Pfannenstiels zufälliges "Wiedersehen" mit Roberto Firmino
Im beschaulichen Kraichgau landete das Video unterdessen unter anderem auf dem Tisch des neuen Scouts und Leiters für internationale Beziehungen: Lutz Pfannenstiel.
"Kurz nachdem ich bei Hoffenheim im Scoutingbereich angefangen habe, wurde mir ein Video gezeigt. Und ich dachte mir: 'Den kenne ich doch irgendwoher!' Das war ein riesiger Zufall", sagt der 47-Jährige, der mittlerweile als Sportdirektor beim US-Klub St. Louis City arbeitet. Der schlanke, drahtige Brasilianer mit den großen weißen Zähnen und der Zahnspange hatte - zumindest auf virtuellem Wege - den Sprung nach Deutschland geschafft.
"Er hatte sich im Vergleich zu seiner Zeit als Jugendspieler körperlich weiterentwickelt", sagt Pfannenstiel. Dies sei mit Blick auf die fußballerische Philosophie im Süden Brasiliens allerdings auch obligatorisch gewesen. Der ehemalige Keeper führt aus: "Wenn die Menschen an brasilianischen Fußball denken, haben sie sofort Samba- und Zauberfußball im Kopf. Das mag für Rio de Janeiro, Salvador oder Recife zutreffen. Da kannst du dieses technische Spiel, den "Jogo Bonito" beobachten. Im Süden geht es aber ganz anders zur Sache. Das ist mit der härteste Fußball, den man sich vorstellen kann, die Jungs treten sich gegenseitig kaputt."
Dies liege vor allem an der Mentalität, die den fußballerisch "relativ deutsch oder italienisch" geprägten Süden vom Rest des Landes unterscheide. "Die Spieler sind robuster und haben ihre Stärken besonders im körperlichen Bereich. In diesem Umfeld musste sich Roberto beweisen."
Videos dienen sicherlich dazu, einen ersten Eindruck zu gewinnen, zumindest grob auszuloten, ob der betroffene Spieler zum Klub passen könnte. Diese Hürde hatte Firmino bei der TSG schon einmal genommen, das Grundinteresse war geweckt. Jetzt galt es "nur" noch, die Verantwortlichen auch live zu überzeugen.
Ernst Tanners komplizierte Brasilien-Reise
Hoffenheims Sportdirektor Ernst Tanner flog im Herbst 2010 nach Brasilien, um sich selbst ein Bild von Firmino zu machen. "Das erste Spiel, für das sich Tanner angemeldet hatte, war ein Auswärtsspiel in Goiania", sagt Rapp. Irgendjemand habe ihm damals gesteckt, dass Figueirenses Rohdiamant in der Startelf stehen würde.
Firmino stand nicht in der Startelf. "Ernst Tanner und ich sind gemeinsam nach Goiania geflogen, aber relativ schnell stellte sich heraus, dass Roberto nicht spielen würde", lässt Rapp den Trip Revue passieren.
"Es war klar, dass er nicht in der ersten Halbzeit eingewechselt werden würde, ich hoffte zumindest auf einen Wechsel zur Pause." Obwohl Figueirense beim Gang in die Kabine in Rückstand lag, schmorte Firmino auch nach der Halbzeit weiter auf der Bank. "Die Zeit lief und lief, aber der kleine Roberto wurde nicht eingewechselt. In der 78. Minute kam er dann endlich - und hatte allerhöchstens fünf Ballkontakte."
Tanner sei Rapp zufolge sehr höflich gewesen, habe Firmino immerhin attestiert, dass dieser sich gut bewegt habe. Viel mehr positive Erkenntnisse konnte der Gast aus Deutschland allerdings nicht notieren. "Glücklicherweise haben wir ihn beim Abendessen davon überzeugen können, dass seine Scoutingreise nicht so abrupt enden sollte." Tanner willigte ein, sich das nächste Heimspiel von Figueirense anzusehen, nahm die stundenlange Reise von Goiania nach Florianopolis auf sich.
"Natürlich stand die Frage im Raum, ob sich der ganze Aufwand für vielleicht wieder nur zehn Minuten Firmino-Spielzeit lohnen würde", sagt Rapp. "Ich habe Ernst versprochen, dass ich ihn irgendwie ins Training bekomme. Das ist in Brasilien gar nicht so einfach. Ich glaube, es hat uns ein paar McDonald's-Gutscheine gekostet, aber wir haben es geschafft, ihn heimlich ins Training zu schleusen. Im Training konnte er sich ein Bild von Roberto machen und war im Anschluss angetan von dessen Fähigkeiten."
Rapp: "Ernst Tanner sagte: 'Das müssen wir unbedingt machen. Er muss im Januar kommen'"
Doch Tanner war vornehmlich nach Brasilien gereist, um sich Firminos Qualitäten unter Wettbewerbsbedingungen anzusehen. Dass der Youngster im zweiten Spiel unter Tanners Augen von Beginn an ran dürfen würde, habe sich laut Rapp zuvor "keineswegs" angedeutet. "Der Trainer hatte ihn im Training deutlich kritisiert." Dennoch vertraute er auf Firmino. Der junge Offensivmann spielte - und überragte: "Noch bevor der Schiedsrichter zur Halbzeit gepfiffen hatte, ist Ernst Tanner aufgestanden und sagte: 'Das müssen wir unbedingt machen. Er muss sofort im Januar kommen.'", sagt Rapp.
"Wir hatten schon mit Robertos Landsmännern Carlos Eduardo und Luiz Gustavo sehr gute Erfahrungen gemacht. Beide wurden bei ihren Wechseln von Rogon, derselben Berateragentur, die auch Firmino betreute, vertreten. Rogon hat ein gutes Einschätzungsvermögen, wenn es darum geht, welche Brasilianer es potenziell in Deutschland schaffen können", versichert Pfannenstiel mit Blick auf Firminos Wechsel aus Südamerika nach Deutschland.
Nicht zuletzt wegen der positiv verlaufenden Karrieren von Eduardo und Gustavo sei Hoffenheim am Zuckerhut ein wohlklingender Name für junge Spieler. "Ganz viele der späteren Top-Brasilianer flogen anfangs unter dem Radar, das ist nichts Ungewöhnliches. Es ist häufig so, dass Berater brasilianische Spieler zunächst in Spanien oder Portugal anbieten. Aber Hoffenheim hatte in den vergangenen Jahren bewiesen, dass junge, bis dahin unbekannte Brasilianer bei der TSG einen sehr guten Weg nehmen können."
Auch Firmino war bereit, seinen Weg im Rhein-Neckar-Kreis fortzusetzen. Obwohl auch der FC Arsenal und die PSV Eindhoven zuvor ihren Hut in den Ring geworfen hatten, wie Pfannenstiel verrät. "Wir waren der Meinung, einen hochtalentierten Spieler zu bekommen."
Seine Physis sei noch ausbaufähig gewesen. Aber dies sei etwas, das man sich antrainieren könne. "Das Auge, das schnelle Umschalten im Kopf, also das rohe Talent und die Schnelligkeit das kann man nicht trainieren. Das hat man oder man hat es eben nicht." Firmino hatte es.