NFL

West Coast, Air Raid und Co.: Die Offense-Schemes aller 32 Teams im Überblick

SPOX blickt auf die offensive Grundstruktur für alle 32 NFL-Teams vor der kommenden Saison.
© getty

Wie funktionieren die 32 Offenses in der NFL? Was macht sie aus, wie wollen sie punkten und welche schematischen Wurzeln haben sie? Die ligaweite Taktik-Analyse zum Start in die Preseason.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX liefert das offensive Hintergrundwissen für die nächsten sechs Monate: Welchen offensiven Kern haben die 32 Teams? Wie sehen die Schemes aus, was bedeutet das konkret für dieses Team, wie die jeweiligen Schemes als Basis nutzen? Und wie lässt sich das dann im Einzelfall auf die Spieler des jeweiligen Teams anwenden?

Zunächst zum allgemeinen Auffrischen nochmals die rudimentären Merkmale der drei zentralen Offense-Schemes, welche als Basis für diverse Offense-Mutationen die heutige NFL-Landschaft prägen:

West Coast Offense - Merkmale:

  • Fokus auf kurze und mittellange Pässe - horizontales statt vertikales Passspiel.
  • Rhythmus und Timing sind von zentraler Bedeutung.
  • Dropback des Quarterbacks ist präzise mit den Routes des Receivers synchronisiert.
  • Spiel soll mit einer Mischung aus (meist Zone) Run Game und Kurzpassspiel kontrolliert werden.
  • Viele In-Breaking-Routes, viel Pre-Snap-Motion, Tight Ends und Running Backs intensiv als Receiver eingesetzt.
  • Einst von Bill Walsh geprägt, gibt es heute keine "reine" West-Coast-Offense mehr. Kaum ein Team nutzt aber nicht zumindest einige Elemente aus dieser offensiven Philosophie.

Air Coryell - Merkmale:

  • Fokus auf ein vertikaleres Passspiel, das Downfield Passing Game ist prominenter als in anderen Offenses.
  • Spread Offense, die bewusst ein höheres Risiko im Passspiel eingeht.
  • Kombiniert in der Regel mit einem Power Run Game.
  • Der Tight End übernimmt häufig eine vergleichsweise große Rolle als Receiver.

Erhardt-Perkins Offense - Merkmale:

  • Fokus auf Route-Kombinationen als Konzepte und Kommunikation, statt auf eine grundsätzliche Philosophie.
  • Extrem wandelbar, passt sich stark an die Spieler an: Eine EP-Offense kann genauso eine Oldschool-Run-Offense wie eine vertikale Spread-Offensive sein.
  • So können aus unterschiedlichsten Formationen die gleichen Konzepte gespielt werden.
  • Die Offense ist dementsprechend auch beliebig erweiterbar, etwa mit Option-Plays, Option-Routes und dergleichen.

NFL: Die Offense-Schemes vor der Saison 2021 im Überblick

Arizona Cardinals

Stat to Know 2020: Kein Team spielte 2020 mehr 10-Personnel (1 RB, 4 WR) als die Cardinals, die 20 Prozent ihrer Offense-Snaps aus diesem Personnel Grouping heraus bestritten. Arizona warf den Ball daraus zumeist (74 Prozent Pässe), wirklich gefährlich war aber das Run Game: Die Cards verzeichneten aus 10-Personnel 7,1 Yards pro Run und 6,3 Yards pro Pass! Ein maßgeblicher Faktor dabei war Quarterback Kyler Murray, dessen 427 Scramble-Rushing-Yards nur von Russell Wilson (460) übertroffen wurden.

Offense Grundlage 2021: Air Raid Adaption mit Option-Elementen

Einige der besten Elemente der Cardinals-Offense 2020 findet man am Run Game. Einerseits in den vielseitigen Run-Designs, in der Art und Weise, wie leichte Boxes für die Running Backs kreiert werden und auch wie Kyler Murray mit guten Designs ins Run Game eingebunden wird (395 Rushing-Yards für Murray bei designten Runs). Aber schon hier fangen Teile der Kritik an, Arizona baute in der vergangenen Saison zu sehr darauf, dass Murray Yards am Boden kreiert, also insbesondere per Scramble ein Play selbst erst erschafft. Das kann ein Teil der Offense sein, wenn man Murrays Explosivität als "Read" im Passspiel aus den Spread Formationen nutzt; eine tragende Säule der Offense sollte es aber nicht sein. Murray hat sich in der Offseason selbst bereits kritisch dahingehend geäußert, dass die Offense sich nicht so sehr auf seine Beine verlassen darf. Damit das eintritt, muss im Passspiel mehr Kreativität her: Kingsburys Play-Calls sind dabei weniger das Problem als die eindimensionalen Play-Designs, welche teilweise Folge der Air-Raid-Wurzeln und des Wunsches, besonders viel aufs Tempo zu drücken, sind. Eine schnellere Abfolge von Spielzügen macht es schwerer, permanent an der Formation zu schrauben. Hopkins wird auch deshalb zu häufig isoliert auf einer Seite aufgestellt, die Mitte des Feldes wird zu wenig bespielt und die Screens waren auffallend ineffektiv. Die Screen-Problematik sollte sich mit Rondale Moore verbessern. Öffnet A.J. Green die Mitte des Feldes mehr? Und passt sich Kingsbury auf Kosten der Up-Tempo-Offense in puncto Formationen und Motion noch mehr an die NFL an?

Atlanta Falcons

Stat to Know 2020: Unter Arthur Smith hatte Ryan Tannehill 2020 die höchste Play-Action-Quote (36,4 Prozent laut PFF) in der NFL. Seine 9,7 Yards pro Play-Action-Pass rangierten unter allen Quarterbacks mit mindestens 350 Pässen auf dem dritten Platz. Auch Matt Ryan führte die Liga 2016 unter Shanahan in Play-Action-Nutzung (27,6 Prozent) an, mit 11,3 Yards pro Play-Action-Pass stand er sogar an der Spitze.

Offense Grundlage 2021: West Coast mit Heavy Bootleg Play Action

Die Verpflichtung von Arthur Smith als neuem Head Coach ist für die Falcons schematisch auch der Versuch, wieder an die erfolgreiche Shanahan-Episode anzuknüpfen. Smith ließ in Tennessee eine nicht unähnliche Variante dieser Offense spielen, mit klarem Fokus auf das Outside Zone Run Game und damit verknüpft ein Play Action Passspiel mit jeder Menge In-Breaking-Routes in der Mid-Range. Die Falcons haben für diese Grundidee noch immer einige Bausteine, allen voran wissen wir, dass Quarterback Matt Ryan sich darin wohlfühlt und diese Offense sehr gut umsetzen kann. Im Vergleich zu seiner 2020er Titans-Offense ist auch gut vorstellbar, dass Smith wieder etwas vertikaler gerade auch aus dem normalen Dropback Passing Game vorgeht. Absoluter X-Faktor ist darin Tight End Kyle Pitts, der schon als Rookie in dieser Offense eine gewaltige Mismatch-Waffe werden könnte. Passend dazu: Smith ließ zuletzt in Tennessee mehr 12-Personnel spielen als jedes andere Team - mit Pitts statt Julio Jones könnte auch Atlantas offensive Basis eine 2-Tight-End-Offense werden.

Baltimore Ravens

Stat to Know 2020: Dass die Ravens Run-lastig sind, dürfte an diesem Punkt kaum noch jemanden überraschen. Als einziger Nicht-Running-Back knackte Lamar Jackson in der vergangenen Saison die Marke von 1.000 Rushing-Yards, 57 seiner 108 Runs waren designte Run Plays, also keine Scrambles. In nur zwei Spielen (Cincinnati, Indianapolis), inklusive Playoffs, hatte er keinen Run über mindestens zehn Yards.

Offense Grundlage 2021: Run-lastige QB-Option-Offense mit vertikalem Passspiel

Dabei ist auffällig, wie sehr Baltimore nach wie vor auf Heavy Personnel setzt. Kein Team spielte mehr 22-Personnel (zwei Backs, zwei Tight Ends, ein Receiver) als Baltimore, das 16 Prozent seiner Offense-Snaps daraus bestritt - und aus 22-Personnel für 4,7 Yards pro Run sowie zehn Touchdowns lief. Die Ravens sind noch immer sehr fixiert darauf, die Defense eng zu machen, um daraus dann einerseits Runs nach außen, aber auch die Explosivität im Passspiel zu kreieren. Das Problem letztes Jahr war, dass das Passspiel schematisch zu eindimensional und individuell nicht gut genug war. Marquise Brown füllte seine Rolle dabei noch gut aus, doch auch bei ihm kam der Großteil der Production in der Mitte des Feldes. Eine Folge daraus war, dass das Feld immer enger wurde und Defenses die Outside-Receiver nur minimalst respektierten, was wiederum die im Vergleich zu 2019 wackligere Offensive Line stärker unter Druck setzte. Rashod Bateman und Sammy Watkins sollen helfen, dieses Problem zu beseitigen, die fast noch spannendere Frage aber lautet: Passt Coordinator Greg Roman seine Offense auch weiter an? Sehen wir eine bessere Mischung aus Spread-Elementen und den Kernelementen des Run- und Play-Action-Passspiels der Ravens-Offense?

ravens-offense
© NFL Gamepass

Buffalo Bills

Stat to Know 2020: Nach den Cardinals (20 Prozent) nutzten die Bills am zweithäufigsten 10-Personnel (15 Prozent) und gehen daraus häufig schnell in ein effizientes Kurzpasspiel. Das vertikale Passspiel kommt aus 11-Personnel, was Buffalo (71 Prozent) ebenfalls deutlich über Liga-Schnitt (60 Prozent) nutzt. Die Bills ziehen daraus auffallend häufig den Tight End ins Backfield zusätzlich zum Running Back, um so Mismatches zu kreieren - und ins Play-Action-Passspiel zu gehen: Josh Allen hatte die dritthöchste Play-Action-Quote (34,4 Prozent) und die drittmeisten Play-Action-Touchdown-Pässe (17) in der Regular Season.

Offense Grundlage 2021: Spread (Empty) Offense

In neutralen Spielsituationen hatten die Bills - auf geteiltem ersten Platz mit Kansas City - die höchste Pass-Quote (63,1 Prozent), Josh Allen verteilte den Ball sehr gut über die Mitte des Feldes und spielte in den vielen Spread-Formationen sicherer aus der Pocket. Zudem steigerte er sich im vertikalen Passspiel enorm. Die Bills verstehen es besser als nahezu jedes andere Team in der NFL, das gesamte Feld horizontal wie vertikal zu attackieren. So glänzend wie es letztes Jahr funktioniert hat und angesichts des Sprungs, den Allen in dieser Offense gemacht hat, gibt es kein Grund, eine gravierende Veränderung anzunehmen. Mit Emmanuel Sanders als neuer Nummer 3/Nummer 4 sollten sich noch mehr vorteilhafte Matchups anbieten. Einzig der Posten des Receiving Tight Ends bleibt dabei noch ein Fragezeichen. Falls Zach Ertz nicht doch noch kommt, könnten die Bills noch mehr auf 4-Receiver-Sets setzen.