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Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 10 in der NFL

Aaron Rodgers zeigte nach schwachen Wochen bei Green Bays OT-Sieg in Dallas eine überragende Leistung.
© getty

Woche 10 bot das vielleicht verrückteste Spiel dieser Saison: Der Sieg der Vikings gegen Buffalo lässt Minnesota in einem anderen Licht erscheinen - oder? Außerdem: Das Phänomen Tennessee Titans, das Chaos in Indianapolis und die Bucs nach dem Sieg in München.

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Je länger diese Saison andauert, je mehr wir darüber sprechen, wie wenig konstante Offense wir bekommen und wie eindrucksvoll Defenses aktuell einen Zugriff bekommen, desto mehr muss ich daran denken, wie sehr sich Defenses in der NFL verändert haben - und wie das auch den Value-Schwerpunkt in meinen Augen sehr deutlich hat kippen lassen.

Über die erste Saisonhälfte - also inklusive Week 9 - ließen insgesamt neun Defenses -0,041 Expected Points Added oder noch weniger zu; zum gleichen Zeitpunkt der vergangenen Saison knackten nur fünf Defenses diese Marke.

Und wenn wir uns diese neun Defenses anschauen, dann würde ich dafür argumentieren, dass mit den Cowboys, Eagles, Bills, 49ers, Jets, Bucs und Colts mindestens sieben ihren strukturellen und qualitativen Schwerpunkt in der Defensive Line vorweisen. Lediglich die Patriots und Broncos sehe ich tendenziell in der Secondary stärker.

Noch vor drei Jahren hätte ich im Roster-Building Coverage-Spieler stärker in den Fokus gerückt, Cornerbacks allen voran. Mit der Idee im Hinterkopf, dass es eine dominante Coverage erlaubt, mit maximaler Flexibilität im Blitzing und in der Run-Defense zu Werke zu gehen, in dem Wissen, dass man jederzeit Eins-gegen-eins-Coverage dahinter spielen kann.

Doch es ist offensichtlich, dass Defenses aktuell mit einem anderen Schwerpunkt funktionieren. Natürlich ist es nach wie vor hilfreich, wenn man einen dominanten Cornerback hat, das erhöht nochmals die Flexibilität in Coverage. Aber Dreh- und Angelpunkt in der NFL aktuell ist die Defensive Line.

Wer hier die Line of Scrimmage kontrollieren kann, der kann Offenses auf eine Art und Weise eindimensional machen, wie ich es in der jüngeren Vergangenheit nicht gesehen habe. Bis zu dem Punkt, dass Teams wie die Colts und Rams schlichtweg keine Antworten finden. Es ist auch ein sehr eindrucksvolles Mittel, um in vielen Spielen eine Chance zu haben - auch in Spielen, in denen man ansonsten der vermeintliche Außenseiter ist.

Edge-Rusher sind schon lange eine klare Premium-Position, und angesichts der aktuellen Entwicklungen wird das eher noch gravierender werden. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass Interior Linemen noch mehr in den Fokus geraten. Würde ich aktuell eine Defense neu zusammenstellen, mein Fokus würde klar auf der Defensive Line liegen. Und viele Teams, die diese Positionsgruppe bereits über die letzten Jahre priorisiert haben, profitieren immens davon.

1. Die Tennessee Titans sind ein Phänomen

Und auch hier gibt es unterschiedliche Ansätze. Die Bills etwa investierten viel in verschiedene Edge-Rush-Typen, und kombinieren jetzt die Länge von Gregory Rousseau mit der Explosivität und den Bending-Qualitäten von Von Miller.

Die Eagles setzen schon seit langem auf eine tiefe Rotation, während Dallas eines der gefährlichsten Edge-Rusher-Duos der Liga hat und diesen Spielern nicht zuletzt mit Stunts regelmäßig Eins-gegen-Eins-Matchups verschafft - was aber auch gewisse Defizite gegen den Run mit sich bringen kann. Das wussten die Packers am Sonntag auffällig auszunutzen.

Die Titans haben ihren unverkennbar eigenen Stil. Eine Defense nämlich, die auf Physis setzt, auf Pocket-Crusher und darauf, mit vier Linemen den Gegner eindimensional machen zu können. Angeführt von Jeffery Simmons haben die Titans derzeit die beste Run-Defense, und nicht zuletzt das Spiel in der Vorwoche gegen die Chiefs machte sehr deutlich, wozu Tennessee auf dieser Seite des Balls in der Lage ist.

Es gibt wenige Teams, die Gegner so im Zentrum dominieren und gleichzeitig von außen mit schier unermüdlicher Power attackieren können; selbst mit mehreren Backups auf dem Platz wie am Sonntag gegen Denver. Sechs Sacks waren es am Ende gegen Russell Wilson, in einem weiteren typischen Titans-Sieg.

Diese Qualität hat die Titans auch in dieser Saison wettbewerbsfähig gehalten, während die Offense sich in einem Übergangsjahr befindet.

Tennessee Titans: Derrick Henrys spektakulärer Impact

Mit Henrys Dominanz und A.J. Browns Qualitäten hatten die Titans als Run-Heavy-Play-Action-Offense einen beachtlichen Lauf. Brown war eine elementare Komponente in diesem Spiel - genau wie Henry. Running-Back-Value hin oder her, die Spielweise der Titans, die Basis-Formationen, die sie regelmäßig präsentieren, sowie Henry im Backfield sorgten dafür, dass Tennessee viele Single-High-Coverages sah - welche Tannehill dann mit Big Plays attackieren konnte.

Diese Herangehensweise funktionierte, weil viele Defenses die Titans mit Fokus auf Henry und das Run Game spielten - und weil Henry Yards auch durch enge Boxes erarbeitete. 3,85 Yards nach Kontakt (Platz 2 unter allen Backs mit mindestens 150 Carries) sowie absurde 1.525 Yards insgesamt nach Kontakt standen 2020 zu Buche.

2019 (4,16 Yards nach Kontakt pro Run/Platz 1; 1.605 Yards insgesamt nach Kontakt) war er sogar noch dominanter. 2019 war folgerichtig auch Tannehills aggressivstes Jahr als Passer, als er den Ball mit einer durchschnittlichen Target-Tiefe von 10,2 Yards warf - sein klarer Karriere-Höchstwert, genau wie die 9,0 Yards pro Pass, die er auflegte.

Henry lief allein in der Regular Season 2019 den Ball 303 Mal und im Jahr darauf unfassbare 378 Mal. Letztes Jahr war er mit 219 Runs über die ersten acht Spiele auf Kurs für über 460 Runs - ehe ein Bruch im Fuß die Saison für ihn vorzeitig beendete.

Was die Titans von Henry verlangten, war an eine so immense Workload und einen so physischen Laufstil geknüpft, dass es nicht ewig gut gehen konnte. A.J. Brown dann aus dieser Gleichung zu ziehen, nahm der Offense den Konter zu Henry, mit dem die Titans Defenses, die auf den Run gingen, bestrafen konnten.

Umso eindrucksvoller ist es, dass ich bei Henry über die letzten Wochen vermehrt den Eindruck hatte, dass er wieder an frühere Tage anknüpfen kann.

Die Titans-Offense: Grund für viele Diskussionen

Tennessees Offense war ein spannender Diskussionspunkt in diesen Jahren, weil sie in vielen Dingen gegen Offense-Trends und offensive Erkenntnisse gearbeitet und funktioniert hat. Es gab nicht wenige Gelegenheiten, in denen man sich - und da schließe ich mich selbst ganz bewusst gar nicht aus - an den Titans abarbeiten konnte.

Ich für meinen Teil hatte irgendwann meinen Frieden damit gemacht, dass Henry außergewöhnlich in dieser Rolle ist und dass das Konstrukt für den Moment funktionierte; parallel aber kletterte die Defense in meiner Bewertung stetig nach oben. Insbesondere die Vielseitigkeit in ihren Stunt- und generell ihren Pass-Rush-Package, kombiniert mit starkem Safety-Play blieb mir sehr präsent im Kopf.

Die Defense war für mich auch im Vorjahr der Hauptgrund dafür, dass die Titans eine unter dem Strich nochmals erfolgreiche Saison spielten, auch wenn in den Playoffs direkt im ersten Spiel Schluss war. An der Defense lag das aber bekanntermaßen nicht.

Die Defense hat mit Jeffery Simmons, Kevin Byard, Kristian Fulton, Elijah Molden und Harold Landry tragende Säulen für die nächsten Jahre und eine Identität, die sich fortsetzen sollte.

Titans: Wann rückt die Quarterback-Frage in den Vordergrund?

Offensiv wird man sich früher oder später die Quarterback-Frage stellen müssen. Vielleicht hat man mit Treylon Burks und Kyle Philips die Grundlage für eine neue Receiver-Gruppe gelegt. Vielleicht ist Nicholas Petit-Frere der langfristige Right Tackle, der Dillon Radunz eigentlich werden sollte. Und vielleicht ist Malik Willis irgendwann die Quarterback-Antwort.

Bis wir diesen letzten Punkt überhaupt halbwegs beantworten können, wird noch viel Zeit verstreichen. Finanziell gesehen würden die Titans aus dem Tannehill-Vertrag nach dieser Saison erstmals halbwegs glimpflich rauskommen, aber bislang hat Willis vor allem gezeigt, dass er noch Zeit braucht. Und Tannehill spielt noch immer gut.

Die gute Nachricht für ihn ist: Er wird sich auf eine robuste Defense verlassen können, selbst wenn es weiteren Kader-Turnaround gibt. Denn die Titans haben gezeigt, dass sie gerade defensiv eine sehr klare Vorstellung davon haben, welche Spielertypen sie brauchen, angefangen mit den physischen Pocket-Crushern an der Line of Scrimmage. Und dieses Wissen, das klare Gerüst und dann auch gutes Coaching erlaubt es den Titans immer wieder, No-Names kurzfristig starten und schnell glänzen zu lassen.

Die Titans waren über die letzten Jahre dahingehend ein Phänomen, dass sie immer wieder Spiele gewonnen haben, in denen sie vermeintlich hätten verlieren sollen. Insbesondere in der jüngeren Vergangenheit lag das häufig an einer Defense, die mit einer sehr physischen und sehr gut gecoachten Defensive Line Gegner eindimensional machen und vor große Probleme stellen kann. Und das kann einen in vielen Spielen unerwartet mithalten lassen.