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Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 11 in der NFL

SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf Woche 11 in der NFL.
© getty

Woche 11 in der NFL, und zumindest das Playoff-Rennen gewinnt an Klarheit. Die Seahawks verabschieden sich aus selbigen - und in Seattle werden jetzt bald noch ganz andere Fragen gestellt. Außerdem: Warum passt das Chiefs-Cowboys-Spiel so gut ins aktuelle Bild der NFL? Und was verrät uns die Packers-Pleite gegen die Vikings? SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf den NFL-Sonntag.

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Auch auf die Gefahr hin - was heißt "Gefahr", die Sicherheit - mich hier zu wiederholen: Wir erleben eine unglaublich offene Saison, und während auch in der NFC jedes der Topteams schon durch die Bank weg je wenigstens ein, zwei schlechte Spiele hatte, lässt sich hier die Spitzengruppe zumindest weiterhin klar definieren.

In der AFC ist das anders, und das Bills-Colts-Spiel an diesem Wochenende war vielleicht das beste Beispiel dafür. Mit den Colts, die vor drei Wochen 30 Punkte gegen die Jets zugelassen haben, letzte Woche gerade so gegen Jacksonville die Führung aus der guten Anfangsphase verteidigen konnte - nur um dann die Bills zuhause komplett in ihre Einzelteile zu zerlegen.

Zu den Colts später noch ein paar Worte, die Bills auf der anderen Seite haben derweil vor zwei Wochen in Jacksonville auf desolate Art und Weise verloren, dann die Jets zerlegt, doch nach diesem Auftritt gegen die Colts müssen wir uns hier ernsthaft die Frage stellen: Wie gut sind die Bills eigentlich wirklich?

Buffalo, das zumindest lässt sich klar festhalten, hat bisher von einem ziemlich einfachen Schedule profitiert. Die Siege kamen gegen Miami, Washington, Houston, die damals ganz schwachen Chiefs, nochmal Miami und eben jene Jets. Gegen Tennessee spielte Buffalo - neben dem Chiefs-Spiel - sein bestes Spiel dieses Jahr, was Duelle mit wirklich kompetitiven Teams angeht und war einen erfolgreichen QB-Sneak davon entfernt, dieses Spiel zu gewinnen, das sei hier erwähnt.

Aber in gewisser Weise sind die Bills auch das Gesicht der inkonstanten AFC, in der sich kein Team wirklich absetzen kann - und selbst der Versuch, eine klare Spitzengruppe festzusetzen, ungewöhnlich großen Spielraum bietet. Ich war bei den Bills relativ optimistisch gestimmt nach dem Spiel gegen die Jets, nicht aufgrund des Ergebnisses, sondern weil Buffalo zeigte, dass man offensiv auch anders auftreten kann: Plötzlich spielten die Bills enge Formationen, mit dem Fullback, und gingen daraus in ihr Play Action Passspiel.

Aus Bills-Sicht gesprochen hatte ich in der Folge die Hoffnung, dass Buffalo seiner Offense eine stabilere Baseline geben könnte. Diese Hoffnung wurde gegen die Colts prompt wieder zerstört. Auch wenn es gut ist, zu wissen, dass Buffalo diese Alternative zu seiner Spread-Passing-Offense im Köcher hat, bleibt eine Offense, die Woche für Woche sehr inkonstant sein kann, und die deutlich spürbar aus dem Rhythmus kommen kann, wenn das Matchup nicht passt und die Offense nicht in ihr breit gefächertes Passspiel gehen kann.

Das fiel selbst in einigen der Spiele auf, welche Buffalo am Ende dann zwar gewann. In diesen Partien war es häufig die starke Bills-Defense, die Buffalo lange genug im Spiel hielt, sodass die Offense, manchmal auch in Form von Allen-Runs, irgendwann genügend Plays machen konnte, um das Spiel in klare Bahnen zu lenken. Eine Basis für nachhaltigen Erfolg ist das in der heutigen NFL nicht, und gegen die Colts war es erstmals der Fall, dass die Bills-Offense zwingend hätte mitgehen müssen.

Und vielleicht kann man es am ehesten so zusammenfassen: Aktuell vertraue ich der Bills-Offense nicht, dass sie in diesen kritischen Situationen ein High-End-Spiel abliefert. Das heißt nicht, dass sie es nicht kann. Aber wenn wir von Prognosen Richtung Playoffs sprechen und von Chancen und Wahrscheinlichkeiten und dergleichen, dann kann man sich bei Buffalo einfach nicht sicher sein. Das liegt insgesamt an der Offense, aber es liegt eben auch daran, dass Josh Allen nicht auf dem extrem hohen Level spielt, welches er letztes Jahr hatte, und diese Art, Offense zu spielen, verlangt das vom Quarterback deutlich mehr als andere offensive Schemes in der NFL.

Das ist auch das Stichwort für das erste Thema: Die Offense der Seattle Seahawks. Die nämlich hat aktuell keine Identität - und es ist unmöglich, das vom Quarterback loszulösen.

1. Die Seattle Seahawks brauchen einen Umbruch

Vielleicht ist Russell Wilson tatsächlich zu früh nach seiner Fingerverletzung zurückgekommen. Man könnte bei einzelnen Würfen argumentieren, dass der Ball nicht immer wie bei Wilson gewohnt fliegt, dass er einige Bälle nicht ganz so platzieren kann wie er es sich vielleicht vorstellt.

Aber es wäre viel zu einfach, die Probleme der Seahawks-Offense einfach darauf zu reduzieren. Das war - nach dem ersten Shutout der Wilson-Ära gegen die Packers in der Vorwoche - eine weitere komplett planlose Vorstellung dieser Offense gegen Arizona, ein Spiel, in dem die Cardinals nicht nur schematisch den viel höheren Floor hatten, sondern von Colt McCoy besseres Quarterback-Play bekamen als die Seahawks von Wilson. Man muss hier tiefer schauen als nur auf Wilsons Fingerverletzung. Und wenn man das macht, kommt man unweigerlich früher oder später zu einer spezifischen Frage: Erleben wir gerade das Ende der Russell-Wilson-Ära?

Die Pleite gegen Arizona sollte zumindest diese Saison, was letzte Playoff-Hoffnungen angeht, beenden. Und ja, vor einigen Wochen hätte ich angesichts der Wilson-Verletzung und der Art und Weise, wie diese Saison verlaufen ist, noch gesagt, dass die Seahawks 2022 ihren "Last Dance" haben werden. Dass Wilson dann mit Shane Waldron - von dem er ein klarer Fürsprecher zu sein scheint - fit und im zweiten Jahr angreifen wird.

Mittlerweile hat sich auch meine Wahrnehmung hier deutlich verändert. Die Offensive Line spielt schlechter als zu Saisonbeginn, die Defense ist bestenfalls Mittelmaß, jahrelang tragende Säulen wie Bobby Wagner und Duane Brown scheinen nachzulassen.

Die Cornerback-Gruppe wird Arbeit brauchen, die Line wird Arbeit brauchen, der Pass-Rush wird Arbeit brauchen, kurzum: Dieses Team steht vor einem größeren Umbruch, und nachdem man über die letzten Jahre maßgeblich dank Wilsons Extraklasse über die eigene vermeintliche Leistungsgrenze hinauswuchs, scheint es jetzt an der Zeit, der Realität ins Auge zu sehen:

Die Seahawks brauchen einen Umbruch - und der wird nicht mit Russell Wilson stattfinden.

Seahawks-Umbruch: Warum ohne Russell Wilson?

Warum nicht? Weil es aus beiden Perspektiven nicht passt. Wilson im Karriereherbst wird nicht Teil eines Rebuilds - selbst wenn es mit ihm ein softer Rebuild sein könnte - sein wollen. Und die Seahawks auf der anderen Seite haben überhaupt nicht die Ressourcen, um all die Baustellen in einem halbwegs realistischen zeitlichen Rahmen anzugehen.

Ihren potenziell hohen Erstrunden-Pick nächstes Jahr werden sie infolge des Jamal-Adams-Trades nicht haben. Gleichzeitig laufen unter anderem die Verträge von Duane Brown, Quandre Diggs, Gerald Everett und Brandon Shell aus, sodass der Cap Space ebenfalls schnell rar werden wird.

Natürlich könnte man hier einen romantischen Case entwerfen, in welchem Wilson in der Stadt bleibt, in der er bereits ein Held ist, und versucht, das Ruder noch einmal herumzureißen und nach noch einem Titel zu greifen. Aber wir wissen eben auch, dass er bereits konkret mit seinem Abschied kokettiert hat, dass er Teams genannt haben soll, zu denen er gehen will, und dass es hinter den Kulissen bereits die eine oder andere Meinungsverschiedenheit gab.

Nichts davon ist ein finales Urteil, aber die Vorstellung, dass Wilson die übrigen guten Jahre, die er potenziell noch im Tank hat, potenziell in einem (soften) Rebuild verbringt, wird ihm nicht gefallen. Und falls es eine "Pete Carroll oder Russell Wilson"-Frage wird, würde ich sehr stark davon ausgehen, dass Carroll bleibt und Wilson geht.

Irgendwann kann es in Seattle so nicht weitergehen

Natürlich gibt es auch noch die andere Seite der Medaille, nämlich die Team-Perspektive. Die Seite der Medaille, auf welcher Seattle sich eingestehen muss, dass der Trade für Jamal Adams ein gigantischer Fehler war, welcher sie in der kommenden Offseason noch teuer zu stehen kommen wird. Die Seite, auf welcher die Seahawks vielleicht mit Blick auf diese Saison der Wahrheit ins Auge sehen müssen, dass ihr Kader in zu vielen Bereichen ins untere Liga-Drittel gehört und dass es keine schnelle Reparatur hier geben wird.

Das ist natürlich auch klar selbstverschuldet. Seattle hatte wenige gute Drafts in den vergangenen Jahren, hat nur bedingt nachhaltig geplant, und hat sich mit dem Adams-Trade eine riesige Hypothek aufgeladen. Wenn wir bei Seattle von einem Zwei- oder Dreijahresumbruch schauen, dann gibt es einfach wenige Spieler in diesem Team, die die mittel- und langfristigen Säulen eines solchen Umbruchs werden könnten. Das ist alarmierend, und es ist gleichzeitig ein Statement über den Ist-Zustand des Kaders, und damit unweigerlich auch über die Kaderzusammenstellung.

Aber es ist eben auch die Seite der sportlichen Realität, und ich hatte nach Woche 5 hierüber bereits geschrieben: Die Offense hat keine schematische Grundstruktur, keine Basis, auf die man zurückfallen kann wenn der Gegner die Big Plays wegnimmt oder wenn Wilson mal einen schlechten Tag hat. Und das ist, so viel ich von Wilson halte, an diesem Punkt genauso ein Quarterback- wie ein Scheme-Problem.

Wilson ist einer der besten Deep-Passer in der NFL, allerdings lebt er mittlerweile zu sehr von diesen Big Plays. Das haben wir mittlerweile in verschiedenen Offenses unter verschiedenen OCs gesehen; Wilson ist nicht gut darin, konstant innerhalb einer Offense-Struktur zu spielen, er ist nicht gut im konstanten Underneath-Passing-Game, und das limitiert den Einfluss, den ein Offensive Coordinator haben kann, doch merklich.

Gegen Arizona war das auch wieder überdeutlich: Wenn die Offense Big Plays bekam, war sie schnell in Scoring-Distanz. Wenn nicht, war der Ball meist schnell auch wieder weg. Die Cardinals hatten den Ball in diesem Spiel für 40:22 Minuten und kreierten 29 First Downs, Seattle gerade einmal 16. Ganze neun durch die Luft.

Eventuell sind die Seahawks nach dieser Saison an dem Punkt, an dem sie selbst den Neustart haben wollen, weil sie sich selbst in einer Sackgasse sehen. Ein Rebuild muss so oder so kommen, davon bin ich überzeugt, die Frage ist lediglich: Wie will man diesen angehen?

Wilson würde im Frühjahr immer noch Trade-Value einbringen. Falls die Browns auf der Quarterback-Position in eine andere Richtung gehen wollen, Wilson hinter dieser Line würde ich gerne mal sehen. Vom schematischen Fit her würde mir Pittsburgh einfallen, auch die Steelers dürften auf Quarterback-Suche sein. Carolina ist aggressiv auf dem Quarterback-Markt, genau wie Denver.

Klar ist für mich lediglich, dass es aktuell nicht einmal nur frustrierend ist, sich die Seahawks-Offense anzuschauen, sondern, fast noch schlimmer: Es ist ermüdend, weil es immer wieder die gleichen Themen sind, und dass Wilson nach dem Spiel sagte, dass man vielleicht doch etwas mehr Tempo gehen sollte, traf das genau diesen Tenor. Wir drehen uns hier im Kreis. An irgendeinem Punkt kann es so in Seattle nicht weitergehen.