Freiburgs zweiter Streich

Von Johannes Raif
Blick nach Europa: Christian Streich gelang zum zweiten Mal mit Freiburg die Qualifikation für den Europapokal
© getty

Es war wohl eine der positivsten Überraschungen der vergangenen Bundesliga-Saison. Wenig spektakulär, jedoch mit Laufstärke und mannschaftlicher Geschlossenheit erreichte der SC Freiburg zum zweiten Mal unter Christian Streich das internationale Geschäft - doch der Erfolg birgt Gefahren.

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Es war die Schlussphase des 32. Spieltags. Aufsteiger Freiburg lag im Sonntagsspiel gegen überforderte Schalker mit 2:0 in Front und schob sich damit auf den fünften Platz in der Tabelle. Die Fans im Schwarzwald-Stadion feierten, doch statt den in diesen Fällen in der Bundesliga üblichen Europapokalhymnen wurde auf den Rängen ein anderer Evergreen angestimmt. "Nie mehr zweite Liga", sangen die Zuschauer im ausverkauften Freiburger Stadion, als wären die Badener nur um ein Haar dem Abstieg entgangen.

Was auf den ersten Blick nach etwas übertriebenem Understatement der Freiburger Fans klingt, drückt vielleicht auch aus, wie überrascht selbst die eigene Anhängerschaft von der starken Saison des Sport-Clubs war. Freiburg beendete die Bundesliga-Spielzeit 2016/17 auf Rang sieben - nach dem Pokalsieg von Borussia Dortmund (2:1 gegen Eintracht Frankfurt) steht fest, dass dies zur Qualifikation für die Europa League reichen wird. Damit sind die Badener erst das achte Team in 54 Bundesliga-Jahren, dem das Kunststück gelingt, als Aufsteiger über die Liga in den Europapokal einzuziehen.

Erstmals zwei Aufsteiger für Europa qualifiziert

Die Nummer sieben in dieser Liste war übrigens Mitaufsteiger RB Leipzig, womit sich zum ersten Mal überhaupt zwei Aufsteiger im selben Jahr für den Europapokal qualifizierten. Doch während bei den brausefinanzierten Roten Bullen höchstens die Geschwindigkeit überraschte, wie schnell nach dem erstmaligen Bundesliga-Aufstieg auch der Einzug ins internationale Geschäft perfekt gemacht wurde, ist die insgesamt vierte Freiburger Europapokal-Teilnahme erneut eine kleine fußballerische Sensation.

Trotz eines der kleinsten Etats in der Liga schafften es die Badener, sich nach dem Wiederaufstieg direkt wieder in der Bundesliga zu etablieren und unter anderem mit Siegen gegen die Europapokalteilnehmer Mönchengladbach, Leverkusen oder Schalke kräftig an den Machtverhältnissen in der Bundesliga zu rütteln. Freiburg lieferte dabei kein großes Spektakel ab, feierte im Ligavergleich sogar klar die meisten Siege mit nur einem Tor Differenz (11 von 14 Siegen) und beendete die Saison mit der grotesk anmutenden Tordifferenz von -18 - dieselbe wie sie auch der Tabellensechzehnte Wolfsburg am Saisonende hatte. Seit Bundesliga-Gründung schnitt noch nie ein Team mit einer derart schlechten Tordifferenz so gut ab wie die Freiburger.

Dieser Umstand spiegelt aber auch eine Stärke der Breisgauer in der abgelaufenen Saison wider - auch nach deutlichen Niederlagen gelang es Christian Streich, seine Mannschaft wieder aufzurichten. Nur ein einziges Mal setzte es mehr als eine Niederlage in Serie (vom 10. bis 12. Spieltag). Woche um Woche gelang es der jungen Elf, auch teils überlegene Gegner mit Leistungsbereitschaft und Einsatzwille unter Druck zu setzen. Im Schnitt spulte Freiburg vergangene Saison 117,4 km pro Spiel ab und damit knapp zwei Kilometer mehr als das zweitplatzierte Team in diesem Ranking, 1899 Hoffenheim (115,8) - und gut vier mehr als der Liga-Durchschnitt (113,5).

Torverhältnis wie der Tabellensechzehnte Wolfsburg

Die Last des Toreschießens verteilte sich bei Freiburg auf mehreren Schultern. In Florian Niederlechner (elf), Nils Petersen (zehn) und Maximilian Philipp (neun) stellte Freiburg als einziger Bundesligist in der vergangenen Saison drei Spieler mit neun oder mehr Saisontoren. Hinzu kam noch Topscorer Vincenzo Grifo (vier Tore, acht Torvorlagen) als entscheidender Faktor in Freiburgs Offensive. Dass sich dabei Nils Petersen trotz neun Jokertoren - damit stellte er den Saisonrekord von Stuttgarts Viorel Ganea von 2002/03 ein - immer wieder ohne Murren auf die Bank setzte, spricht ebenfalls für die mannschaftliche Geschlossenheit von Streichs Truppe.

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Abgesehen von der starken Offensive ist dies beim SCF allerdings nichts Neues. Trotz des insgesamt längsten Bundesliga-Intermezzos der Vereinshistorie hatte Freiburg auch beim Abstieg vor zwei Jahren keinen vermeintlichen Starspieler, auf den das Spiel ausgerichtet war. Auch damals gehörte Freiburg zu den laufstärksten Teams der Liga (damals Rang 3 im Liga-Vergleich) und kurioserweise ließ die Abwehr im Saisonverlauf sogar 13 Gegentore weniger zu (47) als in der vergangenen Saison (60).

Der entscheidende Faktor für die starke Freiburger Saison lässt sich dabei nur schwer mit Statistiken ausdrücken. Seitdem Christian Streich im Sommer 2013 erstmals mit dem SC Freiburg die Europa League erreicht hatte, wurden ihm am Saisonende in schöner Verlässlichkeit die besten Spieler von finanzstärkeren Vereinen weggekauft. Ein Umstand, der sich zu Beginn der vergangenen Saison änderte - wohl auch, weil Streichs Schützlingen nach dem Abstieg die große Bühne Bundesliga gefehlt hat, konnte Freiburg erstmals ohne Abgang eines Stammspielers in die Sommervorbereitung gehen. Schon vor der Saison 2012/13 hatte Streich seinen Kader beisammenhalten können und später die Europa League erreicht.

Freiburg droht ein erneuter Umbruch

Ein Luxus, der Streich in der kommenden Sommervorbereitung, seiner dann sechsten beim SC Freiburg, wohl nicht zuteilwerden wird. Mittelfeldstratege Vincenzo Grifo nutzte als Erster eine Ausstiegsklausel und spielt kommende Saison bei Borussia Mönchengladbach. Der junge Innenverteidiger Caglar Söyüncü weckte ebenfalls schon Begehrlichkeiten bei anderen Klubs. Zudem stellt der Sport-Club in Janik Haberer, Marc-Oliver Kempf und Maximilian Philipp das größte Kontingent in der DFB-Auswahl für die U21-Europameisterschaft in Polen, womit Streich einige Stammkräfte erst später in der durch die Europa-League-Qualifikation ohnehin verkürzten Sommervorbereitung begrüßen kann - wenn das Schaufenster U21-EM nicht zuvor schon weitere mögliche Interessenten für die Freiburger Talente auf den Plan ruft.

Schon länger war es Streich bewusst, dass der Erfolg erneut einen großen Umbruch in Freiburg mit sich bringen wird. "Am liebsten würde ich nächstes Jahr nach Glasgow reisen und gegen Celtic spielen. Das gilt allerdings nur, wenn wir dafür nicht absteigen", hatte Streich bereits in der Pressekonferenz vor der Partie gegen Schalke gesagt. Bis zu 30 Pflichtspiele könnten den Sport-Club bis zur Winterpause erwarten - vor vier Jahren, als der Sport-Club direkt für die Europa League qualifiziert war, schloss Freiburg die Hinrunde auf Rang 16 ab und hielt die Klasse am Ende auf Platz 14. Streichs Wunsch wird es daher sein, dass die Fans in einem Jahr zum Saisonausklang wieder "Nie mehr zweite Liga" singen werden - auch wenn es dann wohl kein Understatement sein wird.

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