Verfrühtes Gempuku für Stoffel

Bisher blieb Stoffel Vandoorne (2.v.l.) oft unbeachtet, wenn er mit Fernando Alonso unterwegs war
© xpb

Fernando Alonso verpasst nach dem schweren Unfall mit Haas-Pilot Esteban Gutierrez in Melbourne das zweite Rennen der Formel-1-Saison 2016. Beim Großen Preis von Sakhir ersetzt Debütant Stoffel Vandoorne den erfahrenen Spanier im McLaren-Honda. Der hochveranlagte Belgier könnte Jenson Button den Job kosten.

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Die Pläne waren klar skizziert. Am Ostermontag machte sich Stoffel Vandoorne auf zum Londoner Flughafen. Über zwölf Stunden Flugzeit, dann betrat er den Boden seiner aktuellen Rennheimat: Japan.

In Okayama standen Testfahrten an. Nicht für McLaren, wo der 24-jährige Belgier seit Jahren als Nachwuchsfahrer aufgebaut wird, sondern für Dandelion Racing sollte sich Vandoorne ins Cockpit schwingen. Super Formula statt Formel 1.

Doch nachdem sein Team das 550 PS starke Auto am Mittwoch am Okayama-Circuit, auf dem die Königsklasse in den Jahren 1994 und 1995 ihren Pazifik-Grand-Prix ausfuhr, aufgebaut hatte, mussten die Pläne spontan geändert werden. Die FIA hatte Fernando Alonso den Start bei der Formel 1 in Bahrain verweigert.

Statt also in Japan seine Runden zu drehen, flog Vandoorne retour. Boarding um 13 Uhr europäischer Zeit, 15 Stunden Flugzeit von Tokyo bis Bahrain. Der gerade überwundene Jetlag wird ihn wieder einholen, wenn er am Freitag erstmals den aktuellen McLaren-Honda fährt.

Alonso: Rippenfraktur und Pneumothorax

"Es ist traurig, aber ich respektiere die Entscheidung und verstehe sie", sagte Alonso in über 8000 Kilometer Entfernung beinahe zeitgleich. Er verriet, warum ihn die Ärzte nach einer 45-minütigen Untersuchung ausgeschlossen hatten: Beim Crash in Melbourne hatte er sich einen Pneumothorax und Rippenfrakturen zugezogen hatte. Ein weiterer Unfall hätte dazu führen können, dass eine Rippe sich in die Lunge bohrt.

"Ich werde jetzt versuchen, meinem Teamkollegen zu helfen, damit er das Beste aus dem Wochenende macht", gab der Spanier sein neues Ziel vor. Der Samurai unter den Formel-1-Fahrern nimmt sich des jungen Lehrlings an.

Ohne Trackwalk, ohne ausschweifende Meetings mit den Ingenieuren klemmt sich Vandoorne hinters Lenkrad. Erstmals steht das aktuell vielversprechendste Talent im gleißend hellen Rampenlicht der Formel 1. "Ein bisschen früher als erwartet, aber ich freue mich riesig darauf. Ich werde mein Bestes für das Team geben", teilte Vandoorne noch mit, bevor er sich in seinen Schlafsessel begab.

Dennis über Vandoorne: "Schon immer intelligent"

"Wir erwarten, dass er 2017 bereit sein wird", hatte McLaren-Boss Ron Dennis noch vor einer Woche der Internetredaktion der Formel 1 gesagt: "Er war schon immer intelligent, aber zu dieser Intelligenz kommt nun auch noch eine gewisse Weisheit dazu, die bei einer so jungen Person sehr ungewöhnlich ist."

Schon früh hatte der Belgier auf sich aufmerksam gemacht. Zur Saison 2008 startete er professionell im Kart und gewann prompt die nationale Meisterschaft, ein Jahr später wurde er Vizeweltmeister. Die FIA wählte ihn für ihre Nachwuchsförderung aus, Alex Wurz sah sein Talent und stellte den Kontakt zu McLaren her.

Seitdem reiht der Youngster Erfolg an Erfolg und Titel an Titel. Meister im F4 Eurocup 2010, Meister der des Formel Renault Eurocup 2012, Vizemeister der Formel Renault 3.5 und der GP2-Serie 2013 und 2014, Meister der GP2-Serie 2015 mit beinahe doppelt so vielen Punkten wie Vizechampion Alex Rossi.

Trotzdem war kein Cockpit frei. "Wir können nicht akzeptieren, dass es ein Kerl, der alles gewonnen hat, nicht in die Formel 1 schafft", hatte Renaults neuer Teamchef Frederic Vasseur noch im Oktober gewarnt: "Es wäre ein großes Desaster, wenn Stoffel nächstes Jahr nicht in der Formel 1 landen würde. Er hat die Konkurrenz in diesem Jahr zerstört." Konkurrent Nick Yelloly ergänzte: "Ich bete, dass er es im kommenden Jahr versuchen darf, weil er supergut ist. Wenn nicht, dann wäre das kompletter Bullshit!"

Die vorübergehende Chance auf die Wachablösung

Letztlich hat sich das Beten gelohnt. Vandoorne bekommt seine Chance - vorübergehend. Für den Debütanten ist Bahrain das perfekte Pflaster für seinen Einstieg in die Königsklasse. Hier gewann er nach seinem Aufstieg in die GP2 direkt das allererste Rennen, 2015 wiederholte er den Erfolg und belegte im Sprintrennen noch Platz 2, nachdem er als Achter gestartet war.

Vandoorne kann an diesem Wochenende ohne Druck fahren: Auf der motorenlastigen Strecke ist von McLaren durch den immer noch schwächelnden Honda-Antrieb kein Spitzenresultat zu erwarten. Unter Alonsos Anleitung könnte Bahrain für Vandoorne zum Gempuku werden, des feierlichen Abschlusses der Ausbildung eines neuen Samurai.

Button oder Vandoorne - wer ist unter Druck?

Sein einziges Problem: Er hat mit Jenson Button einen Weltmeister als Teamkollegen, mit dem er verglichen wird. Ob der Belgier schon so weit ist, um mit dem Routinier zu konkurrieren? "Ich glaube, das wird er", sagte Kevin Magnussen überzeugt. Der dänische Renault-Pilot kennt beide McLaren-Fahrer aus seiner Zeit als Test-, Einsatz- und Ersatzfahrer des Rennstalls aus Woking. "Er ist gut genug, um in der Formel 1 zu sein. Ich bin sicher, dass er ein gutes Rennen haben wird."

Das setzt Button unter Druck. Denn während Alonso noch für die nächste Saison einen Vertrag bei McLaren hat, läuft der des Weltmeisters des Jahres 2009 nach der Saison aus. "Er und ich werden im Laufe des Jahres Gespräche führen. Aber er ist ein Weltmeister, und einer der besten Fahrer, die wir je hatten. Jedes Team wäre froh ihn zu haben. Wir sind es definitiv", hatte Dennis zuletzt verkündet.

Doch wenn der Jungspund wirklich mit dem Altmeister mithält, muss McLaren sich für das größere Entwicklungspotenzial entscheiden. Dann hätte der desaströse Bullshit sich endgültig erledigt, allerdings müsste der letzte Frauenheld der Formel 1 seinen Hut nehmen.

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