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Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 12 in der NFL

SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf Woche 12 in der NFL.
© getty

In Woche 12 geht das Panik-Barometer bei den Los Angeles Rams langsam hoch, während die Buccaneers in Indianapolis den Kopf aus der Schlinge ziehen. Außerdem: Der große taktische Trend dieser Saison wirft weitreichende Fragen auf, neue Matchup-Waffen erobern die NFL - und eine gebrochene Lanze für Tua? Das Fazit zum Spieltag von SPOX-Redakteur Adrian Franke.

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Die Steelers verabschieden sich in Woche 12 mit einer desolaten Vorstellung - nicht rechnerisch, aber realistisch betrachtet - aus dem Playoff-Rennen. Und ich würde nicht einmal ausschließen, dass Ben Roethlisberger Pittsburgh dieses Jahr die größte Chance auf Siege gibt - das aber ist eher eine Aussage über Mason Rudolph, der bestenfalls ein Backup ist, sowie über Dwayne Haskins, der seinem Pre-Draft-Status bislang in der NFL nicht ansatzweise gerecht wurde.

Ganz simpel formuliert: Big Ben, so sieht es zumindest aus, ist physisch nicht mehr in der Lage, die Quarterback-Position auf dem erforderlichen Level zu spielen. Da rede ich nicht von Scrambles oder dergleichen, sondern von seinem nicht vorhandenen Pocket-Movement, von den Würfen, die er verfehlt, von den Limitierungen, die er für diese Offense mitbringt.

Gegen Cincinnati wirkte er fehl am Platz, und aus Steelers-Sicht befürchte ich, dass noch andere Defenses Pittsburghs Offense abmelden werden. Und die Steelers-Defense ist für sich betrachtet ebenfalls alles andere als konstant. Die Steelers steuern auf eine verlorene Saison zu, und das mit Ansage. Für Steelers-Fans bleibt zu hoffen, dass das Front Office einen weiterführenden Plan hat.

Die 49ers derweil gewinnen ein kritisches Spiel mit einer spektakulären Achterbahnfahrt gegen Minnesota, den Vikings unterlaufen am Ende zu viele Fehler, und die Niners sind offensiv seit einigen Wochen wieder in der Lage, solche Fehler dann auch auszunutzen. Auch weil Garoppolo besser spielt.

In der gleichen Division befinden sich die Rams plötzlich in der Krise und spüren den Atem jener 49ers in ihrem Nacken. Eine Zeile, die ich vor vier Wochen noch für ausgeschlossen gehalten hätte. Wer weiß, vielleicht muss L.A. sogar um noch mehr zittern. Dazu gleich mehr.

Los geht's mit dem großen schematischen Trend dieser Saison - und was wir daraus mitnehmen können.

1. Die Lektionen aus dem großen Taktik-Trend dieser Saison

Das Spiel der Broncos gegen die Chargers bot eine interessante Paarung: Die beiden Head Coaches, deren Defense den defensiven Trend unserer Tage geprägt hat, im direkten Duell gegeneinander.

Es war Fangios Ansatz - damals noch als Defensive Coordinator der Chicago Bears -, welcher der Rams-Offense auf dem Weg zum Super Bowl 2018 den Todesstoß versetzte. Mit viel Cover-4 gerade bei Early Down nahm er McVay und Goff die Shot Plays, und diese unheimlich explosive Offense wurde gegen die Bears abgemeldet. Was zunächst wirkte wie ein kleiner Ausrutscher, übertrug sich bis in den Super Bowl, wo Bill Belichick ebenfalls auf diese Taktik zurückgriff und die Rams komplett lahmlegte.

Der Dominoeffekt war schnell spürbar. Im ersten Moment nicht als weitreichender defensiver Trend, aber insbesondere die Rams-Offense verlor zunehmend ihre Explosivität und musste mehr und mehr in ein Kurzpassspiel gehen.

Heute ist daraus ein defensiver Trend geworden, der ligaweit mehr und mehr Anhänger findet, weshalb sich auch der Coaching-Tree ausbreitet. Chargers-Coach Brandon Staley hat unter Fangio gelernt, unter anderem die Packers verpflichteten mit Joe Barry einen neuen Defensive Coordinator, der mit Staley bei den Rams war. Und Los Angeles selbst blieb auch mit neuem DC bei Staleys Scheme.

Am Sonntag war Staleys aktuelle Defense einmal mehr in altbekannten Bereichen anfällig: Mal ist es das kurze und mittellange Passspiel wie gegen Pittsburgh in der Vorwoche, mal das Run Game wie gegen die Broncos. 33 Mal lief Denver, für 147 Yards; die Chargers, die häufig sehr stur in ihrem Scheme bleiben, stellen die wohl schwächste Run-Defense der Liga.

Das hat auch schematische Gründe, aber hier interessiert mich vor allem die übergreifende Frage: Dieser defensive Trend ist real, und angesichts des Erfolgs gerade gegen die explosiven Passing-Offenses der letzten Jahre wird er auch eher weiter ausgebaut werden. Doch was bedeutet das für die Liga? Und was können wir grundsätzlich hieraus mitnehmen?

Der stete Kreislauf des dominanten Ansatzes

Ich bin beispielsweise sehr gespannt, wie extrem sich dieser Trend weiterentwickelt. Könnte das tatsächlich zumindest in Teilen die Trendwende sein, auf die Run-Game-Enthusiasten seit einer Weile warten? Dass sich Defenses in der NFL so sehr auf das Passspiel einstellen, dass, trotz der im Vakuum betrachtet unbestreitbar höheren Effizienz des Passspiels, das Run Game eine zunehmend attraktive Option wird.

Eine Floskel besagt, lose wiedergegeben, dass Football sich immer in Kreisläufen dreht. Sobald das Gleichgewicht zu sehr aus den Fugen gerät und das Pendel zu sehr in eine Richtung ausschlägt, werden Teams gezwungen, sich anzupassen, was über einen entsprechend langen Zeitraum nur dazu führt, dass das Pendel zu sehr in die andere Richtung gezogen wird und der Kreislauf von vorne beginnt.

Anhand der Evolution der dominanten Coverages in der NFL über die letzten 20 Jahre kann man das wunderbar nachverfolgen. Die Tampa-2-Defenses des frühen Jahrtausends waren nicht mehr in der Lage, das schnelle Passspiel in Kombination mit dem Run Game, ergänzt durch prominentere Rollen immer athletischerer Tight Ends und später auch Slot Receiver zu verteidigen. Und als Defenses dann im Zentrum leichter wurden, um mehr Raum abdecken zu können, attackierten Offenses mit dem Run Game und mit Tight Ends als Matchup-Waffe.

Seattles Cover-3 bot dann den zusätzlichen Verteidiger in der Box gegen die kurzen Crosser und den Run, nach einigen Jahren bekamen die Ableger ligaweit - von denen eben auch keiner das individuelle Talent der Original-Seahawks-Defense hatte - mehr und mehr Probleme damit, die Play-Action-Offenses mit ihren mitteltiefen und tiefen Crossern zu verteidigen.

Die 2-High-Shells mit der Option, einen Safety nach vorne zu spinnen, bot Antworten hierauf und hilft auch dabei, die Spread-Offenses zu verteidigen. Aber wir sehen eben aktuell ganz deutlich, wie Teams wie die Chargers, die Packers oder auch die Broncos selbst teilweise massive Probleme damit haben, den Run daraus zu stoppen; weil hier wiederum eine nicht zu verachtende Qualität in der Defensive Line notwendig ist, um mehr als eine Gap gegen den Run verteidigen zu können und so das Gesamtkonstrukt funktionieren zu lassen.

Kehrt die NFL zu mehr Run-Game-Dominanz zurück?

Ich denke, dass das Auswirkungen auf den nächsten Draft schon haben könnte; dahingehend, dass Defensive Tackles die eher "komplette" Spieler und weniger Pass-Rusher sind, eine höhere Priorität bekommen. Gerade bei den Chargers erwarte ich hier mehrere Investitionen.

Vielleicht wird gleichzeitig auch der Status der leichteren Speed-Edge-Rusher abrutschen, weil Teams hier mehr Physis brauchen, um trotz leichter Box gegen den Run standzuhalten. Und der klassische Box-Safety ist dann akut vom Aussterben bedroht.

Die Fangio-/Staley-Defense - im Gegensatz zur klassischen Cover-3 beispielsweise - hat nicht alle Gaps gegen den Run automatisch zugeteilt. Das ist in dieser Hinsicht ein kritischer Punkt, denn während etwa in der "Seahawks-Defense" immer ein Safety zusätzlich in der Box war und somit direkt eine Gap hatte, geht es aus den Split-Safety-Looks darum, richtig dahin zu rotieren, wo der Run hingeht.

Die Defensive Line hat nicht den Luxus, dass sie nur eine Gap attackieren und den Run entsprechend aggressiv spielen kann. Die Gefahr, dann schnelle Downhill-Runs zu kassieren, bevor die entsprechenden Run-Fits aus dem zweiten und dritten Level richtig gesetzt sind, ist zu hoch. Deshalb müssen die Linemen "eineinhalb Gaps" spielen, wie Staley selbst es ausdrückt: Der Lineman hat seine Gap, für die er zuständig ist, darf die aber nur gerade so aggressiv spielen, dass er notfalls auch zur Seite verschieben und eine weitere Gap spielen könnte.

Mehr Kreativität im Lauf- und Kurzpassspiel

Natürlich passieren all diese Entwicklungen nie in Extremen. Man muss nur einige Woche zurückgehen, um anhand des Auftritts der Raiders-Defense im Spiel gegen die Chiefs zu sehen, dass solche Entwicklungen mitnichten direkt von allen Teams übernommen werden. Nicht einmal dann, wenn es, was das Matchup angeht, absolut sinnvoll wäre.

Wir haben über die letzten Jahre einen eindrucksvollen Siegeszug des Passspiels gesehen, mit in der Spitze vergleichsweise extremen Auswirkungen, wenn wir auf die Chiefs oder auch die Bills schauen. Nicht nur dahingehend, wie viel der Ball geworfen wurde, sondern auch mit Blick auf die Strukturen, auf die Formationen.

Und gerade diese beiden Teams sind dieses Jahr auch Paradebeispiel dafür, wie das Passspiel in dieser Gesamtumsetzung auf Probleme stößt. Wir haben von den Bills gesehen, was für Probleme diese Offense teilweise hatte, wenn sie aus ihren Spread-Formationen an der Line of Scrimmage verloren haben und wie viel sie dann vom Quarterback verlangt. Bei den Chiefs derweil sprechen wir seit Wochen darüber, dass der Offense die Shot Plays und die tieferen Crosser fehlen, und was für massive Auswirkungen das hatte.

All das soll nicht heißen, dass in fünf Jahren das Run Game alles dominiert und das Passing Game in den Schatten stellt; ich denke, dass das Passspiel zu weit entwickelt ist und zu viele Vorteile und Antworten bietet, als dass ich vermuten würde, dass das Pendel hier tatsächlich nochmal komplett in die andere Richtung umschlägt.

Aber es würde mich nicht wundern, wenn das Run Game in der NFL in puncto Effizienz und Volume wieder ein gutes Stück weit zunehmen würde - und wenn Teams in der Art und Weise, wie sie am Boden und in der insgesamten Underneath-Offense inklusive Screens, QB-Runs - die könnten bald eine größere Rolle einnehmen -, Jet Sweeps und dergleichen, deutlich kreativer werden würden.

Die NFC West stand im vergangenen Draft in gewisser Weise sinnbildlich dafür, als zwischen den Picks 49 und 56 Rondale Moore (Arizona), D'Wayne Eskridge (Seattle) und Tutu Atwell (Rams) gedraftet wurden. Allesamt Receiver für genau diese Jet-Sweep- und Screen-Rolle, Moore füllte diese Rolle in der Vorwoche, als Arizona mit dem Backup-Quarterback in Seattle antreten musste, mit eindrucksvoller Volume aus.

Die Offense der Patriots: Masse und Klasse

Woanders setzen die Patriots beispielsweise dieses Jahr auf eine massive Offensive Line, teilweise mit 350-Pfund-Guard Mike Onwenu als "Tight End" neben Trent Brown, plus natürlich 255-Pfund-Fullback Jakob Johnson im Backfield.

New England setzt auf Physis und Power. Kein Team hat zusammengerechnet eine schwerere Top-6-Line als die Patriots, und das ist keineswegs nur eine Entwicklung der Passing-Offenses: Auch im zunehmend weiter verbreiteten Outside-Zone-Scheme, der "Shanahan-Offense", setzt man eher auf agile und bewegliche Linemen.

Die Patriots wollen Defenses nicht in die Breite ziehen, sie wollen durch das Zentrum Downhill attackieren. Da, wo Defenses mit leichten Linebackern, viel Sub-Packages und tiefen Safeties angreifbar sind. Das alleine wird keinen Super Bowl gewinnen, aber wir reden bei diesen Dingen letztlich immer von einzelnen Aspekten des Spiels, von Komplementärbestandteilen.

Was machen wir jetzt mit all diesen Erkenntnissen? Ich denke es wäre klug, in erster Linie daraus mitzunehmen, dass Daten uns sehr viel verraten, aber dass gerade wenn es darum geht, aus bestehenden Daten weitreichende Prognosen zu treffen - etwa was Positional Value angeht - man um maximalen Kontext bemüht sein muss.

Die NFL entwickelt sich kontinuierlich weiter. Das gilt einerseits für Spielertypen, der prototypische Quarterback im Jahr 2021 sieht deutlich anders aus als der prototypische Quarterback im Jahr 2010, genau wie der prototypische Linebacker heute eine sehr andere Statur hat als noch vor zehn Jahren.

Das gilt auch für Personnel Groupings, man konnte in den letzten Jahren klar dabei zuschauen, wie die NFL eine 11-Personnel-Liga wurde, also primär mit drei Wide Receivern auf dem Feld spielte, mit zuletzt einigen Teams, die die Fühler bereits intensiver in Richtung 10-Personnel (ein Running Back, kein Tight End, vier Wide Receiver) ausstrecken.

Das gilt aber auch schematisch, und all diese Aspekte sind natürlich miteinander verknüpft. Ein dominantes Scheme, oder eine dominante Herangehensweise, ist immer nur temporär; weil jedes aktuell dominante Scheme früher oder später gekontert wird und damit dann immer, selbst wenn es nur vorübergehend ist, aus der Zeit fällt.

Nur mit Kontext ist eine Prognose sinnvoll

Ich halte das vor allem dann für wichtig, wenn wir darüber sprechen, welche Positionen wertvoll sind. Wenn ein Cornerback konstant Eins-gegen-Eins spielt, weil die Defense in Single-High agiert und dafür acht Leute in der Box hat, ist es klar, dass man Top-Cornerbacks braucht.

Wenn aber beide Cornerbacks auf ihren jeweiligen Seiten konstant Safety-Hilfe hinter sich haben, können die Cornerbacks anders spielen und es kann sinnvoller sein, einige der Ressourcen, die man in die Cornerbacks investiert hat, vielleicht in Linebacker zu stecken.

Hier findet gerade definitiv eine Veränderung statt, was die Anforderungen an die Position angeht: In vielen der aktuell modernen Defenses müssen Linebacker sehr viel Raum covern können, während sie gleichzeitig kritischere Run-Verantwortungen haben als in der Single-High-Defense, wo ein Spieler mehr in der Box ist und die Run-Gaps sicher aufgeteilt sind.

Und natürlich muss man auch darauf hinweisen, dass manche Defenses ihrem Stil treu bleiben, und dementsprechend immer andere Spielertypen priorisieren werden als andere. Baltimore und New England mit ihren Man-Heavy-Schemes fallen da direkt als Beispiele ein.

Aber bevor wir diesen Themenkomplex auch noch aufmachen, vielleicht lieber ein simples Schlusswort: Auch wenn übergreifende Erkenntnisse - Passspiel ist grundsätzlich effektiver als das Run Game, Das Level einer Offense ist konstanter als das einer Defense, der Umgang mit Fourth Down, und dergleichen - längerfristig Bestand haben dürften, lohnt es sich, vor allem bei analytischen Erkenntnissen für spezifische Positionen darauf zu schauen, was die Liga gerade erreichen will, worauf der Fokus liegt, und wie versucht wird, die gerade präsentierten Probleme zu lösen.

Nur mit diesem Kontext geben einem die Daten ein zutreffendes Gefühl des Ist-Zustandes - und es lässt sich womöglich erkennen, wie nachhaltig die gerade akkuraten Erkenntnisse sein werden.