: Der Einfluss von Politik und Wirtschaft ist im organisierten Sport so groß, dass harte Konsequenzen gegen Russland in den meisten Bereichen bislang ausbleiben, obwohl es sich beim Einmarsch in die Ukraine um einen Bruch des Völkerrechts handelt. "Eine große Abhängigkeit von Russland prägt den Weltsport - und das zeigt sich jetzt auch nach der Invasion in die Ukraine", schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Verbände scheuen sich vor Suspendierung russischer Sportler

Denn den konsequenten Schritt, sämtliche Mannschaften und Einzelsportler aus Russland bei allen Wettkämpfen zu suspendieren, bis das Land sich aus der Ukraine zurückgezogen hat, scheuen bisher nahezu alle Verbände. So beschloss die UEFA lediglich, Spiele in den internationalen Wettbewerben auf neutrale Plätze zu verlegen. Das gilt auch für das am Freitag ausgeloste Europa-League-Achtelfinale zwischen RB Leipzig und Spartak Moskau.

Und die FIFA konnte sich am Abend gleich gar nicht zu Maßnahmen entscheiden und verschob eine Entscheidung über die maximal zwei WM-Playoff-Heimspiele der russischen Nationalmannschaft auf Ende März. "Ich hoffe, dass die Situation bis dahin gelöst ist", sagte Gianni Infantino dazu.

Welche finale "Lösung" schwebt dem erneut weltfremden FIFA-Boss denn realistisch vor? Da ein freiwilliger Abzug der russischen Armee ohne jegliche Sanktionen utopisch ist, kann Infantino ja nur die dauerhafte Besatzung der Ukraine durch seinen guten Bekannten Putin meinen.

"Es ist ein wahrer Jammer, was da gerade in der Ukraine passiert, und es ist außerdem ein Jammer, dass der Sport im großen Weltgeschehen keinen Halt als Klebstoff entfaltet. So stark ist er nicht", kommentierte die Frankfurter Rundschau resigniert.

Verbannung russischer Oligarchen und Sponsoren wäre möglich

Dabei wären harte Schritte nötig und auch durchaus machbar, von einer Verbannung finanzkräftiger russischer Oligarchen wie Chelsea-Besitzer Roman Abramowich aus dem Sport bis zu einem Aus jeglicher Zusammenarbeit mit sämtlichen Sponsoren aus Russland. "Der Sport und die UEFA haben zahlreiche Möglichkeiten", sagte die grüne Europaabgeordnete Viola von Cramon der Sportschau und nannte den Ausschluss russischer Funktionäre wie Djukov aus den Gremien oder das Ende des Gazprom-Sponsoring.

Rechtlich ist das durchsetzbar, da nahezu alle diese Verträge Klauseln enthalten, durch die man bei einem schweren Vorfall aus der Vereinbarung aussteigen kann. Etwa Doping, Manipulation und sicher auch der massive Imageschaden durch den Deal mit einem Staatskonzern eines Landes, das in ein anderes einmarschiert ist. Manchester United etwa hat bereits reagiert und sich von der staatlichen russischen Airline Aeroflot als Sponsoring-Partner getrennt.

UEFA könnte Gazprom-Aus eher verkraften als Schalke 04

Die UEFA könnte den Verlust eines Premium-Sponsors angesichts der Nachfrage auf dem Markt und der komfortablen finanziellen Lage mit weiteren millionenschweren Partnern sicherlich vergleichsweise gut verkraften. Ganz im Gegensatz zu Schalke 04, weshalb die zahlreichen aktuellen Ratschläge und Forderungen von außen nach einem sofortigen Ende der Zusammenarbeit mit Blick auf die mehr als 200 Millionen Euro Verbindlichkeiten etwas wohlfeil wirken.

Schließlich zahlt Gazprom trotz des Abstiegs aktuell geschätzt rund neun Millionen Euro jährlich, was mit Abstand die höchste Summe aller Zweitligisten ist. Bei einer Bundesliga-Rückkehr in dieser Saison soll sich die Summe wieder verdoppeln, hinzu käme eine Aufstiegsprämie von fünf Millionen Euro.

Angeblich sollen die Gelsenkirchener zudem einen Teil der Gesamtsumme des noch mindestens bis 2024 laufende Vertrags aufgrund des horrenden finanziellen Minus von Gazprom vorzeitig ausgezahlt bekommen haben, müssten also im Falle einer baldigen Trennung hohe Rückzahlungen leisten.

"Ohne Gazprom droht dem Klub der finanzielle Genickbruch"

Wie zu hören ist , ist zwar ein einheimisches Unternehmen an einer Übernahme des Trikotsponsoring interessiert, aber zu deutlich niedrigeren Konditionen. Laut SZ steht gar ein Verlust von 60 bis 70 Prozent der Einnahmen im Raum: "Ohne Gazprom droht dem Klub der finanzielle Genickbruch."

Somit sind sich die viele Beobachter einig, dass ein Ende der Zusammenarbeit mit den Russen auch ein Ende der Profimannschaft Schalke 04 bedeuten könnte. Andere wiederum setzen auf Verhandlungsgeschick und wirtschaftliches Können des neuen Führungsduos aus Aufsichtsratsboss Axel Hefer und dem Vorstandsvorsitzenden Bernd Schröder. Könnte am Ende sogar Clemens Tönnies zurückkehren?

Schalke 04 könnte sogar zum Vorbild werden

Sollte Schalke ungeachtet der möglicherweise desaströsen Folgen für den insolvenzgefährdeten Klub die Zusammenarbeit mit Gazprom tatsächlich beenden, könnten und müssten sich viele andere Vereine und Verbände ein Beispiel daran nehmen. Allen voran die UEFA.

Denn nur mit Schaufensterreden ist einem Aggressor wie Putin und seinen staatlich geförderten Unterstützern nicht beizukommen. Und es geht gerade in einer solchen Situation immer auch darum, Haltung zu zeigen und für Werte wie Solidarität, Gewaltlosigkeit und Respekt einzustehen.

Artikel und Videos zum Thema