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Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 4 in der NFL

SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf den NFL-Sonntag in Woche 4.
© getty

Die Arizona Cardinals überraschen in Woche 4 die NFL und dominieren die Rams in Los Angeles - Arizona bleibt somit als einziges ungeschlagenes Team in der NFC. Die Bears zeigen ein ganz anderes Gesicht, und könnten Auftritte von Baker Mayfield den Start einer neuen Ära bedeuten? Die Lehren aus Woche 4 in der NFL!

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Das Thema, das Woche 4 völlig zu Recht überschattete, war selbstredend die Rückkehr von Tom Brady nach New England. Inklusive aller Emotionen, dem Passing-Rekord, und im zweiten Spiel in Folge einigen Nachfragen dahingehend, ob die Buccaneers offensiv vielleicht doch noch etwas ihren Rhythmus finden müssen? Fehlte Gronkowski mehr als gedacht? Wie stark ist der Titelverteidiger nach vier Spielen wirklich schon? Und was ging in Belichick vor, als er dieses lange Field Goal kicken ließ? Allein deshalb, weil Brady den Ball ja zurückbekommen hätte, selbst wenn der schwierige Kick sitzt?

Die Niederlage der Rams und der erneut wacklige Auftritt der Buccaneers machen auch die Gesamteinschätzung der Liga sehr interessant, denn ein klar bestes Team der Liga gibt es bisher nicht. Das allerdings ist eine Diskussion für morgen, dann kommt mein erstes Power Ranking für diese Saison.

Los geht's stattdessen mit der NFC West, die für sich mehrere Learnings für die Liga bereitstellen könnte - und die aktuell den MVP-Favoriten zu bieten hat.

Sind die Cardinals das beste Team in der NFL?

Acht Niederlagen in Folge hatte es gekostet, fast alle davon mit mindestens 30 zugelassenen Punkten - im neunten Versuch gelang den Arizona Cardinals der erste Sieg gegen die Los Angeles Rams in der gesamten Sean-McVay-Ära. Der Sieg war dafür umso eindrucksvoller, 37:20 hieß es am Ende, und der zweite Rams-Touchdown kam erst kurz vor Spielende.

Die Rams waren für viele - auch für mich - vor diesem Spieltag das beste Team in der NFL, nach dem Sieg gegen Tampa Bay wirkten sie wie das kompletteste Team, mit Big-Play-Optionen auf beiden Seiten des Balls.

Sind jetzt die Cardinals das beste Team in der NFL?

Der Sieg war dahingehend ein Ausrufezeichen, dass Arizonas Offense die Rams-Front ab dem zweiten Drive dominierte. Das war so absolut nicht zu erwarten gewesen, und es ermöglichte Arizona lange Scoring Drives. Elf Plays, 17 Plays, zehn Plays, neun Plays, zwölf Plays - um nur die längeren Scoring-Drives zu nennen. Nach dem Three-and-Out direkt zum Start puntete Arizona nur noch ein einziges Mal.

Es war ein dominanter Auftritt, welcher die Wahrnehmung der Cardinals in der Öffentlichkeit verändern wird, und das sollte er auch. Arizona ist deshalb nicht gleich das beste Team in der NFL, dafür gibt es gerade in der Defensive Front noch zu viele Fragezeichen; ich war ehrlicherweise überrascht, dass die Rams nicht länger bei ihrem Run Game geblieben sind, welches sehr gut funktionierte gegen Arizonas Defense. Genau wie das der Jaguars in der Woche davor und das der Vikings in der Woche davor.

Aber Arizona klettert mit diesem Sieg in die Gruppe der Top-Teams, so weit würde ich gehen, und das hat zuallererst einen Grund: Quarterback Kyler Murray ist nach vier Spielen der klare MVP-Favorit für mich.

Brady und Prescott spielen noch besser aus der Pocket bislang, aber kein Spieler hat über die ersten vier Spiele so viel Offense kreiert, während er sich gleichzeitig innerhalb der Struktur und im Lesen der Defense nochmals deutlich gesteigert hat. Die Big Plays gegen den Blitz, das Finden von Matchups, und dazu die wahnsinnigen athletischen und physischen Möglichkeiten Out-of-Structure machen Murray nicht nur unterhaltsam, sondern über die ersten vier Spiele wertvoller für sein Team als irgendein anderer Spieler für das seinige Team ist.

Vor allem die erste Hälfte gegen die Rams war nahezu fehlerfrei, Murrays Improvisationen heben Arizonas Offense in kritischen Momenten nochmals auf ein anderes Level. Er ist am Boden eine Bedrohung für jede Defense und seine Accuracy gerade auch im tieferen Passspiel ist eindrucksvoll.

Und natürlich hatte Murray in jedem der ersten drei Spiele auch je einen üblen Patzer drin; aber kein Quarterback ist nach vier Wochen fehlerfrei, und mit Murrays Spielstil nimmt man diese einzelnen Fehler in Kauf, weil die positiven Aspekte deutlich überwiegen. Wenn heute MVP-Wahl wäre, wäre Murray bei mir die 1, gefolgt von Prescott und Mahomes.

Ich bin gespannt, ob Arizona diese offensive Schlagzahl aufrechterhalten kann. Falls ja, sind die Cardinals ein ernsthafter Titelkandidat - und Murray der MVP-Favorit.

Die Anatomie der NFC West: Welche Lehren bleiben?

Diese Tage bieten sich aber an für einen generellen Blick auf die Division. In Woche 4 und auch kommende Woche am fünften Spieltag gibt es das erste große Hauen und Stechen in der NFC West, mit direkten Duellen jeweils gegeneinander. Das ging diese Woche los mit dem Sieg der Cardinals bei den Rams sowie Seattles Erfolg gegen San Francisco, bereits am Donnerstagabend geht es zwischen den Rams und den Seahawks in die nächste Runde, gefolgt vom Cardinals-Niners-Duell in Arizona am Sonntag.

Die NFC West ist eine der stärksten Divisions in der NFL, in der alle vier Teams eine reelle Chance auf den Titel haben. Schaut man auf die ersten Spieltage der Saison, kann man sehr gut argumentieren, dass sich die AFC West bisher stärker präsentiert; aber auch nach diesen ersten Wochen wäre ich überrascht, wenn am Ende Denver oder Las Vegas die Division gewinnen würde.

Das ist in der NFC West anders: Hier wäre kein Division-Sieger wirklich überraschend, und jedes Team aus dieser Division könnte in den Playoffs auf seine Art für Furore sorgen.

Dies Statement, kombiniert mit dem Aspekt "auf seine Art" war für mich in den NFC-West-Wochen der Auslöse, um alle vier Teams mal genauer anzuschauen. Denn diese vier Teams sind sehr unterschiedlich konstruiert - und bieten in meinen Augen alle ihre eigenen Lektionen, die je nach bisheriger Herangehensweise und Zustand des Teams auch für andere Franchises Lehren anbieten.

Arizona Cardinals: Mut zum Wechsel

Steve Keim hätte bereits an mehreren Punkten über die letzten fünf Jahre seinen Job verlieren können, wenn nicht gar müssen. Nicht zuletzt nachdem er 2018 mit Alkohol am Steuer erwischt worden war, aber auch wenn man nur auf seine sportlichen Entscheidungen blickt.

Was man ihm allerdings hoch anrechnen muss, und das erst hat die Cardinals zu dem Team gemacht, das sie heute sind, ist der Mut zur Veränderung. Konkret, der Mut, nur ein Jahr nachdem man für Josh Rosen in die Top 10 des Drafts geklettert war, zu dem Schluss zu kommen, dass Rosen nicht die Antwort ist, und dass es mit Kyler Murray eine Option im Draft gibt, welche signifikant mehr Upside bietet - und dann auch dementsprechend zu handeln.

Dass ein Team in aufeinanderfolgenden Jahren seinen Erstrunden-Pick in einen Quarterback investiert, hatte es zuvor seit 1982/83 nicht mehr gegeben, als die Baltimore Colts erst Art Schlicter und dann John Elway drafteten - wobei Elway nie für die Colts spielte, er forcierte einen Trade nach Denver. Vor den Colts Anfang der 80er Jahre hatte es dieses Phänomen - ein Team draftet einen Quarterback in Runde 1 in aufeinanderfolgenden Jahren - nur drei Mal gegeben.

Was mit Blick auf die bisherigen Karrieren von Rosen und Murray wie eine glasklare Entscheidung wirkt, war im Frühjahr 2019 natürlich wesentlich umstrittener und wurde auch dementsprechend kritisiert. Und doch ist es eine wertvolle Lektion für etwa die Miami Dolphins, die nach dieser Saison eine Quarterback-Entscheidung treffen müssen. Die Chicago Bears sind gerade das Musterbeispiel dafür, wie ein Kader aussieht, der zu lange für ein vermeintliches Fenster mit einem jungen Quarterback aufgebaut wurde, welches aber eigentlich nie wirklich offen war.

Die einzige Hoffnung bietet Justin Fields, und hier hatten die Bears letztlich Glück, dass er im Draft weit genug abgerutscht ist. Die Lektion hier? Ja, man will einem jungen Quarterback Zeit geben. Aber die Gefahr, sich selbst ins Liga-Mittelmaß zu befördern, weil der Kader gut, der junge Quarterback aber doch nicht die Antwort ist, ist eine reelle Gefahr. Und wer über seine ersten 14, 15, vielleicht 20 Spiele nicht das Potenzial angedeutet hat, ein Top-10-Quarterback werden zu können, oder zumindest die physische Upside dafür hat - der hat wenige Argumente auf seiner Seite.

Los Angeles Rams: Veterans statt Draft-Picks

Zwei Erstrunden-Pick und ein Drittrunden-Pick für Matt Stafford. Zwei Erstrunden-Picks und ein Viertrunden-Pick für Jalen Ramsey. Ein Dritt- und Fünftrunden-Pick für Dante Fowler. Ein Erstrunden-Pick für Brandin Cooks. Und natürlich der Trade, mit dem gewissermaßen alles losging: Zwei First-Rounder, zwei Second-Rounder und zwei Third-Rounder, um im Draft 2016 an Position 1 zu klettern und sich Jared Goff zu sichern.

Dass Teams in der NFL versuchen, sich über Veteran-Trades einen Vorteil zu verschaffen, ist keineswegs neu - gemeint war dabei aber über die letzten Jahre primär genau das andere Ende des Spektrums von dem was die Rams machen: Teams wie die Patriots oder auch die Ravens, die noch immer produktive Spieler finden, die bei einem Team sind, das einen Umbruch anstrebt - und das lieber Draft-Ressourcen als alternde Spieler haben will.

Dann kommen Trades wie der von Calais Campbell heraus, welcher 2020 für einen Fünftrunden-Pick von Jacksonville nach Baltimore wechselte. Die Rams bewegen sich in ganz anderen Extremen, kein Team scheint seine Picks so wenig zu gewichten wie Los Angeles. Da kann dann auch mal ein Viert- und ein Sechstrunden-Pick für Sony Michel über den Tisch wandern, weil McVay sein Backfield hoch gewichtet; das haben wir auch im Draft bereits mehrfach gemerkt. Aber der übergreifende Takeaway, und die Art, wie dieser Kader konstruiert ist, ist ein anderer.

In einer Liga, die Jahr für Jahr mehr Wert auf Draft-Ressourcen legt, sind die Rams das eine Team, das antizyklisch arbeitet. Wichtig dabei ist, dass sie die Premium-Ressourcen auch in die in der heutigen NFL elementaren Positionen - Quarterback, Elite-Cornerback, Wide Receiver, Pass-Rusher - investieren. Wichtig ist außerdem, dass sie extrem gutes Coaching über die letzten Jahre hatten, welches mögliche Löcher im Kader überspielte.

Und ein ebenfalls nicht zu unterschätzendes Puzzleteil, wenn man jahrelang nie in der ersten Runde pickt, sind die Picks an Tag 2 und Tag 3 des Drafts: Rob Havenstein (2. Runde 2015), Van Jefferson (2/2020), Tyler Higbee (4/2016), John Johnson (3/2017), Cooper Kupp (3/2017), David Edwards (5/2019), oder auch Brian Allen (4/2018) - das sind, wenn man den in der Offseason abgewanderten Johnson und Kupp mal ausklammert, keine Stars, aber es sind wichtige Teile dieses Teams, die man braucht, um mit dieser aggressiven Strategie eine entsprechende Kadertiefe anzubieten.

San Francisco 49ers: Wie wichtig ist der Quarterback?

Die spannendste Frage rund um die Niners lautet für mich: Wann braucht man ein Quarterback-Upgrade - und wie baut man dieses ein?

Ja, die 49ers waren mit Jimmy Garoppolo im Super Bowl, und hätten diesen auch beinahe gewonnen. In einer Saison, in welcher die Defense herausragend spielte, und die Offense aus allen Rohren feuerte. Garoppolo spielte gut, das soll dabei gar nicht unter den Tisch fallen - aber es braucht eben diese extrem guten Umstände auch, um mit einem solchen Quarterback zu gewinnen.

Und hier beginnt die Diskussion: In der Shanahan-Offense ist der Wunsch nach einem Quarterback, der primär das Scheme umsetzt groß. Und das ist auch wichtig, generell in jeder Offense, doch die Liga geht mehr und mehr dahin, dass Playmaker auf der Quarterback-Position dominieren.

Dass Shanahan diesen Trend akzeptiert, zeigt der Preis, den man gezahlt hat, um Trey Lance zu bekommen. Wie gelingt Shanahan dieser Spagat? Und wenn Lance dann irgendwann fix als Starter spielt: Wie gelingt es, Lance in seiner Kreativität zu bestärken, und gleichzeitig dabei auf die strikte Struktur des Schemes zu pochen? Und was verrät uns das womöglich über den generellen Quarterback-Trend in der NFL?

Nachdem Lance am Sonntag gegen Seattle rein musste, betonte Shanahan, dass der Game Plan nicht auf ihn ausgerichtet gewesen sei, und dass der Rookie erwartbare Fehler gemacht habe. Infolge der Knöchelverletzung von Garoppolo dürfte Lance jetzt zwei, vielleicht mehr Spiele bekommen, in denen alles auf ihn zugeschnitten ist und ich sehe eine sehr gute Chance, dass die Niners-Offense dann besser auftreten wird als das, was wir bisher dieses Jahr mit Garoppolo gesehen haben.

Seattle Seahawks: Auch der Elite-Quarterback braucht Hilfe

Russell Wilson ist ein fantastischer Quarterback. Daran sollte kein Zweifel bestehen, und gleichzeitig hat natürlich auch Wilson seine Schwächen. Das konstante Spiel aus der Pocket, gerade in der Mitte des Feldes. Im Timing und Rhythmus des Play-Designs zu bleiben, eine Woche für Woche konstante Offense anzuführen. All diese Dinge sind nicht gerade Wilsons Spezialität.

Was er dafür anbietet, ist eine Athletik, die Defenses empfindlich bestrafen kann, ein sehr guter Arm und ein exzellenter Deep Ball. Und seit Jahren suchen sie in Seattle jetzt schon nach dem idealen Playbook und den idealen Umständen, um Wilsons Qualitäten in einen guten Rahmen zu packen.

Ich habe nach wie vor die Hoffnung, dass Shane Waldron diesen Rahmen bereiten kann. Aber die Lektion ist klar, und wir sehen sie bei anderen Teams wie Kansas City, wie Buffalo, oder selbst mit Brady in Tampa Bay: Auch sehr gute Quarterbacks brauchen Hilfe, um nicht nur Jahr für Jahr Highlights zu liefern, dann aber in den Playoffs frühzeitig zu scheitern, sondern um wirklich ein jährlicher Titelkandidat zu sein.

Und das überträgt sich auch auf die bisherige Saison. Die ist natürlich noch jung, und mit einem neuen Offensive Coordinator kann es etwas dauern, bis sich alles so wirklich eingespielt hat. Doch auch gegen die 49ers war Seattles Offense wieder zu lange "Big Play oder kein Play", sprich: die Offense ist abhängig von den Big Plays, sie sind nicht die Kirsche auf der Spitze. Das muss sich ändern, damit ein konstanter Rhythmus und somit auch eine Baseline Einzug erhält.