Ein Spiel für echte Männer

Von Für SPOX in Manchester: Thomas Gaber
Daniel van Buyten, Arjen Robben und Mark van Bommel (v.l.n.r.) feiern den Halbfinal-Einzug
© Getty

Der FC Bayern München feiert eine rauschende Europapokal-Nacht, kann die Erfolge in der heißen Phase der Saison aber realistisch einschätzen. In Manchester zeigte die Mannschaft Qualitäten, die bei der Vergabe der Pokale entscheidend sein können.

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Die Helden kamen tröpfchenweise. Lauter müde Gesichter, vom Stress gezeichnet. Außer dem stets quietschfidelen Ivica Olic konnte sich kein Spieler des FC Bayern München beim Meeting mit den Journalisten in den Katakomben des Old Trafford über das eben Erreichte übermäßig freuen, zu platt waren sie.

93 Minuten fesselnde Minuten hatten ihre Spuren hinterlassen. Eine 3:0-Führung reichte Manchester United nicht zum erneuten Einzug in das Champions-League-Halbfinale. Mit Leidenschaft, einer unerschöpflichen Moral und der Genialität seiner Weltstars gelang dem FC Bayern im "OT" ein seltenes, aber edles Kunstwerk.

"Nach dem 3:0 waren wir eigentlich schon weg", sagte Kapitän Mark van Bommel. Erst das Tor von Ivica Olic hauchte den Bayern neues Leben ein. "Wir haben uns in der Halbzeit gesagt: 'Jetzt müssen wir wie echte Männer spielen!' Und das haben wir dann auch gemacht", sagte Bastian Schweinsteiger.

Bayern im Grenzbereich

Seit zwei, drei Wochen bewegt sich die Mannschaft des FC Bayern im Grenzbereich. Der Spielplan sieht ein hartes Programm vor: Schalke, Stuttgart, Manchester, Schalke, Manchester, Leverkusen. Es sind die Wochen, die über den Ausgang einer ganzen Saison entscheiden. Was mühevoll aufgebaut wurde, kann im Nu einknicken.

Die Bayern stemmen sich bislang jedoch erfolgreich gegen den drohenden Kollaps. Fünf Spieltage vor Schluss sind sie Tabellenführer in der Bundesliga, stehen im DFB-Pokal-Finale und erstmals seit 2001 im Halbfinale der Königsklasse. Eine beeindruckende Leistung, unabhängig von den Umständen, die dazu führten.

Knapp fünf Wochen vor dem Saisonende haben die Münchner noch immer die Chance auf das historische Triple. Überbordende Euphorie oder gar Größenwahn sind nicht zu entdecken. "Wir haben noch keinen Titel, deswegen ist es noch keine gute Saison", mahnte Schweinsteiger.

"Solche Fehler werden auf diesem Niveau bestraft"

Die Bayern können ihre Leistungen realistisch einschätzen - ein Faustpfand, wenn es um die Vergabe der Pokale geht. "Manchester United hat extrem aggressiv gespielt und wir haben viele Fehler gemacht. Die werden auf diesem Niveau bestraft", sagte Schweinsteiger.

Die fürchterliche Anfangsphase weckte beim Mittelfeldspieler ungünstige Erinnerungen an ein Fiasko vor einem Jahr: "Das war ein bisschen wie in Barcelona."

Die Bayern waren Uniteds Druck in den ersten 35 Minuten nicht gewachsen. Die geistige Frische fehlte. Nani genügte beim 2:0 ein simpler Schritt nach vorne in den Ball, um sich von drei Verteidigern zu lösen. Die Versagensangst eines Holger Badstubers war bis auf die Tribüne greifbar.

Der Glaube an sich selbst

"So darf man nicht beginnen. Erst recht nicht, wenn der Gegner Manchester United heißt", sagte van Bommel. Doch die Bayern der Saison 2009/10 zeichnet ein lange vermisstes Attribut aus: der Glaube an sich selbst.

"Als wir 2001 die Champions League gewonnen haben, waren wir nicht die beste Mannschaft. Damals waren Wille, Leidenschaft und Kampfgeist entscheidend. Das hat es beim FC Bayern in dieser Form lange nicht mehr gegeben. In den letzten Wochen erkenne ich diese Leidenschaft wieder", sagte Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge.

In dieser Hinsicht ist ein Vergleich mit 2001 zulässig. Der Stil und die Qualitäten der aktuellen Mannschaft haben sich aber gänzlich verändert.

Andere Qualitäten als 2001

Van Gaal setzt auf ein dominantes Auftreten mit viel Ballbesitz. 70 Prozent waren es in Manchester in der zweiten Halbzeit, insgesamt lag der Wert bei 60 Prozent. Mit Franck Ribery und Arjen Robben haben die Bayern zwei Spieler, die dem Spiel jederzeit den individuell entscheidenden Stempel aufdrücken können.

"Die Bayern haben nicht umsonst so viel Geld für die beiden ausgegeben", sagte Ottmar Hitzfeld, Titel-Trainer von 2001. "Barcelona hat Lionel Messi, Real Madrid Cristiano Ronaldo und Manchester United Wayne Rooney. Und die Bayern haben Ribery und Robben."

Uli Hoeneß im Interview: "Jetzt nicht verrückt spielen"

Der Niederländer erzielte wie schon in Florenz das entscheidende Tor zum Weiterkommen auf geniale Weise. "Von 20 Versuchen im Training, ein Tor so nach einer Ecke zu schießen, gehen vielleicht fünf ins Tor - ohne Torwart", sagte Ivica Olic.

Es ist nicht verwerflich, auf die begnadeten Fähigkeiten eines Arjen Robben zu zählen. Sich darauf zu verlassen, kann freilich gefährlich werden. Auf Dauer sind die Fehler in der Defensive nicht zu kompensieren.

Abwehr weiter die Achillesferse

Acht Gegentore kassierten die Münchner gegen Florenz und Manchester. Viele davon waren das Resultat kapitaler Fehler. Torhüter Jörg Butt sah bei Darron Gibsons 1:0 analog zum ersten Gegentor in Florenz nicht gut aus. Vor dem 3:0 ließen sich Badstuber und Demichelis von einem Einwurf überrumpeln.

"Wir müssen uns in der Defensive deutlich steigern. Das waren ein paar Fehler zu viel am Anfang", sagte Butt nach dem Einzug ins Halbfinale.

Dort treffen die Bayern auf Olympique Lyon. Eine sehr homogene Mannschaft, die im Achtelfinale drei von vier Halbzeiten gegen Real Madrid dominierte.

Rummenigges Geschenk an Geburtstagskind Ribery

Zunächst steht aber das nächste Auswärtsspiel bei Bayer Leverkusen an. "Nur wenn wir dort gewinnen, haben wir den Rücken frei für die Spiele gegen Lyon", sagte Präsident Uli Hoeneß.

Trotz aller Warnungen ist die Zuversicht da, dass es eine ganz besondere Saison werden könnte. "Ich bin davon überzeugt, dass wir eine Saison hinkriegen, die wir lange nicht mehr hatten", prophezeite Rummenigge.

Seine Bankettrede beendete der Bayern-Boss mit einer klaren Botschaft an Geburtstagskind Franck Ribery: "Lieber Franck, du kriegst noch ein Geschenk. Da ist ein Kugelschreiber drin, mit dem du hoffentlich irgendwann deinen neuen Vertag beim FC Bayern unterschreibst."

Am Ende eines stressigen Tages in Manchester wurde dann doch noch gelacht.

Analyse: Das ganze Spiel im Spielfilm