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Third and Long: So drehten die Chiefs den Super Bowl - und welche Lektionen bietet die Saison?

SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf den Super Bowl.
© getty

Die Kansas City Chiefs sind Super Bowl Champion - doch wie konnten die Chiefs dieses Spiel noch drehen? Ein Play liefert den Schlüssel. Außerdem: Was hat uns diese Saison gelehrt? Welche Schlüsse lassen sich ziehen, auch übergreifend betrachtet? Und wie geht es jetzt weiter für die Chiefs und die 49ers, welche AFC-Teams könnten bald angreifen? SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt in der letzten Kolumne für die Saison 2019/20 zurück.

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Wie kippte der Super Bowl in die Richtung der Chiefs?

Selten war sich die Football-Welt nach einem Spiel so einig: Ein einziges Play hatte die Wende zugunsten der Chiefs eingeleitet. Mit etwas über sieben Minuten auf der Uhr, 10:20 im Rückstand, 3rd&15. Das ganze Spiel über hatte Kansas City Probleme damit gehabt, sein sonst so gefährliches Passspiel ins Rollen zu bringen.

Die 49ers wechselten in der Secondary zwar wie erwartet, doch mit sehr gutem Timing und möglichst schwer lesbar, primär zwischen Cover-3 und Cover-4 herum und streuten außerdem Man Coverage immer wieder ein, gerade auch bei kürzeren Third Downs. Es ist spekulativ, das zu sagen, da niemand von uns in den Kopf von Patrick Mahomes schauen kann - doch es wirkte deutlich so, als hätte Mahomes einige Probleme damit, seine Receiver zu finden.

Das aber war nur ein Teil der Rechnung. Die 49ers konnten früh im Spiel Druck auf Mahomes aufbauen, und womöglich hatte das weitreichendere Effekte als zunächst gedacht: Mahomes agierte wackliger und ungenauer aus der Pocket, und die Chiefs setzten überraschend häufig auf den Run sowie ganz klar auf mitunter sehr kurze Pässe. Womöglich ein Beispiel dafür, wie die Psychospielchen zwischen Coaches und Play-Callern funktionieren, und wie alles die Entscheidungen letztlich beeinflusst.

Doch eine große Qualität von Mahomes ist die Tatsache, dass er sich innerhalb eines Spiels nicht nachhaltig aus der Ruhe bringen lässt. Nicht durch einen deutlichen Rückstand, nicht durch Drops seiner Receiver - und am Sonntag auch nicht durch ein bis dahin schlechtes Spiel von ihm. Beim kritischsten Play der Partie wurde das deutlich.

"Wasp": Mahomes und der Dosenöffner zu Tyreek Hill

Es war Mahomes, der das spezifische Play für den 44-Yard-Pass zu Tyreek Hill haben wollte. Kansas City hatte ein ähnliches Design bereits in der ersten Hälfte gespielt, um sich die tiefen Verteidiger in San Franciscos Secondary zurecht zu legen. "Es war das perfekte Timing, um das Play zu spielen", verriet Assistenztrainer Mike Kafka anschließend, "wir wussten, dass wir sie damit erwischen."

Bei The Athletic führte Backup-Quarterback Chad Henne weiter aus. Mahomes habe das Play gewollt, "es ist eine Dangle Route. Technisch gesehen heißt das Play Wasp ("Wespe")."

Mahomes hatte mit Reid bereits früher im Spiel über dieses Play gesprochen, das bestätigte er anschließend gegenüber NBC-Kolumnist Peter King: "Ja, ich wollte Tyreek damit eine Chance auf ein Play geben. Angesichts der Art und Weise, wie sie verteidigt haben, wusste ich, dass Tyreek ein Eins-gegen-Eins mit dem Safety bekommen würde."

Was Mahomes konkret damit meinte? San Francisco hatte, wie es der Kern der Defense ist, bei langen Third Downs mehrfach Cover-3-Buzz gezeigt, also eine Zone Coverage. Cover-3 bedeutet, dass drei Verteidiger (in der Regel die beiden Outside Cornerbacks sowie der Free Safety, hier blau markiert) sich den tiefen Bereich des Feldes jeweils in Drittel unterteilen, "Buzz" beschreibt die Bewegung des Strong Safetys (lila), der nach dem Snap als "Robber" einige Schritte nach vorne macht.

Das wiederum beschert klare Matchup-Zuteilungen aus Sicht der Offense, die man jetzt mit einem spezifischen Cover-3-Beater attackieren kann - und genau das ist eine Qualität von "Wasp":

Der Outside Receiver läuft seine In-Breaking-Route direkt hinter dem Linebacker, sodass der Cornerback ihm folgen muss. Hill attackiert vertikal aus dem Slot heraus, rannte an Slot-Corner K'Waun Williams und Linebacker Fred Warner, die ihre Zones im Zentrum besetzten, vorbei. Gegen diese spezifische Coverage kreiert das das von Mahomes angesprochene Matchup des vielleicht explosivsten Spielers der NFL mit dem tiefen Safety.

Hier griff dann zusätzlich der Setup aus der ersten Hälfte. Als die Chiefs das Play hier genutzt hatten, war Hill Richtung Mitte des Feldes weitergelaufen und der tiefe Safety ging davon aus, dass das auch hier passiert. Stattdessen drehte Hill in der Bewegung um und zog zurück Richtung Seitenlinie, mit dem Cornerback beim Outside-Receiver und dem Safety meterweit entfernt. Deshalb war er so offen und hatte sogar noch Zeit, sich unter dem Ball in Position zu bringen.

Eine Wiederholung aus dem Patriots-Championship-Game

Mahomes musste Hill Zeit verschaffen, damit sich die Route entwickeln konnte, weshalb er sich nach dem Snap über zehn Yards zurückfallen ließ und den Pass dennoch gegen einen bevorstehenden Hit wegwerfen musste. Der rechts postierte Tight End setzte einen Chip-Block (ein kurzer Block, ehe ein Spieler in seine Route startet), um zusätzlich zu helfen. Außerdem, das sei erwähnt, sah der Block gegen Bosa - der hier mit seiner Explosivität ins Zentrum geschoben wurde - verdächtig nach einem möglichen Holding aus.

Doch es flog keine Flagge, stattdessen stand ein weiteres Big Play für eine Chiefs-Offense, die sich in dieser Kategorie spezialisiert hat: Mahomes ging mit fünf Third-Down-Conversions bei mindestens 3rd&18 in die Partie - kein anderer Quarterback hatte in dieser Saison mehr als zwei geschafft. 3rd&15 verfehlte diese Benchmark nur knapp. Dafür war der Pass mit 57,1 Air Yards Mahomes' längste Completion was Air Yards angeht in dieser Saison.

"Wir hatten einen guten Play-Call", führte Mahomes weiter aus, "mit Tyreek Eins-gegen-Eins gegen den Safety. Der Knackpunkt war, dass wir wirklich gute Protection brauchten, damit er genügend Zeit bekommt. Wir hatten tatsächlich das gleiche Design gegen die Patriots letztes Jahr in den Playoffs gespielt."

Das hier war die Szene gegen die Patriots, die Hill ansonsten mit jeder Menge Double Coverage gut ausschalteten. Es war das einzige explosive Play für die Chiefs in der ersten Hälfte des AFC Championship Games des Vorjahres, sowie der einzige Catch, den Hill in diesem Spiel verzeichnete:

Sammy Watkins: Nach dem Vorbild von Davante Adams

Es wirkte, als hätte diese Third-Down-Conversion den 49ers den Zahn gezogen. Der Pass-Rush kam anschließend nur noch deutlich sporadischer durch, Kansas City stellte die Super-Bowl-Bestmarke für Punkte im vierten Viertel auf - 21 Zähler brachten die Chiefs im Schlussviertel aufs Scoreboard, genauer gesagt in der zweiten Hälfte des vierten Viertels.

Die Chiefs verkürzten damit auf 17:20, und nach einem schnellen Niners-Punt folgte der nächste blitzartige Chiefs-Scoring-Drive: sieben Plays, 65 Yards, wieder gab es ein maßgebliches Big Play: Ein 38-Yard-Pass auf Watkins bei 2nd&7:

Dieses Matchup galt eigentlich als das "sicherste" aus 49ers-Sicht: Wenn Watkins gegen Sherman steht, sollte Sherman - insbesondere in Press-Coverage - hier eigentlich am ehesten die Oberhand haben; verglichen etwa mit Matchups gegen den schnellen Tyreek Hill. Die Niners scheinen hier auch Cover-1 (Man Coverage mit einem tiefen Safety als Absicherung) zu spielen, die Chiefs attackieren nur mit drei Routes - die aber sind spezifisch darauf ausgelegt, den Receivern außen jeweils vertikal Eins-gegen-Eins-Duelle zu verschaffen.

Ausgerechnet die lange Completion, die Sherman im Championship Game gegen Davante Adams zugelassen hatte, welche Twitter-Spötteleien von Darrelle Revis zur Folge hatte, war die Basis hierfür. "Ich wusste durch das Tape, dass ich hier ein Eins-gegen-Eins habe", verriet Watkins anschließend The Athletic, "und ich danke Davante Adams, weil ich gesehen habe, wie er ihn mit dem Inside-Release erwischt hat. Ich wusste, dass Pat den Wurf anbringen kann und deshalb arbeiten wir an diesen Dingen."

Super Bowl: Williams macht den Deckel drauf

Überraschend derweil war, dass Andy Reid gerade bei langen Second Downs beim Run Game blieb - wenngleich Kansas City insgesamt seiner Linie treu blieb, und bei Early Downs Pass-lastig agierte: Bis zu dem Punkt, als die Niners mit 20:10 in Führung gingen, hatten die Chiefs bei First Down sowie bei Second Down mit mindestens sechs Yards bis zum neuen First Down kombiniert 22 Plays gespielt - davon waren 15 Pässe, und die überaus erfolgreich (8,1 Yards pro Dropback, darunter zwei Incompletions und ein Sack).

Der finale Touchdown aber war, ähnlich wie das Motion-Play, das Eric Bieniemy im 1948er Rose Bowl entdeckt hatte, in puncto Design ein Oldschool-Play:

Die Chiefs kamen in 22-Personnel, also mit dem Fullback zusätzlich zum Running Back sowie zwei Tight Ends, aufs Feld - überraschend häufig (53 Snaps insgesamt) hatte Kansas City dieses Personnel in der gesamten Saison davor gespielt. Primär für Short-Yardage-Situationen genutzt, lief Kansas City daraus zumeist - und das wenig effizient für 2,2 Yards pro Run bei 41 Rushing-Versuchen.

Der 38-Yard-Run von Williams war so gesehen eine ungewöhnliche Ausnahme, es ist ein ganz klassisches Power Run Play - für eine Offense, die eigentlich eher auf der Zone-Blocking-Seite zuhause ist, wenn sie denn mal den Ball läuft.

Konkret handelt es sich um "Weak Side Blast": Aus der I-Formation (Quarterback Under Center, Fullback und Running Back hinter ihm aufgereiht) laufen die Chiefs zur Weak Side (also die Seite der Formation, auf der der Tight beziehungsweise in dem Fall die Tight Ends nicht stehen). "Blast" bedeutet in der Regel, dass der äußerste Spieler in der Defensive Box - hier der äußere Linebacker - durch den Fullback geblockt wird. Der einzige Spieler mit einer reellen Chance auf das Tackle ist so der tiefe Safety (blau markiert) - doch der nimmt einen schlechten Winkel und unterschätzt Williams' Speed, so das er nicht mehr hinterherkommt.

Die Chiefs waren auch in diesem Spiel sehr gut darin, vollgestellte Boxes im Run Game zu vermeiden - Williams lief 5,8 Prozent seiner Runs gegen acht oder mehr Verteidiger in der Box, zum Vergleich: Bei Mostert waren es 25 Prozent. Der Schlusspunkt von Super Bowl LIV unterstrich nochmals, dass diese Offense mit jeder Variante attackieren und selbst nach schlechtem Start oder intensiven Durchhängern innerhalb einer Partie immer explodieren kann. Und das ist eine erschreckende Nachricht für den Rest der Liga.

Die 49ers und der kritische Trugschluss

Die 49ers werden an diesem Super Bowl noch nagen. Nicht nur, weil man spät schließlich die Chiefs-Offense doch nicht mehr kontrollieren konnte - eher die verpassten Gelegenheiten davor bleiben hängen. Garoppolo etwa hatte ein ganz schwaches Spiel gegen Pressure und auch wenn er zwischenzeitlich mehrere Pässe in enge Fenster anbrachte und sicherer agierte - sein deutlicher Fehlwurf beim tiefen Pass auf Sanders spät im Spiel wird mehr in Erinnerung bleiben. Oder auch der von Chris Jones geblockte Pass in den Schlussminuten, als Shanahan ein Matchup zwischen Kittle und Terrell Suggs über das Scheme forciert hatte.

In puncto Play-Calls und Play-Designs hatte Shanahan für mich ein sehr gutes Spiel. Nur seine Herangehensweise beim Managen des Spiels entpuppte sich als Trugschluss: Nach dem Spiel erklärte er, dass er mit dem 10:10 zur Halbzeitpause "wirklich zufrieden" war - doch es war der falsche Gedankengang für diesen Gegner: Statt mit dem Wissen im Hinterkopf, dass die Chiefs-Offense jederzeit schnell punkten kann, den Fuß auf dem Gaspedal zu halten, eine Timeout zu nehmen und selbst vor der Pause nochmals punkten zu wollen, ging er auf Nummer Sicher, um nicht im schlimmsten Fall den Chiefs nochmal eine Chance auf Punkte zu geben.

In gewisser Weise war das ein ähnlicher Coaching-Fehler wie das Field Goal bei 4th&1 von Texans-Coach Bill O'Brien in der Divisional Round, mit dem er zwar auf 24:0 erhöhte, aber die Chance auf noch mehr Punkte dafür aufgab. Die Idee, auf Sicherheit zu setzen, während man gleichzeitig unbewusst auf das Gesamtbild betrachtet das Risiko erhöht.

Shanahan selbst sagte im Anschluss an die Partie, dass die Chiefs immer gefährlich sind und immer punkten können - ob aufgrund des Game Plans, Unsicherheiten bei Garoppolo oder dem falschen Gefühl von Sicherheit: In der Sequenz vor der Halbzeitpause genau wie mit dem Field Goal bei 4th&2 erreichten die 49ers vor allem eines: Dass das Spiel eng genug für ein Chiefs-Comeback blieb.