VfB-Meistertorwart Hildebrand im Interview vor der Relegation: "Ich spüre eine viel bessere Energie"

Timo Hildebrand wurde 2007 mit dem VfB Stuttgart Deutscher Meister.
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Wie sehr leiden Sie als Keeper mit Ron-Robert Zieler?

Hildebrand: Er erlebt eine total undankbare Saison. In der Rückrunde hat er extrem stabil gehalten und gute Leistungen gezeigt, aber wenn du trotzdem so viele Tore bekommst, hast du auch als Keeper nie Argumente und kannst nicht großartig glänzen. Aber er macht einen guten Job.

Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste, was Nico Willig in seiner kurzen Zeit im Amt dem Team mitgeben konnte?

Hildebrand: Es ist eine Mischung aus psychologischer und taktischer Arbeit. Sie haben natürlich taktisch einiges verändert und dem Team eine viel mutigere Ausrichtung gegeben, aber vor allem haben sie es als Trainerteam geschafft, die Köpfe der Jungs zu erreichen. Das ist einfach so brutal wichtig. Nico Willig nimmt sowohl seine Spieler als auch die Fans mit. Unter Markus Weinzierl war vorher überhaupt keine Harmonie mehr vorhanden. Wenn das der Fall ist, wird es extrem schwierig. Ich habe das selbst erlebt, die Zeit unter Giovanni Trapattoni fällt mir da ein. Wenn es zwischen Team und Trainer nicht funkt, kannst du nicht viel machen. Das ist für Außenstehende manchmal schwer zu verstehen, aber die zwei wichtigsten Personalien in jedem Klub sind der Sportvorstand und der Trainer. Diese Entscheidungen müssen sitzen.

Timo Hildebrand machte in seiner Karriere über 300 Bundesliga-Spiele.
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Timo Hildebrand machte in seiner Karriere über 300 Bundesliga-Spiele.

Hildebrand: "Walter-Entscheidung mutig und richtig gut"

Auf der Trainerbank wird in der neuen Saison mit Tim Walter ein spannender Coach sitzen. Was halten Sie von der Entscheidung?

Hildebrand: Ich halte sie für mutig und richtig gut. Walter ist jemand mit einer total interessanten Vita und vor allem jemand, der mutig nach vorne spielen will mit seinen Teams. Der VfB braucht auf dieser Position vor allem eines: Kontinuität. Das wünsche ich dem neuen Trainer, aber eben auch dem Verein. Mir gefällt die Entscheidung sehr gut.

Sollte der Worst Case eines erneuten Abstiegs eintreten: Wäre er diesmal nicht mehr so "leicht" zu reparieren wie vor ein paar Jahren?

Hildebrand: Das glaube ich, ja. Die Abstiegsmannschaft vor einigen Jahren war aus meiner Sicht gefestigter und hatte einen anderen Spirit. Ginge es jetzt runter, würde es wohl einen großen Umbruch geben. Ein Wiederaufstieg ist kein Selbstläufer und der VfB ist überhaupt keine Fahrstuhlmannschaft. Ein erneuter Abstieg wäre unfassbar bitter. Der VfB muss drinbleiben und sich dann mit einer Stabilität auf den entscheidenden Positionen wieder eine Identität erarbeiten. Bei allem Anspruch, den man haben sollte, ist jetzt erstmal Demut angesagt. Noch so ein Jahr wird den Fans auch schwer zu verkaufen sein. Man hat auch die wachsende Unzufriedenheit gespürt, die auch vollkommen verständlich ist.

Seit der Meisterschaft 2007 ging es im Prinzip nur noch bergab, selbst vor dem Abstieg wurde die Jahre davor bereits mehrfach um ihn gebettelt, ehe es passierte. An welchem Zeitpunkt ist die Entwicklung so kolossal in die falsche Richtung gegangen?

Hildebrand: Es ist schwer, einen Zeitpunkt auszumachen, weil jede Saison immer wieder ihre eigene Geschichte geschrieben hat. Aber natürlich steht über allem, dass es der VfB einfach nicht mehr geschafft hat, auf der Trainer- und der Manager-Position auch nur im Ansatz Kontinuität reinzubringen. Es ist immer ein gutes Zeichen für einen Verein, wenn ein Trainer mal drei, vier Jahre im Amt ist und ein Manager vielleicht sogar fünf, sechs, sieben Jahre den Verein führt. Das hat der VfB nicht geschafft. Ich bin sicher, dass alle handelnden Personen immer versucht haben, die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen, aber sie haben nicht gefruchtet, das weiß der VfB selbst am besten. Wenn wir über 2007 sprechen: In unserem Meisterjahr ist Gladbach abgestiegen. Wo steht Gladbach jetzt? Und wo steht der VfB? Es ist traurig zu sehen, dass ein Verein wie Gladbach, der sicher keine besseren Voraussetzungen hat, jetzt so weit weg ist.

Hildebrand: "Hitzlsperger ist ein totaler Teamplayer"

Der letzte Knackpunkt war ohne Zweifel die umstrittene Entlassung von Jan Schindelmeiser, als der VfB auf einem guten Weg schien.

Hildebrand: Fußball ist ein Business, bei dem es auch um Macht, Ego und viel Geld geht. Wenn es im Innenverhältnis zwischen den Verantwortlichen nicht passt, gibt es keine Lösung. Dann muss man sich trennen. Und dann lieber gleich. Deshalb sage ich auch, dass Thomas Hitzlsperger Weinzierl als erste Amtshandlung hätte entlassen müssen. Es hat nicht gepasst, das war offensichtlich. Gleichzeitig ehrt es ihn total, dass er das eben nicht machen wollte. Es war eine sehr undankbare Situation für ihn. Insgesamt macht er einen fantastischen Job. Er ist authentisch, hochprofessionell und lässt seinen Worten Taten folgen.

Auch mit ihm sind Sie zusammen Meister geworden. Sie kennen ihn gut und sind nicht überrascht, oder?

Hildebrand: Nein, gar nicht. Er war schon immer ein smarter und sehr eloquenter Typ, der über den Tellerrand hinausgeschaut hat und von allen hoch angesehen wurde. Mir war auch immer klar, dass er seinen Weg machen wird. Er hat es als TV-Experte super gemacht und sich auch beim VfB Schritt für Schritt hochgearbeitet. Das Wichtigste für mich ist, dass er ein totaler Teamplayer ist. Er hat gesagt, dass er sich kompetente und starke Leute dazuholen will. Leute, die auch mal anderer Meinung sein dürfen. Genau das macht er und genau das macht einen guten Chef für mich aus, egal in welcher Branche. Ich hoffe, dass er den Posten jetzt auch lange bekleidet.