NFL

Die Raiders und der Abschied aus Oakland: Zurück bleibt ein schwarzes Loch

Für ihre "farbenfrohen" Kostümierungen bekannt: Fans der Oakland Raiders.
© getty

Wenn die Raiders am Sonntag die Jaguars empfangen, stehen die Emotionen im Vordergrund: Für die Raiders wird es das letzte Heimspiel in Oakland sein, ehe der Umzug nach Las Vegas ansteht. Es ist der Abschied von einer Stadt, in der einst der vielleicht charismatischste Teambesitzer aller Zeiten residierte. Und auch der Abschied von den Fans im ligaweit berüchtigten "Black Hole". Die Gefühle dürften so einige Anwesende im Coliseum übermannen - womöglich auch in Reihen des Gegners.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Als Jon Gruden unter der Woche von Reportern gefragt wurde, mit welchem Gefühl er in das Abschiedsspiel gehe, machte der Head Coach der Raiders kein Geheimnis daraus: "Im Moment fällt es mir noch schwer, wirklich daran zu denken, wie es sein wird, ein letztes Mal in dieses Stadion einzulaufen. Das letzte Mal für eine Saison ist die eine Sache, aber das letzte Mal für immer trifft einen Nerv. Und ich bin mir sicher, dass es vielen Leuten hier so geht."

Gruden, der die Raiders bereits von 1998 bis 2001 trainiert hatte und im Vorjahr mit einem Zehnjahresvertrag zurückkam, wusste natürlich bei seiner Rückkehr nach Oakland, dass dieser Tag bevorsteht. Er wurde unter anderem auch geholt, um das Team in der Phase des Umzugs nach Las Vegas anzuführen. Einfacher macht es das, jetzt das der Tag bevorsteht, nur bedingt, wie Gruden weiter ausführte.

"In vielerlei Hinsicht bin ich hier aufgewachsen. Ich liebe es hier. Mein erster Sohn wurde in Oakland geboren, ich blicke hier auf eine lange Geschichte zurück. Einige meiner Freunde, viele meiner Freunde, stehen im Black Hole", erzählte Gruden unter der Woche.

Keine Fan-Kurve ist derart berüchtigt und so eng mit dem Team verknüpft wie das Black Hole in Oakland. Der Bereich, in dem Woche für Woche die verrücktesten Kostüme und die lautesten Fans zu finden sind. Gorilla Rilla, Deadpool Raider, Air Force Larry - viele der verkleideten Fans sind sind bei jedem Heimspiel im Black Hole, seitdem das Team nach 13 Jahren in Los Angeles 1995 nach Oakland zurückkehrte. Sie haben, wenn man das so bezeichnen will, Künstlernamen; Gruden kennt von vielen den richtigen Namen.

Diese besondere Beziehung, einmal zwischen Team und Fans, aber auch spezifisch zwischen Gruden und den Fans, ist ein Teil dieser Franchise geworden. "Es ist diese Arbeitermentalität", erklärte Safety Erik Harris, "für mich steht Oakland für harte Arbeit und dafür, Widerstände zu überwinden. Und das verkörpern die Fans sehr gut."

Raiders-Fans? "Sie sind verrückt"

Wenn am Sonntagnachmittag die Uhr gegen Jacksonville runterticken wird, endet diese besondere Beziehung. Oakland wird, wie zuletzt schon St. Louis und San Diego, sein Team verlieren. Die Beziehung zwischen Fans, Stadt und Team mit den anderen Fällen zu vergleichen, fällt allerdings schwer.

"Ich hatte das Glück, an einigen tollen Orten sein zu dürfen. Orte mit großer Football-Tradition", zitierte The Athletic Gruden zuletzt. "Ich bin in South Bend (Heimat der Universität von Notre Dame, d. Red.) aufgewachsen, ich habe für die Philadelphia Eagles gearbeitet, die Green Bay Packers, die San Francisco 49ers. All diese Teams haben großartige Fans, aber die Leute hier haben etwas Besonderes."

In seiner typischen Gruden-Art fügte er hinzu: "Sie sind verrückt. Nirgendwo sonst waren die Leute mir ähnlicher."

Das Coliseum "ist einfach ein besonderer Ort"

Die Reporter vor Ort in Oakland waren sich einig: Spätestens seit Mittwoch konnte man deutlich spüren, dass eine gewisse Nostalgie auch innerhalb des Teams eingesetzt hatte. Harris etwa hatte sein erstes Heimspiel in Oakland am zweiten Spieltag der 2017er Saison; es war das Spiel, in dem Marshawn Lynch - selbst in Oakland geboren, aufgewachsen und gerade dabei, seine Karriere bei seinem Heimatteam ausklingen zu lassen - mit seinem Tanz an der Seitenlinie das gesamte Stadion mitriss und eine fantastisch kindliche Freude ausdrückte.

"Alle haben mitgemacht", blickte Harris diese Woche zurück, "alle haben getanzt. Wenn man sich im Stadion umschaute, hat buchstäblich jeder getanzt." Guard Gabe Jackson fügte hinzu, dass er mehrfach während Heimspielen Aussagen von Gegnern aufgeschnappt hat: "Sie haben gesagt, dass die Leute hier verrückt sind." Und Running Back DeAndre Washington erinnerte sich, dass er schon einige Male den Blick über die Ränge schweifen ließ und dort "ein paar Faustkämpfe sah. Es war verrückt, weil Raiders-Fans gegen Raiders-Fans gekämpft haben."

Auch Doug Marrone, Head Coach der Jaguars und somit Teil des Abschieds am Sonntag, weiß genau, was gemeint ist. "Wenn ich von einer verrückten Atmosphäre spreche, meine ich das in einem sehr positiven Sinne. Es ist ein besonderer Ort", erklärte er im Gespräch mit Reportern vor einigen Tagen.

Seine persönlichen Erfahrungen hat er auch schon gemacht: "Als ich bei den Jets war und mit der Offensive Line zum Aufwärmen raus kam, gab es da immer einen Fan hinter der Endzone, der es auf mich abgesehen hatte. Nicht auf die Spieler, nur auf mich. Der hat mir einige Dinge an den Kopf geworfen. Ich weiß noch, wie absolut verrückt es hier war, als wir in den Playoffs herkamen. Das ist einfach ein besonderer Ort."

Al Davis und ein Team von Outlaws

Daran hatte individuell wohl niemand einen größeren Anteil als der legendäre Raiders-Teambesitzer Al Davis. Jener Al Davis, der vor dem Zusammenschluss der NFL und AFL 1966 in offenen Krieg mit der NFL trat und dafür auch vorübergehend die Rolle des AFL-Commissioners übernahm. Jener Al Davis, der auch als Raiders-Boss mehrfach der NFL vor Gericht begegnete, sich mit dem Image des Außenseiters, der ab und zu auch mal über die Grenze des Erlaubten geht - auf wie abseits des Platzes - nur allzu wohl fühlte.

"Er liebte Oakland, er liebte das Stadion, er liebte die Menschen in Oakland", blickte Hall-of-Fame-Receiver Fred Biletnikoff im Rahmen einer großen Raiders-Story auf NFL.com zurück. "Er liebte es, am Spieltag dort zu sein und zum Black Hole zu laufen, um dort den Leuten die Hand zu geben, mit ihnen zu sprechen und ein wenig Zeit mit ihnen zu verbringen. Diese Leute liebten Al, Al war eine Ikone für sie. Er war eine Kultfigur, er war dort größer als Mick Jagger. Wenn er auf das Feld und in Richtung des Black Holes gelaufen ist, war niemand größer als Al."

Letztlich spielte das auch eine entscheidende Rolle in der Rückkehr der Raiders nach Oakland, wie Amy Trask, ehemalige Geschäftsführerin sowie zuvor auch Teil der Rechtsabteilung der Raiders, betonte: "Als das Team in Los Angeles war, haben wir alle Möglichkeiten für ein neues Stadion in L.A. evaluiert. Wir haben Al einige Optionen vorgestellt, die aus geschäftlicher und finanzieller Sicht der Alternative in Oakland deutlich überlegen waren. Aber er hatte sich mit dem Herzen schon entschieden. Der Markt in Oakland war ihm extrem wichtig."

Das Coliseum und eine Stadt verschmilzt mit dem Team

Viel zu tief war Davis in Oakland und mit den Raiders verwurzelt, trotz des Intermezzos in Los Angeles. Von 1963 bis 1965 trainierte er das Team als Head Coach, 1966 schlüpfte er in die Rolle des Co-Besitzers und Geschäftsführers. Seit 1972 agierte er als Hauptbesitzer. Davis war dabei, als die Raiders 1966 ins Coliseum einzogen; bis heute das letzte Stadion, in dem sowohl NFL-Football als auch MLB-Baseball gespielt wird.

Tom Flores, 1966 noch der Quarterback in Oakland und später als Head Coach zweifacher Super-Bowl-Champion der Raiders, hat vielleicht am besten zusammengefasst, was dieses neue Stadion damals bedeutete.

"Ich war dort am ersten Tag, als es die Raiders gab, und wir im Kezar Stadium gespielt haben. Dann haben wir im Candlestick Park und im Frank Youell Field gespielt, während wir auf das Coliseum gewartet haben", blickte Flores gegenüber ESPN zurück. "Das war für uns damals eine riesige Sache: Ein modernes eigenes Stadion, für uns wurde ein Traum wahr. Wir waren das kleine Oakland, eine Stadt, über die kaum jemand sprach. Vor allem nicht auf der anderen Seite der Bay. Man hat uns nicht mal erkannt.

Also habe Oakland "die Rolle des Underdogs komplett angenommen und das Team wurde für die Leute wie eine Familie, mit der Einstellung: Das ist unser Team, und wir dürfen auf sie sauer sein, wenn wir das wollen. Aber ihr kommt nicht hier her in unser Haus und nehmt euch dieses Recht raus."

Eine letzte Saison als Underdog

Heute wirkt das Coliseum längst wie ein uralter Koloss, verglichen mit den neuen, modernen Stadien der NFL. Das Feld ist schlecht, die Kabinen sehen selbst im Vergleich mit zahlreichen College-Teams aus, als wären sie aus einer anderen Welt. Das hat für manche einen eigenen Charme, und viele verbinden mit dem Stadion selbst schlicht zahlreiche Erinnerungen.

Doch letztlich sind es die Leute selbst, die so eng mit dem Team verknüpft sind, sich mit den Raiders auf verschiedenen Ebenen identifizieren und die diesen Ort eben, wie man dieser Tage so häufig hören konnte, so besonders machen. Diese Komponente, dieser Teil der Raiders-Identität wird dem Team künftig fehlen.

Sicher, einige Fans werden alle zwei Wochen für die Heimspiele der Raiders den Trip von Oakland nach Las Vegas auf sich nehmen. Doch knappe elf Stunden mit dem Auto sind selbst für die Distanz-erprobten Amerikaner kein Trip, den man mal eben so macht. Die neue Arena in Las Vegas wird keine Schnäppchenpreise anbieten. Es wird eine andere Atmosphäre sein, und auch das einstige Image des kämpfenden Underdogs ist in einem Hochglanzstadion in Las Vegas schwer aufrecht zu erhalten.

In der Hinsicht war die aktuelle Saison nochmals wie ein kleines Fenster in vergangene Zeiten. Die Raiders gingen als ein Team in die Saison, auf das niemand sonderlich viel gab, und die Posse um Antonio Brown wirkte schon wie ein Sargnagel, bevor auch nur ein Down gespielt war. Doch das Team kämpfte und arbeitete, strafte Kritiker Lügen und hielt sich zumindest bis zur Niederlage bei den Jets in ernsthafter Playoff-Reichweite. Bis zuletzt dann doch der Saft ausging.

Ein Spiel "an das sie sich lange erinnern werden"

Gruden ließ es sich aber natürlich auch in dieser Saison nicht nehmen, nach jedem Sieg den Weg ins Black Hole anzutreten. "Ich bekomme dabei immer die Farbe der Leute überall hin und sehe einige Kostüme, die ich vorher noch nie bei einem Football-Spiel gesehen habe."

Letztlich seien es doch die Fans, um die es geht - und für viele von ihnen bedeutet das Spiel das Ende einer Ära und auch das Ende eines direkten Drahts zum Team. "Deshalb coache ich", fuhr Gruden fort, "ich liebe die Menschen. Ich liebe Football und sie lieben den Football mehr als irgendwer sonst. Die Leute können sich gerne über mich lustig machen, aber wenn wir gewinnen, liebe ich es, da reinzugehen und meine Freude so gut es geht mit den Raiders-Fans zu teilen."

Und natürlich hoffen alle in Oakland, dass sich die Raiders zumindest gebührend verabschieden. "Wir wollen am Sonntag wirklich noch mal alles geben. Wir können nichts garantieren, aber wir wollen unseren Fans eine Leistung bieten, an die sie sich noch lange erinnern werden. Es wird emotional sein", gab Gruden offen zu.

Vielleicht ist es nicht zu gewagt, wenn man behauptet, dass Gruden am Ende unabhängig vom Spielausgang ein letztes Mal den Weg ins Black Hole finden wird.

Artikel und Videos zum Thema