Ex-BVB-Profi Markus Brzenska im Interview: "Zunächst dachte ich: Das war’s mit Fußball"

Von Stanislav Schupp
Markus Brzenska und Roman Weidenfeller bejubeln einen Derbysieg gegen Schalke.
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Brzenska: "Irgendwann kamen die Freundin, der Alkohol, die Disco"

In der Jugend spielten Sie mit einer Vielzahl von Spielern zusammen, die später ebenfalls Profis wurden. Gab es jemanden, dem Sie den Sprung eigentlich nicht zugetraut hätten?

Brzenska: Kruska beispielsweise. Er hatte immer Talent, war aber nie so richtig überragend. Doch er brachte andere Qualitäten mit, um Profi zu werden. Bei Nuri hat man dagegen von Anfang an gesehen, dass er sehr talentiert war. Es ist natürlich auch eine Frage des Glücks, aber ich denke, dass neben Talent vor allem Fleiß am Ende belohnt wird. Es gibt Spieler, die sich nur auf Ihr Talent verlassen und die ersten sind, die nach dem Training direkt wieder weg sind.

Und es wird viele gegeben haben, die über reichlich Talent verfügten, es aber nicht bis ganz nach oben schafften.

Brzenska: Ich habe ab der E-Jugend sehr viele Spieler gesehen, die deutlich besser waren als ich. Irgendwann kamen dann aber die Freundin, der Alkohol, die Disco. Viele hatten unfassbares Talent, aber nicht verstanden, worauf es ankommt. Die sind dann lieber feiern gegangen. Ich persönlich war immer sehr diszipliniert und habe mich ausschließlich auf den Fußball konzentriert.

Das zahlte sich aus: Am 9. November 2003 bestritten Sie Ihr erstes Bundesligaspiel - direkt in der Startelf und ausgerechnet in München gegen den FC Bayern. Wann haben Sie davon erfahren?

Brzenska: Matthias Sammer nahm mich nach dem Mittagessen zur Seite und meinte, er müsse mit mir reden. Ich dachte erst, ich hätte irgendetwas falsch gemacht. Dann sagte er, dass ich von Anfang an auf der Sechs spielen würde. Die Personallage war zwar angespannt, aber damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet.

Und dann?

Brzenska: Ich war sehr aufgeregt und habe direkt meinen besten Freund angerufen. Ich erinnere mich noch, wie ich nach dem Aufwärmen auf einmal neben Oliver Kahn, Michael Ballack und Jens Jeremies stand, die ich zuvor nur aus dem Fernsehen kannte.

Brzenska: "Zunächst dachte ich: Das war's mit Fußball"

Leider ging das Debüt in die Hose und endete bereits nach 43 Minuten. Sie sahen wegen eines wiederholten Foulspiels an Ballack die Gelb-Rote Karte.

Brzenska: Das war ein dummes Foul, ich habe es sofort realisiert. Wenn ich mir die Szene heute anschaue, sehe ich, wie dämlich und unerfahren ich war, vorbelastet so ein Foul an der Mittellinie zu begehen. Schiedsrichter Markus Merk kam sogar zu mir und sagte, dass es ihm leid tue, er mich aber vom Platz stellen müsse. Ich war auf der Sechs einfach etwas überfordert. Neben mir spielten Niklas Jensen und Lars Ricken, zwei nicht so laufstarke Spieler. (lacht) Ich hatte das Gefühl, ich müsste für drei laufen.

Wie haben Sie dieses Spiel mit gerade einmal 19 Jahren anschließend verarbeitet?

Brzenska: Zunächst dachte ich: Das war's mit Fußball. Ich fühlte mich natürlich als Sündenbock - erst recht, wenn man es anschließend überall so lesen kann. Letztlich konnte ich es aber schnell abhaken. Auch Sammer meinte, ich solle mir keinen Kopf machen. Machst du ein schlechtes Spiel, musst du dich wieder aufbauen. Und nach einem guten Spiel darfst du dich nicht darauf ausruhen. Es geht immer wieder von Null los.

Kommentator Marcel Reif war der Meinung, dass Sie an diesem Tag gleich zwei Bundesliga-Spiele absolviert hätten: Ihr erstes und Ihr letztes. Wie sind Sie mit dem medialen Echo umgegangen?

Brzenska: Ich habe zwar immer geschaut, welche Note ich nach den Spielen bekommen habe, aber es war schwer, auf einmal direkt im Fokus der Zuschauer und der Presse zu stehen. Der BVB war mein Herzensverein, so dass ich das immer auch als Fan gesehen habe. Auch alle Leute in meinem Umfeld waren BVB-Fans - und auf einmal bin ich selbst mittendrin. Nach schlechten Spielen dachte ich, dass ich nicht mehr vor die Tür kann. Und ein verlorenes war direkt ein Weltuntergang. Ich musste erst lernen, damit umzugehen.

Markus Brzenska und Roman Weidenfeller bejubeln einen Derbysieg gegen Schalke.
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Markus Brzenska und Roman Weidenfeller bejubeln einen Derbysieg gegen Schalke.

Brzenska über Dortmunds Fast-Insolvenz: "Anfangs dachte ich, dass so etwas nicht passieren kann"

Im Anschluss an Ihr Debüt kamen Sie unter Sammer nur noch zu Kurzeinsätzen. Unter dessen Nachfolger Bert van Marwijk dauerte es in der folgenden Saison bis zum 10. Spieltag, ehe Sie gegen Leverkusen wieder eingesetzt wurden. Spürten Sie dann aufgrund des Spiels in München einen besonderen Druck?

Brzenska: Ja, ich habe mir als junger Spieler viel Druck gemacht und war vor diesem zweiten Spiel sehr aufgeregt. Ich hatte die ganze Zeit im Kopf, dass diesmal alles klappen muss. So war's dann zum Glück auch: Ich war sofort im Spiel und es lief super. Das war ein richtiger Befreiungsschlag für mich, denn nach dem Spiel gegen die Bayern hat man mir nicht mehr viel zugetraut.

In der Rückrunde der Saison 2005/06 verdrängten Sie sogar den damaligen Nationalspieler Christoph Metzelder auf die Bank. Was machte das mit Ihrem Verhältnis zu ihm?

Brzenska: Das Verhältnis war absolut professionell, aber es war eine besondere Situation, weil die WM 2006 im eigenen Land vor der Tür stand. Er war eigentlich gesetzt, allerdings lange verletzt. Ich dagegen stand voll im Saft und habe gut gespielt. Das Ganze wurde von den Medien letztlich dramatischer dargestellt, als es war, nur weil er als Nationalspieler eben auf der Bank saß.

Zu jener Zeit steckte der BVB in einer schweren finanziellen Krise und hätte um ein Haar Insolvenz anmelden müssen. Wie sehr waren all diese Unruhen damals Thema innerhalb der Mannschaft?

Brzenska: Ich erinnere mich an den entscheidenden Tag im März 2005, als sich die Aktionäre am Düsseldorfer Flughafen getroffen haben, um dem Rettungsplan zuzustimmen oder nicht. Damals hatten wir Training und verfolgten im Aufenthaltsraum die Nachrichten. Keiner wusste, wie es weitergehen würde. Ältere Spieler wie Wörns waren finanziell bereits abgesichert, sodass es sie nicht so sehr betroffen hätte. Als junger Kerl war allerdings vollkommen unklar, was passieren würde. Das war schon eine Zeit mit einer gewissen Unsicherheit.

Inwiefern hatten Sie denn auch Angst, dass es den BVB quasi am nächsten Tag nicht mehr geben würde?

Brzenska: Anfangs dachte ich, dass so etwas nicht passieren kann, da der BVB so ein großer Verein ist. Aber ich machte mit trotzdem Gedanken darüber, was ich mache, wenn es nicht mehr weitergehen würde und ob ich mit dem Fußball aufhören müsste. Ich hatte eine abgeschlossene Ausbildung als Bürokaufmann für Kommunikation und spielte mit dem Gedanken, in einem Büro zu arbeiten. (lacht)

Aufgrund des anschließend eingeleiteten Sparkurses musste die Borussia vermehrt auf Leute aus dem eigenen Nachwuchs setzen. Wie empfinden Sie es, dass Spieler wie Kruska oder Sie heute vor allem mit der finanziell wie sportlich schlechten Dortmunder Phase in Verbindung gebracht werden?

Brzenska: Es war einfach eine schwere Zeit. Der BVB hatte keine andere Möglichkeit, als auf junge Spieler zu setzen - und wir waren froh, dass wir die Chance bekommen haben. Uns lag der Verein sehr am Herzen, daher hat jeder von uns immer alles gegeben. Es ging nicht um das Geld, es ging darum, aufzulaufen.

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