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Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus den Conference Championship Games

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2. Der kuriose Fall der San Francisco 49ers

Die San Francisco 49ers sind ein so wunderbares Paradoxon, dass ich überlegt habe, diese Kolumne unter den Titel "Der kuriose Fall der San Francisco 49ers" zu stellen.

Denn in mehrfacher Hinsicht ist dieses Team herrlich widersprüchlich sich selbst gegenüber:

  • Kyle Shanahan ist ein herausragender Play-Caller, vielleicht der Beste in der NFL, und er hat sich ein spektakuläres Waffenarsenal aufgebaut, welches ideal in seine Offense passt. Trotzdem sind wenige Coaches so konservativ wie Shanahan, wenn es um Fourth-Down-Entscheidungen geht, was seinem Team mitunter ernsthaft schaden kann. Gegen die Cowboys in der Divisional-Runde hatte er bereits Glück, dass Mike McCarthy das Spiel ähnlich vorsichtig anging.
  • Shanahans Scheme ist die Nummer 1 in der NFL, wenn es darum geht, offene Receiver und Räume im Run Game zu kreieren. Immer wieder hatte er Erfolg mit Tag-3-Draft-Picks oder anderweitig günstig erworbenen Optionen. Dennoch haben die Niners in den letzten beiden Jahren Top-100-Picks in Tyrion Davis-Price und Trey Sermon investiert - nur um dann zu sehen, wie Sechstrunden-Pick Elijah Mitchell besser funktionierte als beide, und um dann Christian McCaffery via Trade zu holen.
  • Das dritte Paradoxon ist der größte, und in meinen Augen auch interessanteste, Diskussionspunkt, den diese Saison ohne Erbarmen in den Mittelpunkt gerückt hat: Wenn Shanahan eine Offense gebaut hat, in der durchschnittliche Quarterbacks Elite-Zahlen auflegen können - warum hat man dann drei Erstrunden-Picks in Trey Lance investiert?

Um die letzte Frage ganz simpel zu beantworten: Weil Shanahan sieht, dass sein Scheme zwar einen immens hohen Floor bereiten und sehr viele Probleme, die Defenses präsentieren, lösen kann - aber selbst Shanahan braucht für nachhaltigen Erfolg einen Quarterback, der gelegentlich selbst Probleme außerhalb des Schemes lösen und den Spielraum für Fehler erhöhen kann.

Ein kompletter Kader bleibt nicht lange komplett

Garoppolo selbst war in den Vorjahres-Playoffs ein Paradebeispiel dafür, wie sehr seine Fehler selbst zum Problem werden können, ohne dass er selbst diese reparieren kann. Es geht einerseits um entscheidende Prozentpunkte in der entscheidenden Phase der Saison, und andererseits aber auch darum, wie man das hohe Level halten kann, wenn früher oder später unweigerlich Kaderbaustellen auftreten.

Das NFC Championship Game dieser Saison bietet in der Hinsicht kaum Lehren. Eine ganze Halbzeit mehr oder weniger ohne Quarterback, der den Ball werfen kann, zu bestreiten, nachdem man seine Quarterbacks 3 und 4 verloren hat - das ist kein Spiel, aus dem man viel mitnehmen kann. Wenngleich selbst hier zu sehen war, wie stark San Francisco auf der defensiven Seite ist - die Defense hielt dieses Spiel lange offen, bis dann schließlich alle Dämme brachen.

Aktuell haben die Niners gemeinsam mit den Eagles den komplettesten Kader in der NFL. Es ist dementsprechend kein Zufall, dass diese beiden Teams im NFC Championship Game aufeinandertrafen, genauso wenig wie es ein Zufall ist, dass beide über die letzten Jahre gut darin waren, zusätzliche Draft-Ressourcen anzusammeln, während beide den Vorteil günstiger Quarterback-Verträge auf ihrer Seite haben.

Doch das wird nicht immer so sein, irgendwann wird der Kader Risse bekommen, die Defense mal ein schlechtes Jahr haben, Gegner einen besseren Zugriff auf das Scheme bekommen.

Selbst wenn man es nicht gleich in größerem Rahmen prognostiziert, dann können diese und vergleichbare Probleme in einzelnen Spielen immer auftreten, und dann einen Quarterback zu haben, der der Offense nicht nur eine zusätzliche Dimension geben, sondern der eben auch Defizite aus eigener Kraft überwinden kann, kann insbesondere in den Playoffs den Unterschied machen.

Die 49ers woll(t)en ebenfalls einen Elite-Quarterback

Diese Perspektive ist generell wichtig, wenn man auf Shanahan und die Quarterback-Situation in San Francisco blickt.

Denn wir sprechen dabei eben nicht davon, zehn Spiele in der Regular Season zu gewinnen und dann in den Playoffs mal besser, mal schlechter abzuschneiden, sondern davon, ein jährlicher Titelanwärter zu sein und ich denke all diese Punkte haben dazu beigetragen, dass Shanahan und John Lynch so viel investierten, in der Hoffnung, ebenfalls einen Elite-Quarterback zu finden.

Dieser Part, dass Shanahan es selbst als notwendig erachtete, ein Quarterback-Upgrade zu finden, dürfte kaum diskutabel sein: Trotz des Erfolgs, auch in den Playoffs, den Shanahan mit Garoppolo hatte, war man bereit, massive Ressourcen abzugeben, um seinen Elite-Quarterback zu bekommen.

Brock Purdy, ich denke da würden selbst seine größten Befürworter zustimmen, ist das nicht - aber was genau ist Purdy eigentlich? Und je nachdem, zu welcher Antwort man hier kommt: Was verrät uns Purdys Erfolg in der Offense über die Art und Weise, wie San Francisco grundlegend und jetzt auf die unmittelbare Zukunft geblickt, die Quarterback-Position angehen sollte?

Purdy liefert exzellente Stats - wie viel sind die wert?

Purdy ist nicht nur eine faszinierende Geschichte, er war, seit er gezwungenermaßen für den verletzten Garoppolo übernehmen musste, gemessen an den Erwartungen eine ganz klare Positiv-Überraschung. Er setzte die Offense schnell konstant um, und bisweilen bot er sogar ein wenig mehr als Garoppolo, mit einer gewissen Kreativität und Mobilität unter Druck.

Purdy: Sehr gute Stats über kleine Sample Size

Kategorie

Stat (Liga-Rang)

Expected Points added pro Play

0,246 (2)

Success Rate

50,5% (7)

Yards pro Pass

8,4 (2)

Pressure-to-Sack-Percentage

16,5% (11)

Quarterback Rating Regular Season

65,5 (5)

Quarterback Rating Playoffs

74,6 (5)

Zahlen von PFF und RBSDM. Beinhaltet sind alle Quarterbacks mit mindestens 220 Plays zwischen Week 1 und der Divisional-Runde.

Eindrucksvolle Zahlen, aber es ist nicht so, als hätten wir das nicht schon vorher in dieser Offense gesehen. Garoppolo steht in dieser Saison nach EPA pro Play auf dem vierten und nach Success Rate auf dem sechsten Platz, diese Stats sind eben auch Offense-Stats.

Von Purdys 1.920 Passing-Yards vor dem NFC Championship Game kamen 841 via Play Action und Screen, seine 10,1 Yards pro Play-Action-Pass waren genauso der zweithöchste Liga-Wert wie seine 7,6 Yards pro Screen Pass. Nur Ryan Tannehill lag in beiden Kategorien noch höher. Purdys 6,2 Yards nach dem Catch pro Completion wurden in der Regular Season von nur zwei Spielern übertroffen: Patrick Mahomes - und Jimmy Garoppolo.

Die Niners blieben ein Titelkandidat, weil sie nach der Verletzung von Garoppolo weiterhin Garoppolo-ähnliche Leistungen auf der Quarterback-Position bekamen, und situativ sogar ein wenig mehr. Das konnte niemand von Mr. Irrelevant erwarten, unabhängig davon, dass das Interception-Glück ihm meist hold war.

Sind die 49ers die große Quarterback-Ausnahme?

All das soll Purdys Leistungen nicht schmälern, es soll sie lediglich in den entsprechenden Kontext einordnen und unterstreichen, dass wir diese Version der 49ers-Offense schon gesehen haben. Nicht komplett exakt deckungsgleich natürlich, aber sehr nah dran, und das sind wichtige Punkte, wenn es darum geht, die weiteren Quarterback-Weichen zu stellen.

Und eine schnelle Entscheidung ist hier nicht notwendig, zumal man jetzt ohnehin erst einmal abwarten muss, wie gravierend Purdys Ellbogenverletzung ist. Mit Purdy und Lance noch jeweils auf dem Rookie-Vertrag kann man auch mit beiden in die kommende Saisonvorbereitung gehen, und beide weiterhin evaluieren.

Aber worauf ich als übergreifenden Punkt hinaus will: Wenn Shanahan einen Quarterback mit Top-5-Potenzial haben möchte, dann ist Trey Lance weiterhin derjenige, der ihm am ehesten eine Chance darauf gibt.

Selbst wenn sich Purdy auch langfristig als eine leicht bessere Option als Garoppolo herausstellt, so wäre er für die grundsätzliche Überlegung eben doch näher dran an dem Garoppolo-Quarterback-Tier, als an der Top-5-Gruppe. Das Problem wäre gewissermaßen nicht gelöst, es wäre nur verschoben - und das auf eine bedeutend günstigere Version.

Das ist nämlich der andere Teil der Überlegung. Und vielleicht ist San Francisco hier die große Ausnahme.

Vielleicht ist San Francisco das Team, das alle paar Jahre den Quarterback austauschen kann, und solange man einen guten Scheme-Fit auf der Position findet, mit dem man erfolgreich sein kann. Weil man dann Ressourcen in alle anderen Premium-Positionen stecken kann, weil man das Gesamtlevel des Kaders so extrem hoch hält, und weil man Kyle Shanahan hat.