Tour de France - "Pogacarmstrong" sorgt für Staunen - und Stirnrunzeln: "Man kann sich wundern"

SID
Tadej Pogacar scheint auf dem Weg zu seinem zweiten Tour-Titel kaum zu stoppen.
© getty

Tadej Pogacar scheint auf dem Weg zu seinem zweiten Tour-Titel kaum zu stoppen. Nie in der Radsport-Geschichte war ein 22-Jähriger so stark - die Entwicklung des slowenischen Wunderkindes löst deshalb nicht nur Jubel, sondern auch Zweifel aus.

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Nach zwei Tagen im außerirdischen Tempo ließ es Tadej Pogacar irdisch ruhig angehen. Den ersehnten Ruhetags-Annehmlichkeiten mit Ausschlafen, Massagen und kleiner Ausfahrt folgte erst am späteren Nachmittag der unangenehme Part in Form einer kleinen Presserunde. Ungewöhnlich genug für den wortkargen Spitzenreiter der Tour de France, der wie sein zugeknöpftes UAE-Team nur ungern lästige Fragen beantwortet. Vor allem jene der zahlreichen Skeptiker, die da lautet: Wie in aller Welt sind derartige Leistungen für einen 22-Jährigen möglich?

"Ich denke, wir haben genug Kontrollen, um den Leuten zu zeigen, dass ihre Zweifel falsch sind", sagte der Slowene zu diesem Thema am Montag ganz stoisch und schob die Anzahl seiner Dopingtests hinterher. Das müsse als Beweis genügen. Und überhaupt sei sein Geheimnis: "Am Ende brauchst du einfach harte Beine."

Am Sonntag, als er in Tignes bei einer neuerlichen Machtdemonstration erneut die wenigen noch verblieben Rivalen abhängte und die Gesamtführung ausbaute, wirkte Pogacar allerdings, als hätte er mindestens vier Beine. Und erinnerte damit an dunkle Dominatoren der Tour, so dass sogleich der Spitzname "Pogacarmstrong" die Runde machte.

"Er fährt hier einfach ein anderes Rennen. Wir müssen schauen, dass wir unser eigenes fahren", sagte Richard Carapaz, ecuadorianischer Gesamtfünfter und noch der aussichtsreichste Konkurrent von Pogacar, an dessen erfolgreicher Titelverteidigung derzeit niemand aufrichtig zweifelt. "Die Tour ist gelaufen", sagte auch Belgiens Radlegende Eddy Merckx.

Pogacar? "Ich frage mich, ob solche Dominanz möglich ist"

Als Pogacar im Vorjahr wie eine Naturgewalt über die Tour hereinbrach und sich am vorletzten Tag das Gelbe Trikot schnappte, war auch die Fachwelt beeindruckt. Noch bemerkenswerter aber ist: Während andere blutjunge Toursieger wie Jan Ullrich (23/1997) oder Egan Bernal (22/2019) im Jahr danach mehr oder minder große Rückschläge erlitten, die Entwicklung eben nicht mehr rasend weiter nach oben ging, ist Pogacar noch deutlich stärker geworden - am Berg, vor allem aber im flachen Zeitfahren, das er bei der Tour in der Vorwoche gewann.

"Pogacar wirkt wie ein Außerirdischer. Er steht im Mittelpunkt der Debatten, weil er auf einem solch außergewöhnlichen Level fährt", sagte AG2R-Sportdirektor Julien Jurdie, dessen Schützling Ben O'Connor am Sonntag in Tignes als Außenseiter gewann. Den Franzosen macht das brutal starke Auftreten der beiden "arabischen" Teams UAE Emirates und Bahrain Victorious (gewann zwei schwere Etappen) stutzig: "Ich frage mich, ob solche Dominanz möglich ist, und ich habe keine Antwort. Ich verstehe, dass da Zweifel entstehen."

Zweifel an der Aufrichtigkeit von Pogacars Leistungen sind allerdings hausgemacht, ist sein Umfeld im UAE-Team doch vor allem von bestenfalls mittelgut beleumundeten Personen besetzt. Teamboss Mauro Gianetti war als Manager des Teams Saunier-Duval um Erzdoper Ricardo Ricco 2008 in einen der größten Skandale der Tour de France verwickelt, Tour-Boss Christian Prudhomme nannte den Schweizer einen "Mann von schlechtem Ruf".

Pogacars Sportdirektor und Landsmann Andrej Hauptman wurde 2000 wegen verdächtiger Blutwerte aus der Tour ausgeschlossen. Und Pogacars Arzt und Trainingsplaner Inigo San Millan ist für seine eher experimentellen Methoden, Mittel und Ansätze bekannt.

Pogacar wird die Zweifel kaum nachhaltig ausräumen können, schon gar nicht durch einen erneuten Tour-Sieg, vielleicht am ehesten noch durch maximale Transparenz. Die Unschuldsvermutung gilt nämlich im Radsport seit den skrupellosen Machenschaften rund um die Jahrtausendwende nur noch sehr bedingt.

 

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