Übertrieben und verständlich

Sebastian Vettels Aufholjagd endete in Spa mit einem geplatzten Reifen
© xpb

Sebastian Vettel hat Formel-1-Reifenhersteller Pirelli nach dem Belgien-GP in Spa scharf attackiert. Menschlich mag die Reaktion verständlich sein, nachdem in der vorletzten Runde sein rechter Hinterreifen explodierte. Trotzdem ist sie übertrieben. Zu viele Faktoren sind ungeklärt. Ein Kommentar von SPOX-Redakteur Alexander Maack.

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Ferraris Aushängeschild war nach seinem 150. Grand Prix kaum zu halten. Er müsse aufpassen, was er sage, stellte er fest, bevor es dann doch aus ihm herausbrach. Mit wohlgewählten Worten gab Vettel Pirelli die Schuld für seinen geplatzten Reifen, der "inakzeptabel" sei, bezeichnete die Gummis generell als seit Jahren miserabel und forderte Konsequenzen.

Zusammengefasst: Pirelli habe einen gefährlichen Unfall wissentlich riskiert.

Und damit liegt Vettel falsch. Pirelli sprach schon vor dem Wochenende von einem Zwei- oder Drei-Stopp-Rennen, hielt diese Einschätzung bis zum Rennstart aufrecht.

Wie lange hält ein Reifen?

Bei drei gleichlangen Stints hätte das bedeutet, dass ein Satz Reifen durchschnittlich 15 Runden gefahren wird. Bei vier Stints wären es gar nur 11 Umläufe gewesen. Ferrari schätzte die Situation anders ein und setzte seinen Plan A um: In Runde 14 einmal stoppen, 20 Sekunden sparen und so ohne Überholmanöver auf der Strecke an den Konkurrenten vorbeikommen.

Mit anderen Worten: Vettels Reifen war 28 Runden alt, als sich das rechte Hinterrad in seine Einzelteile auflöste.

Ferrari wählte eine riskantere Strategie als die Konkurrenz, um das Ziel vom neunten Podestplatz in der Saison 2015 zu erreichen. Der Blick auf die Zeiten bestätigt die Annahme: Vettel verlor kaum an Tempo, der Reifen war also noch nicht abgenutzt. Zudem hatte Pirelli angegeben, der Medium-Slick halte in Spa 40 Runden.

Keine Vorgaben über Maximallaufzeit

Ein zweischneidiges Schwert. Zwar geben die Italiener den Teams seit den Problemen in der Saison 2013 klare Vorgaben über Luftdruck und Sturz der Räder, Vorschriften zur maximal mit einem Satz zu fahrenden Rundenzahl gibt es aber seit dem Vorjahr nicht mehr.

Zudem wird der grobe Richtwert durch mannigfaltige Variablen beeinflusst: Wie stark räubert der Pilot über die Kerbs? Nimmt er die Reifen für einige Runden härter ran? Selbst der unterschiedliche Abtrieb der verschiedenen Autos hat Auswirkungen auf die Abnutzung der Reifen.

Trotzdem: Eine Differenz von über 80 Kilometern zwischen errechneter und wirklicher Maximallaufleistung ist zu groß.

Emotionaler Ausbruch verständlich

Vettels emotionaler Ausbruch ist daher verständlich. Es ist auch nachvollziehbar, dass er nicht zur obligatorischen Medienrunde nach dem Rennen auftauchte und stattdessen Reißaus von der Strecke nahm. Schließlich war er gerade noch einem heftigen Abflug entgangen.

Nichtsdestotrotz ändert es nichts daran, dass bisher überhaupt kein Schuldiger zu bestimmen ist. Wäre allein die seitliche Belastung der Struktur das Problem gewesen, dann hätte in Eau Rouge der linke Hinterreifen platzen müssen. Dort sorgten die Verbiegungen der Seitenwand mehrmals am Wochenende für besorgte Blicke, nachdem Auto Motor und Sport ein Foto getwittert hatte.

Es war aber wie bei Rosberg der rechte Hinterreifen, der Vettel abhanden kam. Und er verabschiedete sich nach Radillon, als Vettel die Kurve gerade geschnitten hatte und über die Kerbs geheizt war.

Genaue Untersuchung nötig

Beschädigten sich beide Piloten beim Überfahren der Randsteine durch die ausgelösten Schwingungen die Karkasse? Diese Frage gilt es bis zum nächsten Rennen in Monza zu klären.

Und sollte es bis dahin weiterhin keine zufriedenstellende Antwort auf die Frage nach den Gründen für beiden geplatzten Reifen geben, bleibt eine einfache Lösung: Die Maximallaufleistung der Reifen zugunsten der Sicherheit vorschreiben. Dann würden sich allerdings einige Teams aufregen, weil sie von den Vorgaben eingeschränkt werden und theoretisch länger fahren könnten.

Die Formel-1-Saison 2015 im Überblick