In den letzten beiden Spielzeiten hat sich der 1. FC Nürnberg meist recht frühzeitig aus dem Abstiegskampf verabschiedet und sich am Ende die Plätze sechs und zehn gesichert. Ist der Club inzwischen also mehr als ein Abstiegskandidat?
Der Pflichtspielauftakt im DFB-Pokal beim TSV Havelse ging zumindest schon mal mächtig in die Hose. Mit 2:3 nach Verlängerung schieden die Franken beim Viertligisten aus, dabei hatte der Club zuvor eigentlich eine recht ordentliche Vorbereitung hingelegt.
"Jeder muss wissen, dass unser Ziel auch kommende Saison nur der Klassenerhalt sein kann. 40 Punkte müssen her. Sind die geholt, kann man schauen, wie viele Spiele noch übrig sind", sagte Kapitän Raphael Schäfer schon vor ein paar Wochen in der "Bild". Genau mit dieser Zielsetzung ging Nürnberg auch in die letzten beiden Spielzeiten. Kein Grund also, etwas zu ändern. Erst recht nicht nach dem peinlichen Pokal-Aus.
Das ist neu
Dass einiges neu ist, wenn der Club in eine Saison startet, kennt man in Nürnberg schon aus den letzten Jahren. Auch in dieser Spielzeit müssen die Franken ihre Mannschaft auf ein paar Positionen umbauen. Daniel Didavi, Spielmacher und Top-Torschütze, ist nach seinem Leihjahr zum VfB zurückgekehrt, Allrounder Jens Hegeler nach zwei Jahren nach Leverkusen. Und mit Philipp Wollscheid (Leverkusen) und Dominik Maroh (Köln) ist auch die Innenverteidigung der letzten Saison weg.
Den neuen Abwehrchef soll künftig Marcos Antonio geben. Der 29-Jährige kam von Rapid Bukarest. "Er spielt kompromisslos und ohne unnötiges Risiko. Er hat Erfahrung, strahlt Ruhe aus und ist charakterlich ein sehr guter Transfer", sagt Dieter Hecking über den Brasilianer. Bei der Niederlage in Havelse war Antonio allerdings ein Schwachpunkt in der Nürnberger Viererkette.
Zum Auftakt in Hamburg wird er dennoch beweisen dürfen, dass er mehr kann. Neben ihm kämpfen Timm Klose und Per Nilsson um den zweiten Platz in der Innenverteidgung. Als Notlösung würde Routinier Timmy Simons aus dem Mittelfeld nach hinten rücken.
Besonders gespannt ist man beim Club auf die beiden neuen Kreativen: Timo Gebhart und Hiroshi Kiyotake. Der Japaner deutete bei seinem kurzen Gastspiel in Nürnberg in den ersten Trainingseinheiten schon an, dass er eine echte Verstärkung werden könnte.
Wegen seiner Teilnahme an Olympia verpasste Kiyotake allerdings weite Teile der Vorbereitung und könnte deshalb erst noch einige Zeit brauchen, bis ihm die Umstellung auf die Bundesliga gelingt. Gebhart hingegen soll Nürnberg sofort weiterhelfen. Der Ex-Stuttgarter wird Heckings neuer Zehner.
Dafür muss Gebhart allerdings die Leistungen der Vorbereitung auch bestätigen. Denn: Der Konkurrenzkampf im Club-Kader ist so groß wie nie. "Die Auswahl der Spieler für den engeren Stamm ist größer geworden. Vergangene Saison waren es 15,16, jetzt sind es 18 oder 19", sagt Hecking.
So kämpfen auf der Rechtsverteidigerposition Timothy Chandler und Markus Feulner um einen Platz. Im Mittelfeld bleibt etablierten Spielern wie Almog Cohen und Mike Frantz wohl nur ein Platz auf der Bank. Und Talente wie Julian Wießmeier, Markus Mendler, Philipp Klement oder Roussel Ngankam müssen regelmäßig um einen Platz im Bundesliga-Kader kämpfen.
Die Taktik
In den vergangenen beiden Spielzeiten war der Club meist ein ziemlich unangenehmer Gegner. Die Hecking-Elf agierte gut organisiert und defensiv kompakt. "Das Spiel gegen den Ball", sagt Club-Coach deshalb, "ist auch künftig die Basis unseres Spiels." Allerdings schiebt Hecking hinterher: "Auch der 1. FC Nürnberg hat die Möglichkeit, offensiv zuzulegen."
Und Luft nach oben scheint noch reichlich da: nur 38 Tore erzielten die Franken in der zurückliegenden Saison. In der Vorbereitung ließ Hecking deshalb vermehrt offensive Abläufe trainieren. Das Ziel: Mehr eigenen Ballbesitz. "In diesem Bereich waren wir in der letzten Saison eine der Mannschaften mit den niedrigsten Werten."
An seinem System wird Hecking allerdings nichts ändern. Auch künftig wird der Club im Normalfall 4-2-3-1 auflaufen. Als Option stünde ein 4-4-2 mit flacher Vier parat. Vor der Abwehr sind die beiden Sechser Timmy Simons und Hanno Balitsch gesetzt, auf der Außenbahn sollen starke Dribbler wie Alexander Esswein (links), Robert Mak (rechts) oder Kiyotake für Gefahr über die Flügel sorgen und die kopfballstarke Sturmspitze (Pekhart oder Polter) mit Flanken füttern.
Der Spieler im Fokus
Hiroshi Kiyotake. Wer den Japaner in Nürnberg trifft und nicht genau hinguckt, könnte meinen, Shinji Kagawa sei jetzt ein Clubberer. Denn: Kiyotake wird in Nürnberg von Dolmetscher Jumpei Yamamori betreut, der sich in Dortmund auch schon um Kagawa kümmerte.
Vom "neuen Kagawa" will man beim FCN aber nichts hören, und es wäre wohl auch etwas zu hoch gegriffen, Kiyotake mit seinem Landsmann zu vergleichen. Doch dass der 22-Jährige eine Bereicherung für die Bundesliga werden könnte, deutete er bei seinen ersten Auftritten in Nürnberg und vor allem auch bei Olympia an. Sportvorstand Martin Bader: "Wir bekommen einen Fußballer, der seinen Sport mit Leib und Seele liebt und der mit der Kugel etwas anfangen kann."
Das Interview
SPOX: Im Sommer haben mit Wollscheid, Didavi, Maroh und Hegeler wieder einige Spieler den Verein verlassen. Wie stark ist die aktuelle Mannschaft?
Chandler: Ich finde wir haben eine gute Mischung: auf der einen Seite viele junge Spieler, die heiß sind und etwas beweisen wollen, auf der anderen Seite erfahrene Spieler, die die nötige Routine mitbringen. Und wir sind auch ein eingeschworener Haufen, der gerne mal abseits des Platzes was unternimmt.
Hier geht's zum kompletten Interview mit Timothy Chandler
Die Prognose
Durch die zwei letzten Spielzeiten, in denen man frühzeitig den Klassenerhalt perfekt machte, hat sich der Club in der öffentlichen Wahrnehmung ein wenig gemausert: Inzwischen zählt man die Franken nicht mehr unbedingt zum engsten Kreis der Abstiegskandidaten. Läuft alles glatt, sollte der Liga-Verbleib auch in dieser Saison drin sein.
Allerdings: Das Pokal-Aus offenbarte noch erhebliche Schwächen. Vor allem in der Innenverteidigung muss sich Marcos Antonio deutlich steigern und zu einer Konstante werden, Klose und Nilsson müssen im Vergleich zur letzten Saison gewaltig zulegen. Und vorne braucht der Club einen zuverlässigen Vollstrecker. Treffen Pekhart und/oder Polter regelmäßig, dann könnte auch diese Saison recht sorgenfrei werden.
Der Kader des 1. FC Nürnberg im Überblick