Im Prinzip müsste Ivan Perisic einfach kurz hinüber latschen, klingeln und genau nachfragen. Schließlich wohnt der Kroate im selben Haus wie sein Teamkollege Ilkay Gündogan. Und der stand in der letzten Saison vor einer ähnlichen Situation wie nun Perisic.
Nach erheblichen Anlaufschwierigkeiten nutzte Gündogan damals in der Rückrunde die Verletzungspause von Sven Bender, um sich dauerhaft ins Team zu spielen. Gündogan hat es so innerhalb eines halben Jahres geschafft, sich zum unverzichtbarsten der Dortmunder Sechser zu machen.
Es lässt sich jedoch nur darüber spekulieren, ob sich Perisic bei seinem Nachbarn tatsächlich Tipps holen wird. Fakt ist aber, dass der verletzungsbedingte Ausfall von Jakub Blaszczykowski in den nächsten Wochen eine Steilvorlage für den kroatischen Nationalspieler darstellt. In seiner Zeit beim BVB stand die Chance für Perisic noch nie so gut, sich in der ersten Elf festzubeißen - so er denn die Möglichkeit dazu erhält.
Perisic ist Klopps zwölfter Mann
Wie mehr oder weniger jeder Neue, der zum BVB kommt, hatte auch Perisic in seinem ersten Jahr ordentlich an der Umstellung auf die Bundesliga und speziell die Besonderheiten des Dortmunder Spiels zu knabbern. Tempo, Intensität, Defensivzweikämpfe - all dies war Perisic aus Brügge, von wo aus er als teuerster Neuzugang seit Torsten Frings nach Dortmund wechselte, nicht in dieser Ausprägung gewohnt.
Kam Perisic zum Einsatz - sein Betätigungsfeld war fast ausschließlich die linke Mittelfeldseite -, dann stach trotz aller Offensivqualität meist ein ungenügendes Verständnis für defensivtaktische Abläufe hervor. Er ging zu überhastet und mitunter naiv in die Zweikämpfe, ließ seinen Hintermann damit oft allein und vergrößerte in diesem Abschnitt des Spielfelds den Raum für den Gegner.
Das war für Dortmunds Spielansatz deutlich zu wenig, um Trainer Jürgen Klopp davon zu überzeugen, lieber ihn als Konkurrent Kevin Großkreutz aufzustellen. So blieb Perisic immerhin Klopps erste Wahl bei Einwechslungen, 20 Mal war dies der Fall. Mit sieben Toren und drei Assists bei lediglich acht Startelfeinsätzen lieferte der Kroate aber einen ordentlichen Arbeitsnachweis ab. "Wenn ich zwölf Spieler aufstellen dürfte, würde Ivan immer spielen", fasste Klopp dessen Lage zusammen.
Perisic moniert Reservistenrolle öffentlich
Perisic gefiel diese Entwicklung nicht, im März monierte er öffentlich seine Reservistenrolle und schickte seinen Berater vor, damit dieser mit Sportdirektor Michael Zorc und Klopp ein Feedbackgespräch führt. Doch Perisic verpasste weder die EM, noch schlug ihm sein Berater einen vorzeitigen Wechsel vor.
Im Gegenteil: Im Sommer war Perisic wieder heiß auf die Borussia und stieg zwei Tage vor dem offiziell festgelegten Start ins Training ein.
Klopp belohnte ihn dafür mit einer Lobeshymne: "Ivan kann alles! Rechts wie links, Kopfballspiel, und er ist schnell. Wenn man mit Mitspielern über ihn spricht, bekommen alle glänzende Augen. Das Talent und Potential von Ivan haben wir zu 100 Prozent richtig eingeschätzt."
Nächste Chance Revierderby?
Einen Stammplatz konnte sich Perisic bislang aber auch in dieser Saison nicht erarbeiten. In den elf Pflichtspielen des BVB stand er vier Mal von Beginn an auf dem Platz, drei Mal kam er gar nicht zum Einsatz. Was die nackten Zahlen angeht, liegt Perisic damit einen Tick vor Großkreutz.
Durch das Vakuum, das aufgrund von Kubas Verletzung nun entsteht, schlägt schon im Revierderby gegen Schalke die Stunde von Perisic oder Großkreutz - für einen von ihnen allerdings auf der rechten Mittelfeldseite. Dafür spricht Klopps Vorliebe, bei Ausfällen nicht allzu sehr an seiner Elf zu schrauben und lediglich die vakante Position aufzufüllen.
Nur: Weder Großkreutz noch Perisic haben bei den wenigen Gelegenheiten rechts im Mittelfeld überzeugen können. Die 2:3-Niederlage beim Hamburger SV lässt sich im Falle von Perisic sogar als Sinnbild seiner bisherigen Darbietungen im BVB-Dress hernehmen: Im ersten Abschnitt blieb er über rechts kommend ohne nennenswerte Aktion, in Halbzeit zwei mutierte er auf der linken Seite mit sechs Torschüssen und zwei Treffern zu einem der besten Dortmunder.
"Jetzt weiß ich, was Klopp von mir will"
Die Chance, die ihm Klopp dann nur Tage später auf dieser Position in Frankfurt gab, versemmelte er dann aber so, dass ihn der Coach seitdem keine Minute mehr spielen ließ.Das könnte sich gegen die Knappen nun ändern, zumal Großkreutz zuletzt durch eine Fußprellung gehandicapt war und ihm bei seinen Kurzeinsätzen doch ein wenig die Bindung zum Spiel fehlte.
Perisic sagt zwar: "Das Wichtigste, was ich von Jürgen Klopp gelernt habe, war die Art und Weise, wie ich verteidigen muss. Wie ich mich verhalten muss, wenn wir den Ball verlieren. Das wusste ich am Anfang überhaupt nicht. Jetzt weiß ich, was er von mir will."
Doch während sich sein Defensivverhalten in der Tat verbessert hat, ist es jetzt die Balance zwischen disziplinierter Rückwärts- und effektiver Umschaltbewegung in die Offensive, die noch nicht gänzlich austariert scheint. Oder wie es Klopp ausdrückt: Im richtigen Moment das Richtige tun, das will bei Perisic noch zu selten klappen.
Ähnliche Probleme kannte Gündogan und fast identisch war Blaszczykowskis Lage, bevor ihn Mario Götzes Blessur in die Mannschaft spülte. Beide haben ihre Chancen genutzt und sich auch dank der größeren Spielanteile weiterentwickelt, so dass der Aufschrei mittlerweile groß ist, wenn einer der beiden ausfällt. Davon ist Perisic aktuell noch weit entfernt. Der Ball liegt bei ihm, die Gunst der Stunde zu nutzen - ob mit oder ohne Nachbarschaftshilfe.
Ivan Perisic im Steckbrief