NFL

Brian Flores verklagt die Liga: Echte Chance oder nur ein kurzer Aufschrei?

Brian Flores geht gerichtlich gegen die Liga vor.
© getty

Brian Flores hat am Dienstag die NFL aufs schärfste attackiert. Der jüngst von den Miami Dolphins entlassene afro-amerikanische Coach wirft der Liga Rassismus vor und bringt unter anderem seine eigenen Erfahrungen mit den Denver Broncos und den New York Giants als Beispiele dafür an. Vielleicht kann er damit eine Veränderung anschieben, die dringend notwendig wäre - einfach wird das jedoch nicht. Eine Einschätzung von SPOX-Redakteur Adrian Franke.

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Die Details in Flores' Anklage beschreiben eine irre Szenerie.

Die Verantwortlichen der Denver Broncos sollen verspätet und nach einer durchzechten Nacht sichtbar unkonzentriert gewesen sein, als sie ihn 2019 für den offenen Head-Coach-Posten interviewten. Eine Aussage, welche die Broncos bereits scharf zurückwiesen.

Eine an den falschen Adressaten abgeschickte Nachricht von Bill Belichick habe ihm derweil beim Bewerbungsprozess in diesem Jahr klargemacht, dass die New York Giants sich bereits auf Brian Daboll festgelegt hatten, bevor sie Flores interviewten.

Flores setzt damit - und das ist ihm durchaus bewusst, wie sein anschließendes Statement untermauerte - seine Karriere in der NFL aufs Spiel. Für ein Thema, das die Liga schon so lange beschäftigt.

Auch wenn es für Flores nach allem was wir bisher wissen vermutlich schwer sein wird, zumindest gerichtlichen Erfolg zu haben. Vielleicht ist das hier allerdings auch gar nicht der ausschlaggebende Punkt.

Welche seiner Vorwürfe kann Flores beweisen?

Das Problem für Flores wird vermutlich sein, diese Dinge nachzuweisen.

Jahre später Beweise aufzutreiben, dass die Broncos-Verantwortlichen beim Interview übernächtigt und nicht voll bei der Sache waren, scheint eine ziemlich aussichtslose Mission zu sein.

Und auch das Giants-Thema ist zumindest schwer nachweisbar. Sicher, die angeblichen Textnachrichten von Belichick lesen sich maximal unangenehm; gleichzeitig könnte er lediglich Wind bekommen haben, dass Daboll der Favorit in New York ist, was komplett legitim wäre, bevor man andere Kandidaten interviewt, um zu schauen, ob jemand noch mehr überzeugen kann.

Die Giants hatten Daboll als erstes zum Interview geladen, an den Tagen danach aber folgten mit Leslie Frazier - der ein zweites Interview nach Dabolls zweitem Termin erhielt -, Patrick Graham und eben Flores zwei weitere schwarze Coaches.

Wenn man es ganz zynisch betrachtet, haben die Giants die Rooney Rule erfüllt (zwei externe Minority-Kandidaten interviewt) und mit Graham noch einen schwarzen Coach aus den eigenen Reihen interviewt. Aber reicht Belichicks Aussage, dass er "gehört habe, dass Daboll ihr Mann ist" als Nachweis dafür, dass die Giants sich bereits auf Daboll festgelegt hatten, bevor Flores zum Interview kam?

Flores' Reaktion ist komplett nachvollziehbar, wenn man sie in den Gesamtkontext der Liga einordnet. Diese Thematik brodelt schon so lange, mal mehr, mal weniger unter der Oberfläche. Coaches, die zu Head-Coach-Interviews gehen in dem Wissen, dass sie den Job nicht bekommen werden. Eine Head-Coach-Landschaft, die keineswegs eine verhältnismäßige Abbildung des Sports darstellt. Der Eindruck, dass Coaches, die nicht weiß sind, signifikant mehr Hürden überspringen müssen und selbst dann weniger Chancen haben.

Bei Flores scheint es der Tropfen gewesen zu sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Flores schafft Aufmerksamkeit - und eine Bühne

Selbst wenn man zu dem Schluss kommen würde, dass Daboll der Topkandidat in New York war - die Rooney Rule kann Teams nicht dazu zwingen, bestimmte Coaches zu verpflichten.

Die Giants werden darauf hinweisen, dass sie nach Dabolls erstem und zweitem Interview weiterhin eine vielseitige Suche durchgeführt haben. Ihnen dabei bestimmte Absichten zu unterstellen ist nur schwer nachweisbar.

Flores' Vorwürfe in dieser Form erfolgen vermutlich auch maßgeblich deshalb jetzt, weil er genug hat und weil er eine Plattform kreieren will. Nicht weil er in erster Linie einen Rechtsstreit gewinnen möchte.

Vielleicht werden mehr Coaches diese Gelegenheit nutzen, und sich an Flores' Fall mit dranhängen. Vielleicht wird eine Art Lauffeuer in Gang gesetzt, welches die Liga dringend nötig hätte, damit ihre festgefahrenen Strukturen wirklich verändert werden.

Flores, das wird deutlich, wenn man die Anklageschrift liest, setzt ganz klar auf Symbolik und auf die übergreifende Thematik. Die 58-seitige Anklageschrift, eingereicht zum Start des Black-History-Monats, beginnt mit einem Zitat von Martin Luther King und erwähnt unter anderem Rosa Parks und Jackie Robinson. In seinem anschließenden Statement erklärte er, dass er hoffe, dass dieses Auflehnen gegen "systemischen Rassismus" zu "positiven Veränderungen für kommende Generationen" führt.

Die Liga weiß um die Problematik

Mit Mike Tomlin ist Stand heute noch genau ein einziger schwarzer Head Coach übrig - in einer Liga, deren Spieler zu 70 Prozent Afro-Amerikaner sind.

Und die Liga weiß, dass sie hier Nachholbedarf hat, deshalb gibt es die Rooney Rule überhaupt. Und deshalb wurde jüngst nochmals nachgebessert, indem Teams jetzt Compensatory Picks erhalten, wenn aus ihren Reihen ein Minority-Kandidat bei einem anderen Team als Head Coach oder General Manager übernimmt.

Das alles sind gut gemeinte Ansätze, das denke ich wirklich. Die Rooney Rule bringt entsprechende Kandidaten zumindest mal auf den Radar. Aber der Effekt bleibt bislang überschaubar, denn diese Dinge, so gut sie auch gemeint sein mögen, bieten bestenfalls nette Anreize.

Bis dato kann man konstatieren, dass das nicht ausreicht, um die Sichtweisen der Teambesitzer zu verändern.

Welche Schritte können jetzt folgen?

Aber welche weiteren Schritte kann die Liga hier durchführen? Neutrale Beobachter bei Head-Coach-Interviews könnten ein weiterer Schritt sein, um zumindest hier mehr Transparenz zu gewährleisten. Sicher, mehr Vielfalt bei den Teambesitzern wäre der Punkt, der das Thema am ehesten voranbringen würde. Doch ist das nichts, was die Liga erzwingen kann.

Es ist in zweierlei Hinsicht ein strukturelles Problem: Zu wenige nicht-weiße Coaches sind auf der offensiven Seite des Balls in großen Positionen (Coordinator, Quarterback-Coach) im Rampenlicht, was über die letzten Jahre die beste Chance auf einen Head-Coach-Posten mit sich brachte. Das ist ein Problem der Förderung auf verschiedenen Stufen des Systems. Und das andere strukturelle Problem sind die Eigentümer selbst, die eine derart homogene Gruppe darstellen, dass man sich schon fragen muss, wo genau hier mehr Vielfalt Einzug erhalten soll.

Flores muss hoffen, dass sein Vorpreschen jetzt Nachahmer findet, idealerweise mit handfesten Beweisen. Andernfalls läuft er Gefahr, dass die jetzige Bühne nur ein kurzer Aufschrei bleibt, ehe alles wieder zur Tagesordnung übergeht - ohne Brian Flores in der Liga und ohne, dass sich etwas ändert. Flores' Anklage alleine wird nicht reichen.

Und, so zynisch es klingt: Es wäre nicht überraschend, wenn seine Vorwürfe gegen Dolphins-Teambesitzer Stephen Ross am Ende größere Wellen schlagen.

Ross soll Flores 2019 Geld geboten haben, um Spiele zu verlieren, damit Miami einen höheren Draft Pick erhält, und er soll ein geheimes Treffen mit einem Quarterback eingefädelt haben, den er gerne verpflichten wollte, was selbstredend den Tatbestand des Tamperings erfüllen würde.

Das könnte Ross womöglich das Team kosten. Und, noch zynischer: Das wäre dann vielleicht die Gelegenheit für die Liga, wirklich etwas an der von Flores vorgeworfenen strukturellen Problematik zu verändern.

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