Athletensprecher Max Hartung im Interview: "Ich möchte aufzeigen, in was für eine beschissene Situation uns das bringt"

Max Hartung spricht im Interview mit SPOX über die Olympischen Spiele in Tokio.
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In der Stellungnahme geht es auch um das Thema Impfung. Manche Länder wie etwa Ungarn priorisieren Athleten, in anderen Ländern haben Impfkampagnen nicht einmal begonnen. Sie fordern deshalb eine gesellschaftliche Diskussion darüber, ob Deutschland seine Sportler zügig impft, sobald die derzeit priorisierten Gruppen durchgeimpft sind.

Hartung: Das Thema Impfung ist ein brutal schwieriges. Auf der einen Seite möchte ich, dass die Älteren, Vorerkrankten und Menschen, die im Gesundheitssektor arbeiten, so wie in der Priorisierung festgelegt zuerst geimpft werden. Das stelle ich nicht ansatzweise infrage. In Deutschland schreit auch kein Sportler nach einer Impfung und fordert sie gewissermaßen ein - das finde ich durchaus anerkennenswert. Auf der anderen Seite konkurrieren wir aber mit Gegnern, die teilweise schon geimpft sind und dadurch einen riesengroßen Vorteil haben. Ich möchte ehrlich gesagt einfach aufzeigen, in was für eine beschissene Situation uns das bringt. Und dass das IOC chinesischen Impfstoff gekauft hat, bringt uns auch nicht weiter, weil er von der Europäischen Arzneimittelagentur nicht zugelassen und deshalb zurecht keine Option ist.

Wie stehen Sie denn persönlich zur Austragung der Olympischen Spiele? Es ist offensichtlich, dass die Sommerspiele aus monetären Gründen um jeden Preis durchgezogen werden sollen, dabei ist es vielen Experten zufolge aus gesundheitlicher Sicht völliger Wahnsinn. Und selbst die Japaner sind dagegen.

Hartung: Ich bin ganz ehrlich: Ich tue mich auch sehr schwer damit, das für mich im Kopf alles zusammenzukriegen. Ich hatte gehofft, dass wir uns zum jetzigen Zeitpunkt in einer ganz anderen Infektionslage befinden. Aber jetzt sehe ich die üble Infektionslage, vor allem in Europa. Ich sehe, wie schleppend es mit den Impfungen läuft. Dennoch bleibt bei mir auch noch eine Hoffnung im Kopf, dass wir uns in ein paar Monaten wieder in einer besseren Lage befinden und dann auch wieder anders auf Tokio geblickt werden kann. Diese Hoffnung will ich nicht aufgeben. Egoistisch muss ich sagen, dass es sicher auch damit zusammenhängt, dass ich mir so sehr ein schönes Ende für meine Karriere wünsche. Ich hätte schon gerne, dass meine Karriere einen schönen Abschluss nimmt, statt pandemisch im Nichts zu versanden. Ich versuche mir natürlich auch ein Bild darüber zu machen, was sinnvoll ist und was nicht. Aber solange wir so wenige Informationen vorliegen haben, wie die Wettbewerbe denn überhaupt vor Ort abgehalten werden sollen, ist es auch ganz schwer zu urteilen, ob eine Austragung vertretbar ist oder nicht. Am Ende des Tages müssen das ja auch die Gesundheitsbehörden bewerten, finde ich.

Und Sie müssen auf eigenes Risiko nach Tokio fahren?

Hartung: Das wird wohl so sein, dass ich als Sportler den Großteil des Risikos tragen muss. Jetzt kann man sagen, dass das in allen Lebensbereichen gilt. Jeder kann sich jederzeit freiwillig dazu entscheiden, zuhause zu bleiben. Dann wird sein Vertrag in der Arbeitswelt eben unter Umständen nicht verlängert. So können auch wir entscheiden, ob wir nach Tokio reisen wollen oder nicht. Aber auf den Sportlern lastet ein gewaltiger Druck. Wenn ich mich jahrelang auf die Olympischen Spiele vorbereite, wenn ich mein ganzes Leben danach ausrichte, wenn von einer Teilnahme abhängt, ob ich eine Zukunft in meinem Sport und ob ich weiter Sponsoren habe, dann ist der Druck aus dem Umfeld und der selbst auferlegte einfach gigantisch. Wer sagt dann noch: Okay, ich bleibe aber trotzdem zuhause, weil mir die Gefahr zu groß ist. Es ist eine ganz schwierige Entscheidung.

Max Hartung über Tokio: "Es ist jetzt schon maximal unfair"

So oder so werden wir maximal ungerechte Spiele erleben, oder?

Hartung: Es ist jetzt schon maximal unfair. Bei den Olympischen Spielen geht es ja nicht nur um den Wettkampftag. Es geht um die lange Vorbereitung, die dafür sorgen soll, dass ich an Tag X meine Bestleistung abrufen kann. Wir haben schon ein Jahr hinter uns, bei denen die Trainingsbedingungen wohl so abweichend waren wie noch nie zuvor. Manche konnten in Gruppen trainieren, manche waren einfach nur zuhause eingesperrt. Und jetzt haben wir die Lage, dass manche Kontrahenten um die Medaillen geimpft sind, während wir in Deutschland in den nächsten Monaten mit der ständigen Sorge leben müssen, uns noch vor Tokio zu infizieren. Das Risiko eines schweren Verlaufs ist zwar gering, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ich nach einer Infektion wochenlang vom Training abgehalten werde, ist sehr groß. Wenn ich mich im April, Mai oder Juni anstecken sollte: Wie soll ich dann in Tokio in der Form meines Lebens sein? Und da haben wir noch nicht über die Möglichkeit von Langzeitfolgen wie Müdigkeit und verminderter Leistungsfähigkeit gesprochen. Wenn ich ein junger Ausdauersportler wäre, wäre ich momentan besonders besorgt, weil ich mit der Teilnahme an einer Quali irgendwo das Risiko eingehe, meine Karriere nachhaltig zu beeinträchtigen.

Ausländische Zuschauer wird es in Tokio schon mal nicht geben, obwohl doch das Treffen der Sportler aus aller Welt vor den Zuschauern aus aller Welt Olympische Spiele ausmachen. Will man solche Spiele aus Sportler-Sicht überhaupt noch?

Hartung: Es geht wahnsinnig viel verloren, das ist keine Frage. Aber ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass es keinerlei Wert mehr hat. In Budapest haben wir ohne Zuschauer gefochten und als wir da mit der Mannschaft im Finale standen, hat es sich trotzdem großartig angefühlt - auch wenn es nicht das Gleiche war. Und ich habe so viele Nachrichten von Menschen bekommen, die sich alle gefreut haben, uns mal wieder fechten zu sehen. Das hat mir gezeigt, dass es schon noch einen Wert hat. Ob das die Risiken wiederum rechtfertigt? Ich weiß es nicht, das ist eine schwierige Frage.

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