Das Ende der Ehrfurcht

Von Ole Frerks
Marin Cilic war von seinem namhaften Konkurrenten keine Sekunde lang eingeschüchtert
© getty

Aufgewacht, Augen gerieben, Handy gezückt und vergewissert: Es war kein Traum. Kei Nishikori und Marin Cilic stehen sich wirklich im Finale der US Open gegenüber, Roger Federer und Novak Djokovic sind ausgeschieden. Eine Wachablösung muss man deshalb noch nicht heraufbeschwören. Der "Big Four"-Nimbus bröckelt jedoch.

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Andy Murray, Rafael Nadal, Roger Federer, Novak Djokovic. Dieses Quartett hat 36 der letzten 38 Grand-Slam-Titel gewonnen und seit beinahe zehn Jahren immer mindestens einen Finalisten bei den großen Turnieren gestellt. Nur Stan Wawrinka und Juan Martin del Potro konnten den Big Four in diesem Zeitraum je einen Titel entreißen.

Montagnacht wird es einen neuen Grand-Slam-Sieger geben, sowohl Marin Cilic als auch Kei Nishikori stehen erstmals überhaupt in einem der großen Finals. Auch das hat es ewig nicht gegeben; genau genommen seit 2005 nicht, als ein 18-jähriger Nadal seinen ersten French-Open-Titel gegen Mariano Puerta holte.

"Es ist aufregend, von Zeit zu Zeit verschiedene Gesichter zu sehen. Das ist irgendwie erfrischend", sagte Federer gestern über die Finalpaarung, nachdem er sich ein wenig gesammelt hatte. Einige Momente zuvor hatte sich der Schweizer allerdings noch anders angehört, weil ihm eine Frage der anwesenden Journalisten nicht gefiel.

Ob die Wachablösung jetzt endlich kommt, wurde er gefragt, und antwortete überraschend giftig: "Das habt ihr alle doch schon in Australien erzählt. Und wir alle wissen, wer bei den French Open und in Wimbledon im Finale stand."

Stan hat "die Tür geöffnet"

Er verwies dabei auf Wawrinkas ersten Grand-Slam-Titel Anfang diesen Jahres, und er hat natürlich Recht: Roland Garros und Wimbledon wurden danach wieder von Big-Four-Teilnehmern dominiert. Dennoch wird die Lücke zwischen dem Spitzenquartett und den Verfolgern langsam kleiner.

Wenn man Federers Kontrahenten aus dem Halbfinale fragt, hat Stans Sieg in Melbourne tatsächlich eine Symbolfunktion gehabt: Er hat "die Tür für die zweite Garde geöffnet", sagte Cilic. "Viele Jungs glauben nun an ihre Chance."

Von Ehrfurcht war am Samstag in der Tat nichts zu sehen. Sowohl Djokovic als auch Federer wurden von ihren Gegnern dominiert, vor allem Cilic trat von Beginn an auf, als sei er der Favorit und nicht sein Gegner, der höchstdekorierte Spieler in der Geschichte dieses Sports.

Der Ruf alleine reicht den Superstars nicht aus, wenn der Einschüchterungsfaktor nicht mehr da ist. Wenn die Leistung nicht passt, ist auch mal gegen einen Underdog Endstation. Für Federer war es gegen Gael Monfils beinahe schon so weit, gegen den Franzosen konnte er jedoch in brenzligen Situationen sein bestes Tennis abrufen.

Eine Frage der Tagesform

Am Samstag war dies nicht der Fall, genau genommen hatte der Altmeister nicht die geringste Chance und war seinem Gegner zu keinem Zeitpunkt auch nur ebenbürtig. "Marin hat großartig gespielt, ich habe dagegen nicht meinen besten Tag erwischt. So einfach ist das", resümmierte FedEx kurz und knapp. Eine Sache der Tagesform, mehr nicht.

Einige Stunden zuvor hatte Djokovic ähnliche Erklärungsansätze geliefert. "Ich war nicht ich selbst", sagte der Serbe und verwies auf die in der Tat knüppelharten Bedingungen mit brütender Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit, mit denen Nishikori "einfach besser umgegangen" sei. Die beiden Superstars nahmen ihre Niederlagen eher als Ausrutscher denn als ernsthaften Grund zur Panik wahr.

Es wäre zweifellos überzogen, bereits das Ende einer Ära heraufzubeschwören. Bei allem, was Federer, Nole, Nadal und mit leichter Einschränkung Murray erreicht haben, wäre es auch schlicht respektlos. Aber vor allem der Schweizer dürfte sich über die verpasste Chance auf Grand Slam Nummer 18 noch ärgern.

Nächster Versuch in Australien

"Ich nehme in Australien den nächsten Anlauf", kündigte Federer an, aber auch er wird wissen, dass es dort kaum leichter werden wird. Nadal wird bis dahin auf die Tour zurückkehren, Wawrinka wird seinen Titel unbedingt verteidigen wollen, für den Djoker sind die Aussies das erklärte Lieblingsturnier.

Nishikori und Cilic haben zusätzliches Selbstvertrauen gesammelt. Und wer weiß, welche Spieler aus der "zweiten Reihe" sich von den beiden Sensations-Siegen vom Samstag inspirieren lassen und neuen Mut schöpfen für das nächste Mal, wenn sie einem der absoluten Elite gegenüberstehen.

Nach Djokovics Niederlage frohlockten viele der anwesenden Zuschauer schon, dass ihr Liebling mit Cilic und dann Nishikori nur noch zwei vermeintlich schwächere Spieler aus dem Weg räumen müsste. Pustekuchen. Genau wie das anvisierte Traumfinale war auch Federers Nummer 18 am Ende des Tages außer Reichweite.

"Ich werde es genießen"

Die Zuschauer haben nicht die Paarung bekommen, die sie sich für das Finale erhofft haben. Andererseits sind Cilic und Nishikori absolut verdiente Finalisten, weil sie deutlich besser spielten als ihre Gegner. So einfach ist es manchmal eben.

Das Prädikat "Must-Watch" sollte das Finale ohnehin haben, auch wenn das breite Interesse mit namhafteren Teilnehmern natürlich größer gewesen wäre. Die US Open verlaufen bisher dermaßen überraschend; wer weiß, was sie zu ihrem Abschluss noch parat halten.

Für zwei Menschen ist das perfekte Szenario ohnehin bereits eingetroffen. "Das wird ein sensationeller Tag für uns beide", freute sich Cilic, "ich werde es einfach genießen, glücklich sein und versuchen, zu gewinnen." Klingt fast nach einem Traumfinale.

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