Eine kleine Hommage an die Kreisklasse

Toni Kroos war nicht so dominant in Deutschlands Spielaufbau eingebunden wie sonst
© getty

Deutschland dominiert beim 3:0 gegen Tschechien gewohntermaßen die Partie, aber auf eine auffällig andere Art und Weise. Die Effektivität der Lösungsfindung macht das deutsche Spiel attraktiv und nimmt den DFB mit auf eine Reise zu seinen Wurzeln.

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Kreisklassenfussball hat viele Stereotype. Eines davon ist das Hoch-und-weit-Spiel. Der klassische Befreiungsschlag als Stilmittel gegen die eigene Unfähigkeit.

Vor allem in den letzten Jahren, da der Fußball extrem dynamisch und technisch versiert geworden ist, waren lange Bälle immer häufiger verpönt. Pep Guardiola ließ sie in seinen Mannschaften ohnehin verbieten. Aber auch der DFB entwickelte seinen Leitfaden dahin, dass dem langen, schwieriger zu kontrollierenden Flugball stets der elegantere, sicherere Kurzpass vorzuziehen ist.

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Joachim Löw war immer ein Bewunderer des vermeintlich schönen Spiels. Doch die DFB-Elf verlor sich in den letzten Monaten ein bisschen darin. Zielstrebigkeit und Gefahr blieben phasenweise auf der Strecke. Löw kündigte Veränderungen für die WM-Quali an, eine Weiterentwicklung des eigenen Spiels.

Konsequent ab Anpfiff

Das Quaifikationsspiel gegen Tschechien hat gezeigt, dass die Mannschaft die Ansage verstanden hat. "Die EM-Quali war uns vielleicht eine Warnung. Vor zwei Jahren sind wir das eine oder andere Spiel nicht so konsequent angegangen. In dieser Saison machen wir das besser", sagte Jonas Hector nach dem 3:0-Erfolg.

Tatsächlich war dem DFB-Team die Konsequenz seines Vorhabens am Samstag deutlich anzumerken. Von der ersten Minute an suchten Deutschlands Aufbauspieler schnörkellos den Weg in die Spitze, minütlich segelten weite Bälle auf die offensiven Außenbahnen, von wo aus es gefährlich wurde. Zentrale Figuren in diesem Werk: Mats Hummels und Jerome Boateng.

"Es war heute gerade in der ersten Halbzeit auffällig, dass die Bälle reihenweise quer über den Platz flogen, das stimmt schon. Tatsächlich waren es aber eigentlich Jerome und Toni Kroos, die die Bälle spielen sollten", erklärte Hummels, dessen ansatzlose Seitenwechsel auf den sehr offensiv eingestellten Kimmich teilweise gleich sechs oder sieben Gegenspieler aus dem Spiel nahmen.

Diagonalbälle das stilistische Mittel zum Erfolg

Auch wenn der Bayern-Verteidiger anschließend betonte, man habe zuvor nicht gewusst, wie die Tschechen agieren würden, und deshalb spontan zu dieser Regelmäßigkeit an langen Bällen gegriffen, so gab er augenzwinkernd auch zu: "Man kann aber nicht von der Hand weisen, dass diese Diagonalbälle in den letzten Tagen im Training durchaus auch mal ein Thema waren."

Löws Trainerstab hat den Gegner gut analysiert. Dass Tschechien, das unter dem neuen Trainer Karel Jarolim wieder offensiver attackieren möchte und das auch gegen Deutschland recht mutig, aber auch blauäugig tat, die defensiven Außenbahnen immer wieder entblößt, hatte der deutsche Bundestrainer als Schwachstelle beim Gegner ausgemacht: "Wir wussten, dass wir die Mannschaft mit Diagonalbällen aufreißen können", sagte Löw.

Wichtig zu sehen war aber vor allem, dass seine Mannschaft selbst erkannte, dass diese Bälle das Mittel sind - nicht nur zwei-, dreimal im Spiel, sondern permanent. Denn die Tschechen stellten sich überhaupt nicht darauf ein.

So entwickelte sich in der ersten Hälfte eine Aneinanderreihung schneller Spielverlagerungen mittels Flugbällen, die aber nie abstumpften, sondern in ihrer Qualität immer wieder bewundernswert waren und Deutschland auf eine andere Art und Weise als beispielsweise bei der WM 2014 wieder einen Hurra-Fußball einverleibten. Neuer brachte das humorvoll auf den Punkt: "Man kann sagen, dass es heute fast schon ein kleines Battle war: 'Wer spielt den schönsten Pass?'

Tschechien der perfekte Gegner

Dass die deutschen Außenverteidiger hoch agieren, war schon bei der EM und zuletzt auch gegen Norwegen zu sehen. "Der Trainer möchte, dass sie sich mit einschalten", erklärte Neuer. Am Samstag reizten Hector und Kimmich diese Vorgabe aber maximal aus - richtigerweise.

Bei aller Euphorie muss man aber auch relativieren: Tschechien war der perfekte Gegner für diese Spielweise. Während Deutschland es normalerweise gewohnt ist, "dass die meisten Gegner eher abwartend agieren und wir den Ball dann an die Sechser und Achter übergeben", wie Hummels erklärte, versuchten die Tschechen, früh drauf zu gehen. Das ging deutlich zu Lasten des defensiven Stellungsspiels.

Entsprechend nahmen sich die deutschen Innenverteidiger der Sache an. Das ist "aber ja etwas, das Jerome und ich durchaus können", so Hummels weiter. Es ist nicht einmal übertrieben, zu sagen, dass die beiden Deutschlands Spielmacher waren. Hummels witzelte dahingehend, dass er ja "schon seit zehn Jahren im Verein" sage, "dass ich die Zehn will."

Interessant wird zu sehen sein, wie Deutschland mit seinem nostalgischen Stilmittel auch gegen defensivere Gegner zurechtkommt. Vielmehr wird die Mannschaft weiterhin beweisen müssen, dass sie auch in andere Richtungen flexibel ist. Das sah auch Neuer so: "Das zu bestätigen, ist nicht immer einfach. Es kommt immer auf den Gegner an und das, was er zulässt. Das kann in Hannover schon wieder etwas anders aussehen, wenn sich die Nordiren hinten reinstellen."

Unorthodoxes Spiel bringt Attraktivität

Am Samstag zumindest machte das DFB-Team den Hamburger Fans aber endlich wieder Spaß. Weil die Mannschaft schnell Lösungen fand und sie fast konsequent über 90 Minuten anwendete. Was Deutschland spielerisch bot, war mal anders. Die Effektivität und Penetranz der für Löws Team unorthodoxen Spielgestaltung wirkte auf die Zuschauer attraktiv - ohne jegliche Einbußung der sonst auch im stupiden Kurzpassspiel bekannten deutschen Dominanz.

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Auf dem Weg der vom Bundestrainer angekündigten Evolution bis zur WM 2018 war die Partie gegen Tschechien ein erster Schritt, so etwas wie die Modifikation 1.1. Jarolims Truppe lief Deutschland zwar fast schon blind ins offene Messer. Wichtiger ist aber, dass die Nationalmannschaft gezeigt hat, dass sie anpassungsfähig ist und diese Naivität des Gegners konsequent bestrafen kann.

Da passt es im großen Gesamtbild auch ganz gut, dass der DFB in den vergangenen Monaten vermehrt Kampagnen fuhr, die den Amateurfußball in Deutschland wieder in den Vordergrund rücken und stärken sollen. Spielerisch jedenfalls, war der Samstagabend überspitzt gesagt auch eine kleine Hommage an die Kreisklasse.

Deutschland - Tschechien: Daten zum Spiel