Cavallino ramponiert

Von Johannes Mittermeier
Die Nase als unfreiwillige Zustandsbeschreibung: Bei Ferrari zeigt der Trend nach unten
© getty

Hinter Luca di Montezemolos Besuch in Bahrain steckte mehr als das Live-Erlebnis Formel 1. Zumal sich der Genuss für ihn arg in Grenzen hielt. Vor dem Grand Prix in China (alle Sessions im LIVE-TICKER) ist das Chaos um Ferrari ausgebrochen. Dabei lässt sich die Wurzel allen Übels nicht mit der Personalrochade beheben, bei der Teamchef Stefano Domenicali den Hut nahm.

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Es war ein deutliches Zeichen: Als Luca di Montezemolo in Bahrain genug gesehen hatte, marschierte er einfach los. 20 Runden, bevor die Zielflagge die haushoch überlegenen Mercedes abwinkte, reiste der Ferrari-Präsident verärgert ab. Die Darbietung der roten Autos hätte ihm "große Schmerzen" bereitet, presste er mürrisch hervor. Viel erwartet habe er ohnehin nicht, ließ di Montezemolo zum Abschied ausrichten: "Aber mit etwas mehr hatte ich schon gerechnet."

"Etwas mehr", darauf hatten die Tifosi gehofft. Etwas mehr als die Ränge neun für Fernando Alonso und zehn für Kimi Räikkönen, etwas mehr als die eklatante Chancenlosigkeit, die Ferrari im Wüstenstaat offenbarte. Bahrain war eine Blamage. Gedemütigt von Mercedes, distanziert von Force India, abgehängt von Williams. Natürlich zackte auch Red Bull vor Ferrari herum. Einzig das Safety Car bewahrte die Scuderia vor einer Überrundung.

"Ich habe diesen Grand Prix dreimal gewonnen. Es ist nicht so, dass ich vergessen habe, wie man hier fährt", merkte Alonso mit bittersüßer Miene an, nachdem er beim Überfahren der Ziellinie die Siegerfaust geballt hatte: "Wir sind Neunter und Zehnter, weil acht Leute besser waren." Ergreifend einfach, ergreifend wahr.

Bei der Fahrerpaarung Fernando Alonso versus Kimi Räikkönen sehnte die Formel-1-Gemeinde ein Duell der Superlative herbei. Nach drei Rennen versacken die beiden Ex-Weltmeister im düsteren Mittelmaß. Das "Cavallino rampante", das stolz galoppierende Wappentier Ferraris, gleicht in diesen Tagen eher einem lahmen Gaul.

Domenicali scheitert an den Ansprüchen

Für di Montezemolo, den Ferrari-Patriarchen, ist solch eine Schmach schwer zu ertragen. "Wir werden jeden Stein umdrehen, um dahin zurückzukehren, wo wir hingehören. Wir arbeiten Tag und Nacht", kündigte er an. "Wir werden die Entscheidungen treffen, die wir treffen müssen." Damit waren die Weichen gestellt.

Eine knappe Woche später durfte Teamchef Stefano Domenicali warme Worte über sich rieseln lassen. Kein Wunder, Luca di Montezemolo ist ein begnadeter Rhetoriker. "Ich empfinde viel Respekt und Mitgefühl für Domenicali. Ich habe gesehen, wie er in den 23 Jahren unserer Zusammenarbeit beruflich gewachsen ist", säuselte di Montezemolo. Und Domenicali, ganz Gentlemen, schickte die Komplimente artig retour: "Ich danke allen im Team von ganzen Herzen, den Fahrern und den Partnern für die wundervolle Beziehung, die uns über all die Jahre verbunden hat."

Seine Demission konnte letztlich nicht mehr überraschen. Domenicali hatte den Posten des Teamchefs Ende 2007 von Jean Todt übernommen. Ausbeute: Eine Konstrukteurs-WM (2008), ein Vize-Fahrer-Titel (Felipe Massa, 2008), zwei hauchdünn verpasste Alonso-Championate (2010, 2012) und sehr viel Durchschnitt. Zumindest für Ferrari-Ansprüche, die am Maximum angesiedelt sind.

Eine Frage der Macht

An der prächtigen Historie und den daraus resultierenden Ansprüchen ist Stefano Domenicali letztlich gescheitert. Er war stets ein freundlicher Mann. Nicht nur deswegen erinnert sein Abgang in vielen Punkten an jenen von Martin Whitmarsh.

Auch der Brite folgte bei McLaren mit Ron Dennis einer Institution nach, auch ihm diktierte die Erfolgsabhängigkeit den Takt, auch er scheiterte an den Anforderungen. Vor dieser Saison gab ihm McLaren den Laufpass, eine offizielle Stellungnahme steht bis heute aus. Da war Ferrari transparenter. Oder: Direkter. Oder: Italienischer. Anders jedenfalls.

Domenicali soll über das Arbeitsverhältnis mit di Montezemolo gestolpert sein, schreibt der "Corriere della Sera". Luca di Montezemolo, jüngst bis 2016 im Amt bestätigt, ist ein aktiver Präsident, manchmal zu aktiv. Das Tagesgeschäft liegt ihm nicht allzu fern. Wer bei Ferrari am längeren Hebel sitzt, ist keine Frage der Funktion. Es ist eine Frage von Status, Macht und Einfluss.

Als neuer Teamchef wurde Marco Mattiacci installiert, der zwar seit 1999 in Diensten des springenden Pferds steht, aber keine ausgewiesene Affinität zum Motorsport besitzt. Der Marketing-Experte fungierte als profilierter Manager, vertrat den Konzern glänzend im asiatisch-pazifischen Raum, Russland und zuletzt Nordamerika. Erfahrung am Kommandostand hat er keine. Von Aktionismus-Vorwürfen kann sich die Scuderia daher nicht lösen.

Schon 78 Punkte zurück

Wenn Maranello avisiert, seine Organisationsstruktur umzukrempeln und dabei möglichst keine Zeit verschwenden will, könnte das Vabanquespiel dennoch aufgehen - mit Blick auf 2015. In der aktuellen Saison ist Ferrari ins Hintertreffen geraten. Zu früh zu weit.

Zwar sind gerade erst drei Rennen absolviert, Ferrari hat aber noch keinen einzigen Podestplatz errungen und liegt bereits 78 Punkte hinter WM-Spitzenreiter Mercedes. Fernando Alonso lieferte mit vierten Rängen in Australien und Malaysia solide Leistungen ab, ehe ihn das Bahrain-Fiasko überrollte. Räikkönen enttäuschte und das nicht zu knapp. Siebter, Zwölfter, Zehnter.

Zu Beginn war von Problemen beim Bremssystem und der neuen Brake-by-Wire-Technologie die Rede, doch bei "Autosport" dementiert der Finne die Mutmaßungen: "Es dreht sich hauptsächlich ums Set-up. In Bahrain fühlte es sich schon besser an, obwohl es das Ergebnis natürlich nicht zeigte. Ich denke aber, dass wir ein gutes Verständnis davon haben, was zu tun ist."

Zu schwer und zu durstig

Ferrari befindet sich in einer verqueren Lage. Jahrelang trommelten die Italiener vehement, dass die Bedeutung der Aerodynamik - ihrer chronischen Achillesferse - beschnitten werden müsse. Der Motor sollte wieder wichtiger werden. Das ist in der Turbo-Ära der Saison 2014 geschehen und trotzdem kriechen die roten Wagen erschreckend langsam über die Formel-1-Strecken. "Die Mercedes-Autos sind auf den Geraden einfach an mir vorbei gefahren", schüttelte Räikkönen in Bahrain den Kopf: "Es war wie in einer anderen Klasse."

Ein Urteil wie ein Donnerschlag.Tatsächlich liegt Ferraris Kardinalproblem beim Motor: Zu wenig Power bei zu viel Verbrauch und zu hohem Gewicht. Das Aggregat soll 12 bis 18 Kilo zu schwer sein, ein nahezu irreparabler Wettbewerbsnachteil. Zehn Kilogramm kosten etwa drei Zehntelsekunden pro Runde. Das offizielle Eingeständnis seitens Ferrari fehlt zwar, in Bahrain verzichtete Sauber-Pilot Adrian Sutil aber sogar auf seine Trinkflasche, um Ballast einzusparen. Sauber bezieht baugleiche Kundenmotoren von Ferrari.

Räikkönen: Selbst der Force India ist aerodynamisch besser

Das Fachmagazin "Auto Motor und Sport" beschreibt das Dilemma so: "Ferrari hat ausnahmsweise ein gutes Auto gebaut und den Fehler beim Motor gemacht, was man öffentlich aber nicht zugeben darf, weil der Motor das Heiligtum ist." In Shanghai soll nun die zweite Ausbaustufe der neuen Powerunit debütieren. Doch Räikkönen widerspricht der Kritik an der fehlenden Leistung, selbst Force India sei abgesehen von der Antriebseinheit besser aufgestellt: "In der Kurve hat der auch noch viel mehr Traktion. Uns fehlen nicht nur Pferdestärken." Deshalb überhitzen die Hinterreifen an den Ferraris dauerhaft.

Luca di Montezemlos Besuch in Bahrain hatte einen triftigen Beweggrund. Er versuchte, gemeinsam mit Dauernörgler Bernie Ecclestone eine Revolte anzuzetteln: Regeländerungen. Während der Saison! Die Anklagepunkte des Grafen: Die Formel 1 sei zu leise, zu undurchsichtig und zu reglementiert. Das wäre sie per se auch für Mercedes, aber von den Sternträgern sind keine penetranten Beschwerden zu vernehmen "Jeder kritisiert die Formel 1 nur, weil Mercedes gewinnt. Es ist eine lächerliche Situation", zischte der Aufsichtsratsvorsitzende Niki Lauda in italienischen Gazetten.

Räikkönen: "Wir sind nicht dumm"

Droht Ferrari beim China-GP also das nächste Debakel? "Bahrain war die härteste Strecke für uns", revidiert Räikkönen und verbreitet in seiner ihm eigenen Art so etwas wie Optimismus: "Wir sind nicht dumm. Ich kenne das Team und bin sicher, dass wir es hinkriegen." Teamkollege Alonso meint: "Wir erwarten, in China konkurrenzfähiger zu sein. Barcelona und Monaco müssten unserem Auto ebenfalls mehr liegen. Vielleicht sind ein paar Podien drin."

Bei den offiziellen Testfahrten in Bahrain, die in der Woche nach dem Grand Prix stattfanden, setzte sich die Pleitenserie allerdings fort. Alonso sollte das Rennchassis von Räikkönen am zweiten Tag testen, um die Probleme des Finnen zu ergründen. Schon nach zwölf Runden endete die Fahrt. Am Freitag im Freien Training hatte der Iceman mit einem Sprung über die Kerbs ein Loch ins Chassis gefahren, Ferrari brach den ersten In-Season-Test frühzeitig ab. Immerhin: Damit kennt sich die Scuderia seit Luca di Montezemolo Fahnenflucht aus. Wenigstens etwas.

Der aktuelle WM-Stand