"Lieber kicken als Scheiße bauen"

Von Haruka Gruber
Der Poster-Boy der Berliner Fußball-Clique: Kevin-Prince Boateng, seit der Winterpause in Dortmund
© Imago

Mit der Rückkehr des Neu-Dortmunders Kevin-Prince Boateng ist die Berliner Fußball-Clique wieder komplett. Skandale sollen jedoch der Vergangenheit angehören - trotz Bling-Bling und Aggro Berlin.

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Von den richtig derben Streichen will Zafer Yelen lieber nicht erzählen. "Sonst bekommen wir nachträglich Ärger", sagt er mit einem Lächeln.

"In der Schule haben wir witzige Dinge abgezogen. Harmlose, wie zu mehreren eine ganze Unterrichtsstunde hinter der Tafel in einem Schrank verstecken. Oder eben nicht ganz so harmlose. Aber darüber schweige ich lieber."

Yelen achtet auf die Reputation. Auf seine und auf die von Kevin-Prince, Ashkan, Chinedu, Jerome und Änis. Seine Schulkumpels, seine Buddys, seine "Brüder", wie Yelen sagt.

Ungewöhnliche Konstellation

Vor über zehn Jahren lernten sie sich kennen, freundeten sich an, kickten zusammen auf Berliner Bolzplätzen - und sind, nach der Rückkehr von Kevin-Prince Boateng, wieder vereint im deutschen Profi-Fußball.

"Die Gruppe ist wieder zusammen und der Kontakt wird intensiver. Es ist schön, dass Kevin wieder da ist", sagt Yelen im SPOX-Gespräch.

Es ist eine ungewöhnliche, wenn nicht einzigartige Konstellation. Durch Boatengs Wechsel von Tottenham nach Dortmund in der Winterpause spielen sechs Freunde, die sich seit der Kindheit kennen, allesamt in der ersten oder zweiten Bundesliga.

Ashkan Dejagah in Wolfsburg, Boatengs kleiner Bruder Jerome in Hamburg und Yelen beim Zweitligisten Rostock. Zuletzt ließ sich Änis Ben-Hatira vom HSV nach Duisburg ausleihen, wo auch Chinedu Ede unter Vertrag steht.

Aufgewachsen in der "Bronx von Berlin"

Der Erfolg der Clique beruht auf dem gemeinsamen Werdegang. "Durch unsere Vergangenheit haben wir eine stärkere Motivation als andere. Wir haben einen solch großen Stolz, dass verlieren gar nicht geht", sagt Ben-Hatira.

Das Sextett ist in Berlin-Wedding verwurzelt. Wedding, auch bekannt als "Bronx von Berlin", ist eines der größten Problemviertel der Hauptstadt. Der Ausländeranteil beträgt über 30 Prozent, im Jahr werden dort fast 15.000 Straftaten verübt.

"Gewalt und Drogen sind allgegenwärtig. Einige Freunde von uns haben den falschen Weg eingeschlagen und sind im Knast gelandet. Ich will nicht ins Detail gehen, denn viele Sachen sind zu krass", sagt Yelen. Ben-Hatira ergänzt: "Ich kann Lieder darüber singen, wie sich Jugendliche geschlagen haben, sich mit Messern attackiert und zerfetzt haben."

Der Fußball jedoch habe geholfen, nicht in die falsche Bahn zu geraten. "Ohne den Fußball wäre ich kriminell geworden", sagt Kevin-Prince Boateng.

Die Talent-Schule schlechthin

Im Alter von zehn Jahren wechselte Yelen zu den Reinickendorfer Füchsen und spielte in einer Mannschaft mit Kevin-Prince Boateng, Dejagah und Chinedu Ede. Parallel besuchte der heute 22-Jährige die Sportschule Poelchau in Charlottenburg-Wilmersdorf. Seine Klassenkollegen: Boateng, Dejagah und Ede. Jerome Boateng sowie Ben-Hatira waren eine Jahrgangsstufe darunter.

"Die Jungs hatten nur Fußball im Kopf. Ihre schulischen Leistungen waren begrenzt", erinnert sich Schulleiter Rüdiger Barney. Sejad Salihovic (Hoffenheim), Patrick Ebert (Hertha) oder Nico Pellatz (Bremen) besuchten ebenfalls Poelchau, mittlerweile vom DFB zur "Eliteschule des Fußballs" ernannt.

Nach dem Unterricht ging es für Yelen und seine Freunde auf einen Bolzplatz in der Nähe von Dejagahs Wohnung in Reinickendorf. Der Boden bestand aus Steinplatten und die Tore waren aus Holzlatten zusammengezimmert.

"Wir haben Drüberschießen mit einem Kontakt gespielt. Da war richtig Action. Man pusht sich gegenseitig und schaut was beim anderen ab. Das ist auch heute noch so", sagt Yelen. "Wir repräsentieren die neue Generation von Straßenfußballern."

Ärger mit Dieter Hoeneß

Genau das stand der Clique jedoch lange im Weg. Der anrüchige Klang der Straße. Der Gosse. Des Ghettos.

Vermutlich aus diesem Grund steht auch keiner der sechs hoch veranlagten Spieler im Kader der ortsansässigen Hertha. Berlins Manager Dieter Hoeneß konnte nichts mit einem Kevin-Prince Boateng anfangen, der bereits als Teenager bei der Hertha den Ruf des "Ghetto-Kids" kultiviert hatte.

Ebenso wenig mit dessen Bruder Jerome, von Hoeneß nach dem Wechsel nach Hamburg als "gierig" charakterisiert worden. Und auch nicht mit Dejagah, der in seiner Zeit bei Hertha sogar für eine Nacht im Knast landete, weil er einen Prozess wegen Fahrerflucht geschwänzt hatte.

"Wir mussten uns nach den Regeln der Straße durchsetzen und dadurch haben wir ein Gefühl eingeimpft bekommen, dass man sich immer beweisen muss. Vielleicht gab es deswegen manchmal Knatsch", sagt Yelen. "Aber klar: Was Ashkan damals gemacht hat, war natürlich Dummheit."

"Wir wollen Vorbilder sein"

Die Dummheiten sollen jedoch der Vergangenheit angehören. Die Ghetto-Kids werden erwachsen. Zwar bevorzugen sie nach wie vor den "Bling-Bling-Stil", tragen Hip-Hop-Klamotten und hören Aggro Berlin - aber mittlerweile ist es erstaunlich ruhig geworden um die Skandal-Spieler von einst.

Dejagah etwa ist im beschaulichen Wolfsburg sesshaft geworden, selbst Kevin-Prince Boateng präsentiert sich in Dortmund nach den schweren Wochen bei Tottenham ungewohnt zurückhaltend, fast schon demütig.

"Wir wollen Vorbilder sein. Wir wollen den Kindern in Berlin-Wedding zeigen, dass sich harte Arbeit und tägliches Training rentiert. Dass es nicht die krasse Gangsta-Art sein muss, um nach oben zu kommen", sagt Yelen, der mit Ben-Hatira, Paul Breitner und dem Bundestagsabgeordneten Jörn Thießen eine Stiftung gegründet hat, die Jugendliche unterstützt, die ihre Beiträge für den Sportklub nicht bezahlen können.

Yelens Botschaft an die Heranwachsenden: "Lieber kicken als Scheiße bauen."

Im Steckbrief: Rostocks Zafer Yelen