Geher Hilbert holt Sensationssilber: "Das ist doch nicht meine Medaille?"

SID
Jonathan Hilbert hat die insgesamt 35. deutsche Medaille in Tokio geholt.
© getty

Jonathan Hilbert gewinnt in Sapporo völlig überraschend Silber über 50 km. Es ist die erste deutsche Geher-Medaille seit 29 Jahren.

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Als wäre die wohl größte deutsche Aschenputtel-Story noch nicht genug, hatte Teufelskerl Jonathan Hilbert auch noch die romantischste Geschichte dieser Olympischen Spiele parat. Seine Freundin Anna habe ihm für jeden Tag einen handgeschriebenen Brief mitgegeben, erzählte der Geher aus Gotha nach seinem sensationellen Silber-Coup von Sapporo unter Tränen live im TV bei der ARD: "Den letzten haben wir gestern zusammen am Telefon geöffnet. Sie hat jede Sekunde an mich geglaubt. Deshalb ist das hier auch für dich, Anna!"

50 Kilometer und fast vier Stunden lang hatte der 26-Jährige wie ein Löwe gekämpft. Am Ende stand eine nie für möglich gehaltene Medaille, die erste für einen deutschen Geher seit 29 Jahren. "Wenn es Top 15 geworden wäre, hätte ich mich riesig gefreut. Jetzt ist es Silber. Ich kann es nicht glauben, das wird noch viele Tage dauern", sagte Hilbert: "Ich werde die Medaille in der Hand halten und denken: Das ist doch nicht meine? Die hat mir jemand gegeben, damit ich mal schauen darf."

Nach einem taktisch herausragenden Rennen hatte sich Hilbert auf der Zielgeraden immer wieder ungläubig an den Kopf gefasst. Nicht viel hätte gefehlt, und er hätte noch den zeitweise weit enteilten Dawid Tomala abgefangen. Doch der Pole rettete nach 3:50:08 Stunden 36 Sekunden Vorsprung ins Ziel.

Hilbert: "Nutze diesen Tag, diese letzte Möglichkeit"

"Ich bin heute früh aufgewacht und habe sofort gemerkt, das wird ein spezieller Tag, ich bin richtig gut drauf", sagte Hilbert: "Da habe ich mir in den Kopf gerufen: Nutze diesen Tag, diese letzte Möglichkeit."

Weil die brutale Kraftanstrengung der längsten Geher-Distanz aus dem olympischen Programm verschwindet und in Paris 2024 von einem Mixed-Team-Wettbewerb ersetzt wird, standen die Spezialisten wie Hilbert unter immensem Druck: Jetzt oder nie mehr bei Olympia, diese Aussicht zog sich auch bei Hilbert, vor zwei Jahren noch WM-23., durch die lange und so schwere Vorbereitungsphase auf diesen Tag.

"Ich hatte ganz große Adduktorenprobleme, eine Schambeinentzündung, konnte teilweise nicht mehr trainieren. Ich war mental am Tiefpunkt", sagte Hilbert, der "jedem den Vogel gezeigt" hätte, der ihm mit einer Silber-Prophezeiung gekommen wäre.

Nach dem ersten Geher-Edelmetall seit dem heutigen Bundestrainer Ronald Weigel 1992 in Barcelona (Bronze über 50 km) ging der Stress für Hilbert erst richtig los. Die Geher-Bewerbe waren wegen der Hitze in Tokio (32 Grad am Freitagmorgen) in die nur vermeintlich kühlere 1972er-Winter-Olympiastadt (31 Grad) verlegt worden. Die Siegerehrung findet indes 800 Kilometer weiter südlich im Leichtathletik-Stadion statt. "Ich habe keine Ahnung, was jetzt alles passiert", sagte Hilbert. Aber er freute sich einfach nur drauf.

20 km der Frauen: Saskia Feige steigt aus

Die 20 km der Frauen gewann die EM-Dritte Antonella Palmisano aus Italien in 1:29:12 Stunden vor Sandra Arena Lorenas (Kolumbien/1:29:37), Dritte wurde Rio-Olympiasiegerin und Weltmeisterin Liu Hong (China/1:29:57). Die WM-Elfte Saskia Feige aus Potsdam stieg nach rund 15 km aus.

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