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NBA - Jeremy Lin im Interview: Linsanity bei den Knicks? "Abseits des Courts war es beängstigend"

Jeremy Lin
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Der ehemalige Knicks-Coach Mike D'Antoni behauptete einmal, Ihre Teamkollegen hegten aufgrund des Hypes Missgunst gegen Sie. Haben Sie das ebenfalls so wahrgenommen?

Lin: Ich war noch jung und naiv, ich selbst habe das nicht wahrgenommen. Ehrlich gesagt habe ich noch nicht einmal darüber nachgedacht, dass das ein Problem sein könnte. Mit meinen Teamkollegen bin ich gut ausgekommen, es hat nie jemand etwas zu mir gesagt. Letztlich habe ich auch nicht für das Scheinwerferlicht oder den Ruhm gespielt. Ich wollte dem Team helfen zu gewinnen - und ich stand mit dem Rücken zur Wand, weil ich Angst hatte, meine Karriere wäre bald vorbei.

Wie sind Sie mit dem plötzlichen Hype umgegangen?

Lin: Es war definitiv nicht leicht. Ich habe versucht, mich mit Menschen zu umgeben, denen ich nahe stehe, vor allem mit meiner Familie. Wirklich jeder wollte etwas von mir, ich konnte nicht mal mehr auf mein Handy schauen, weil nach jedem Spiel tonnenweise Nachrichten hereinflatterten.

Das muss ein Kulturschock zur "Vor-Linsanity-Zeit" gewesen sein.

Lin: Eine Woche zuvor konnte ich hingehen, wohin ich wollte. Aber auf einmal warteten überall Paparazzi, selbst vor der Wohnung meiner Oma. Manche Leute versteckten sich in Büschen, sprangen heraus und packten mich, um ein Foto zu machen. Andere fanden irgendwie meine Adresse heraus, klingelten bei mir und stellten ihren Fuß in die Tür, als ich sie schließen wollte. Das war verrückt. So toll die Zeit auch war auf dem Court, abseits davon war es beängstigend.

Jeremy Lin gelang 2012 bei den Knicks sein großer Durchbruch.
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Jeremy Lin gelang 2012 bei den Knicks sein großer Durchbruch.

Linsanity als Pandemie-Bekämpfung: "Hat mich umgehauen"

Konnten Sie all den Trubel um Ihre Person auf dem Parkett ausblenden?

Lin: Es war natürlich sehr viel, womit ich fertig werden musste. Aber auf dem Court war es großartig, das werde ich niemals vergessen. Die Stadt New York sowie die Fans weltweit waren unglaublich, man kann sich keinen besseren Basketball-Traum ausmalen. Was diesen Teil der Geschichte angeht: Wow! Sowas werde ich niemals wieder erleben.

Wäre dieser Hype in einem anderen Ort als New York City in dieser Form möglich gewesen?

Lin: Ich denke nicht. Da sind so viele Dinge zusammengekommen, die einen perfekten Sturm gebildet haben. Die Geschichte der Knicks-Franchise, die Medienlandschaft, die Fans und natürlich New York City. Es gibt keine andere Stadt, in der ich diese Zeit lieber hätte erleben wollen.

Als die Saison 2019/20 aufgrund der Corona-Pandemie unterbrochen war, haben die Knicks sogar alte Linsanity-Spiele im TV gezeigt. In New York lieben die Fans Sie offenbar immer noch.

Lin: Corona hat die Stadt sehr stark getroffen, so viele Menschen haben während der Pandemie mit Depression und Einsamkeit gekämpft. Die Knicks hätten alles machen können, um die Stadt aufzuheitern - und sie haben meine Spiele gezeigt. Das hat mich umgehauen. Sie haben so viele unglaubliche Spieler, so viele tolle Momente in ihrer Geschichte, aber sie haben sich für Linsanity entschieden, um die Menschen aufzubauen, als die Stadt am Boden war.

Jeremy Lin: "Der Harden-Trade hat alles verändert"

Zurück zu Ihrer Karriere. Die Höhen Ihrer Knicks-Zeit haben Sie in den nachfolgenden Saisons nie wieder erreicht. Warum nicht? Und wie schwierig war es, auf einmal mit geringeren Einsatzzeiten und mit einer kleineren Rolle umzugehen?

Lin: Das war nicht leicht. Von meinem Charakter her bin ich sehr wetteifernd, ich will immer gut spielen. Das härteste an dieser Phase war, dass die jeweiligen Situationen so unterschiedlich waren. In New York war ich in einem System mit vielen Pick'n'Rolls. Ich hatte oft den Ball in der Hand, hatte Schützen um mich herum und einen Coach, der mir vertraute. Das war bei meinen anderen Stationen nicht mehr der Fall. Gleichzeitig war ich nicht gut genug, um mein Spiel variabler zu gestalten. Ich musste lernen, mich anzupassen. Zum Beispiel, wie ich ein besserer Verteidiger werde, wie man abseits des Balles spielt, wie man als Shooting Guard agiert. Das bringen neue Teams, neue Situationen mit sich.

Im Sommer 2012 haben Sie als Restricted Free Agent bei den Rockets unterschrieben, dort war für Sie eine prominente Rolle im Backcourt vorgesehen, teilweise waren Sie sogar das Gesicht der Werbekampagne für die neue Spielzeit. Dann kam vier Tage vor Saisonstart der Trade für James Harden.

Lin: Das hat für mich alles verändert. Ich war als primärer Ballhandler eingeplant mit dem Ball ununterbrochen in meinen Händen. Das war nach dem Harden-Trade natürlich nicht mehr der Fall. Das ist auch okay, es gab keinen besseren Spieler für die Rockets als Harden.