Daniel Albrecht im Interview: „Plötzlich wusste ich nicht, wie man Ski fährt“

Von Lukas Zahrer
Daniel Albrecht zog sich bei seinem Sturz in Kitzbühel ein Schädel-Hirn-Trauma zu.
© getty

Daniel Albrecht zählte bei der letzten Ausgabe der Ski-WM in Are zu den großen Gewinnern. Mit Gold in der Kombination, Silber im Riesenslalom und Bronze im Team-Event holte er sich einen gesamten Medaillensatz, ohne zuvor je ein Weltcup-Rennen gewonnen zu haben. Im Laufe der nächsten zwei Jahre etablierte er sich zu einem der letzten wirklichen Allrounder im Skizirkus und ging in der Saison 2008/09 auf die große Kristallkugel des Gesamtweltcups los.

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Beim Abfahrts-Training in Kitzbühel kam Albrecht im Jänner 2009 schwer zu Sturz. Er zog sich ein Schädel-Hirn-Trauma zu und musste drei Wochen lang ins künstliche Koma versetzt werden. Lange war nicht klar, ob er den Sturz überleben würde.

Nach über drei Monaten wurde Albrecht aus dem Krankenhaus entlassen und fand nicht nur den Weg zurück in sein alltägliches Leben, sondern schaffte auch ein Comeback in den Weltcup. Nach drei weiteren Saisons beendete er aufgrund der Folgen eines weiteren Sturzes seine Karriere.

Im ausführlichen Interview mit SPOX spricht Albrecht über die Komplikationen in der Rehabilitation nach dem Sturz auf der Streif. Er beschreibt seinen ersten Ski-Tag nach dem Koma und warum er in der letzten Phase seiner Karriere nicht mehr um Siege mitfahren konnte.

Außerdem erzählt er, dass er seine Karriere auch einem Weihnachtsgeschenk seines Bruders zu verdanken hat, und gibt Einblicke in die Aufnahmeprüfung im Schigymnasium in Stams.

SPOX: Herr Albrecht, Sie gelten als Mensch, der sich scheinbar unerreichbare Ziele setzt. Was treibt Sie heute an?

Daniel Albrecht: Ich muss etwas machen, das meine Leidenschaft entfacht. Normalerweise geht das über einen Zeithorizont von zehn Jahren nicht hinaus. Sei es das Skifahren, meine eigene Kleidungsmarke Albright, oder mein neues Projekt.

SPOX: Bitte erzählen Sie uns davon.

Albrecht: Ich gründete eine Firma, mond.haus, die Häuser aus einheimischem Holz baut. Ich bewohne selbst ein Haus dieser Art. Es besteht vollkommen aus Holz, ohne künstliche Isolation, Chemie, Leim oder Farbe - Innenausbau inklusive.

SPOX: Packen Sie dabei selbst an?

Albrecht: Das ist schwierig, denn ich habe weder eine Zimmerei, noch bin ich Architekt. Beim eigenen Hausbau brauchte ich aber ganze vier Jahre, um alle Firmen zu finden, die mir bei der Umsetzung meiner Idee helfen würden. Als Person in der Öffentlichkeit will ich mit der Firma etwas Gutes tun. Dem Bewohner, der Region und der Umwelt. Mit dem Produkt biete ich eine Plattform für nachhaltigen Hausbau, die Experten sind aber für die Umsetzung zuständig.

SPOX: Nebenbei absolvierten Sie eine Ausbildung zum Mentaltrainer. Warum war es Ihnen wichtig, sich weiterzubilden?

Albrecht: Ich galt immer als Athlet, der eine enorme mentale Stärke besitzt. Ich hatte aber keine Vorstellung davon, wie ich zu dieser Fähigkeit kam. Heute weiß ich, dass beispielsweise die Eltern großen Einfluss auf die Entwicklung von mentaler Stärke haben.

SPOX: Könnten Sie sich denn vorstellen, als Trainer in den Weltcup zurückzukehren?

Albrecht: Bei den Rennen in Adelboden und Kitzbühel war ich vor Ort, und es fühlte sich gewissermaßen heimelig an. Auf der anderen Seite war es unangenehm als Zuschauer ohne konkreter Aufgabe dort zu sein.

SPOX: Gibt es im Schweizer Skiverband Aufgaben, die sie übernehmen könnten?

Albrecht: Mein Interesse an einem Engagement war da. Nach meinem Rücktritt absolvierte ich auch die Ausbildungen zum Berufs- und Swiss-Ski-Trainer. In der Schweiz geht allgemein nichts, bevor du nicht eine korrekte Ausbildung absolviert hast. Für mich bedeutete das, in der Theorie zu lernen, wie man Ski fährt. Drei Jahre geduldig zuzuhören, fiel mir als Weltmeister und Weltcupsieger nicht immer leicht. (lacht)

SPOX: Das ist ein gutes Stichwort: Wo haben Sie gelernt, richtig Skizufahren?

Albrecht: Alles begann eigentlich mit einem Weihnachtsgeschenk für meinen Bruder. Im Alter von drei Jahren bekam er zu Weihnachten ein Paar Ski. Ich war noch ein Jahr jünger, hatte aber eine Riesenfreude mit dem Geschenk.

SPOX: Moment, Sie haben Ihrem Bruder die Ski geklaut?

Albrecht: Ich habe gesagt: ‚Das sind meine Ski' und stand damit im Wohnzimmer herum. Meine Eltern schafften es nicht mehr, mich von den Skiern zu trennen (lacht). Sie führten ein Bergrestaurant auf dem Kühboden (im Kanton Wallis, Südschweiz, Anm.), da war es naheliegend, dass ich schon in jungen Jahren auch im Schnee auf den Skiern stand. Für den Lift war ich noch zu klein, aber ich wartete einfach immer darauf, bis mich eine Person mitnahm.

Daniel Albrechts vier Siege im Ski-Weltcup

DatumOrtDisziplin
29. November 2007Beaver CreekSuper-Kombination
2. Dezember 2007Beaver CreekRiesenslalom
26. Oktober 2008SöldenRiesenslalom
21. Dezember 2008Alta BadiaRiesenslalom

Albrecht: "Österreicher waren uns einiges voraus"

SPOX: Wann kam der Wunsch in Ihnen auf, Skirennfahrer zu werden?

Albrecht: Der Gedanke kam in etwa im Alter von 12 Jahren. Ich hatte nur Skifahren im Kopf. Ich informierte mich, wie man am besten Profi werden könnte. Ich war schon immer ein Perfektionist, daher wollte ich auch in die beste Skisportschule, die es gibt. Dabei bin ich auf das berühmte Schigymnasium Stams gestoßen. Mit 14 Jahren durfte ich dann weg von zu Hause, und zog nach Österreich.

SPOX: Gibt es in der Schweiz keine guten Skisportschulen?

Albrecht: Heute schon. Zu meiner Zeit steckten die Gymnasien in Engelberg und Davos erst in den Kinderschuhen. Die Österreicher waren uns schon einiges voraus. Hinzu kam, dass ich als Walliser jegliche Sportausbildung außerhalb meines Kantons komplett selbst bezahlen hätte müssen. Die Schule in Engelberg hätte viel mehr gekostet als jene in Stams.

SPOX: Das sind wohl die Nachteile im Leben eines Schweizers.

Albrecht: In Stams wussten sie aber, dass sie von Ausländern mehr Geld verlangen können. Daher musste ich dort auch einiges mehr zahlen, als ein Sportler aus Österreich. So fühlten sich alle Beteiligten als Gewinner (lacht).

SPOX: Wie sieht die Aufnahmeprüfung am Schigymnasium in Stams aus?

Albrecht: Sie dauerte vier Tage. Zunächst wurde mein Körper durchgecheckt und mehr oder weniger komplett geröntgt. Es folgte ein voll gepackter Tag mit Kraft-, Schnellkraft-, Gleichgewichts- und Konditionstests. Schließlich gab es zwei Tage auf den Skiern.

SPOX: Was mussten Sie dort zeigen?

Albrecht: Wir fuhren Slaloms, Super-Gs, auf der Piste, neben der Piste, mal dicke Tore, mal dünnere Tore - das volle Programm. Die Österreicher waren alle muskulös und richtig gut in Form, und ich rechnete mir kaum Chancen aus. Für sechs Plätze bewarben sich mehrere Dutzend Talente.

SPOX: Letztlich schafften Sie aber die Aufnahme?

Albrecht: Wahrscheinlich dachte sich ein Trainer, dass der eine kleine Schweizer in der Runde, der wohl noch nie professionell trainiert hatte, eigentlich gar nicht so langsam fährt (lacht).

SPOX: Vor zwölf Jahren fuhren Sie bei der WM in Are sogar schneller als alle anderen. Sie krönten sich zum Weltmeister in der Kombination und gewannen zwei weitere Medaillen. Was sind Ihre Erinnerungen an die WM?

Albrecht: Viele Emotionen kommen in mir hoch, wenn ich daran denke. Erst kurz davor tastete ich mich als Rookie an den Weltcup heran. Doch schon bei der Anreise nach Are war mir klar: Dort geht es nur mehr um den Sieg. Die Stimmung war plötzlich anders, es waren viel mehr Betreuer dort als bei den anderen Rennen, und medial gab es natürlich auch mehr Aufmerksamkeit.

SPOX: Hatten Sie von Beginn an ein gutes Gefühl?

Albrecht: Ich teilte mir mit Marc Berthod und Marco Büchel eine Wohnung. Unser Teamspirit war großartig. Schon in den ersten Trainings merkte ich, dass mir der aggressive Schnee in Are sehr behagt. Dort ist das Gefühl auf dem Ski einfach nur herrlich. Alles hat gepasst, es war ziemlich einfach für mich, schnell Ski zu fahren.

Daniel Albrecht mit seinem Zimmerkollegen Marco Büchel.
© GEPA
Daniel Albrecht mit seinem Zimmerkollegen Marco Büchel.

SPOX: Standen Sie damals an der Spitze Ihres Leistungsvermögens?

Albrecht: Keineswegs. Es war aber meine erste Möglichkeit, mit 120 Prozent zu fahren, was man sich als Neuling im Weltcup nicht traut. Die Ausfallquote ist einfach zu hoch. An der WM sind aber nur die Erfahrung und Podestplätze wichtig. Ich zeigte zum ersten Mal, was ich wirklich drauf hatte. Und es ging glücklicherweise auf. Etwas später in meiner Karriere fuhr ich aber nochmals in einer anderen Liga.

SPOX: Sie sprechen von der Schicksals-Saison 2008/09?

Albrecht: Exakt. Damals war ich so stark, dass ich bereits mit einem normalen Lauf um den Sieg mitfahren konnte. Ich hatte eine Selbstverständlichkeit und riesiges Selbstvertrauen, das man heute etwa bei Marcel Hirscher sieht. Es gab null Bedenken, dass es nicht funktionieren könnte. Um diese Sicherheit aufzubauen, braucht es sehr viele Jahre, Energie und Erfahrung.