Darts-WM - Tomas "Shorty" Seyler im Interview: "Wenn der Wirt geklingelt hat, musstest du aufhören, deine Pfeile zu werfen"

Tomas "Shorty" Seyler bei seinem WM-Auftritt im Ally Pally 2013.
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Wie sehen Ihre Pläne aus?

Seyler: Wenn ich ganz ehrlich bin, lebt der Traum schon noch in mir, nochmal im Ally Pally einzumarschieren. Aber ich muss einen Schritt nach dem anderen gehen. Ich habe 15 Monate Reha hinter mir, weil bei mir an der rechten Seite des Körpers eigentlich alles kaputt war. Jetzt muss ich erstmal sehen, wie lange ich konstant unter Turnierbedingungen performen kann. Aktuell bin ich unsicher, ob die Pandemie meine Comeback-Pläne durchkreuzt.

Planen Sie einen Start bei der Qualifying School?

Seyler: Das wäre eigentlich der Plan, aber ich weiß nicht, ob ich es auch dann machen soll, wenn die Q-School unter bestimmten Corona-Auflagen stattfindet. Die anderen Spieler haben sich daran über die letzten Jahre gewöhnt und eine Mir-egal-Einstellung entwickelt, die fehlt mir. Wenn ich mir vorstelle, dass ich alles mit Maske machen muss, dass ich ständig daran denke, anderen nicht zu nahe zu kommen, wenn ich das alles im Kopf habe, bin ich nicht ich und kann nicht Darts spielen. Ich will am Ende auch nicht 1200 Euro für sechs Tage ausgeben, die für mich zur Qual werden und in denen ich sportlich nichts reiße. Das ergibt ja keinen Sinn.

Zumal Sie sich auch einen gewissen Druck machen werden, anständig zu performen?

Seyler: Ich selbst mache mir Druck. Und wenn ich sage, dass ich komme, wird es auch externe Erwartungen an mich geben. Dann freuen sich ein paar Leute und ich spiele wie eine offene Hose. Das darf nicht passieren. Auf der anderen Seite will und muss ich raus, um mich zu testen. Ich muss schauen, wo ich stehe. Ich weiß, dass es nicht unbedingt realistisch ist, die Tourkarte zu holen, aber ich kann mich ja dann über die European Tour wieder herantasten. Und vielleicht überstehe ich da mal eine Qualifikation, wer weiß. Man steigert sich dann ja auch wieder mit der Zeit und kommt besser in den Turniermodus rein, den habe ich jetzt seit einigen Jahren nicht mehr gehabt. Kurzum: Ich will wieder angreifen, aber ich tue mich noch schwer mit der Entscheidung, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist.

Bei der WM werden Sie wieder als Experte für DAZN am Mikrofon dabei sein. Worauf freuen Sie sich besonders?

Seyler: Vor allem auf den ersten Abend. Ich bin ein Darts-Jünger. Mir ist egal, wer spielt, ich will einfach geile Darts sehen. Aber natürlich bin ich besonders auf unseren 16-jährigen Fabian Schmutzler gespannt. Es ist großartig, dass wir inzwischen in Deutschland in der Lage sind, solche Talente so früh zu identifizieren und ihnen die Möglichkeiten zu geben, sich zu entwickeln. Ich hoffe nur, dass es ihm besser ergeht als Max Hopp, der damals als ganz junger Mann verheizt wurde. Er hatte zu viele Leute um sich herum, die ihm zugesagt haben, ihn zu unterstützen, es dann aber nicht durchgezogen haben. Die nicht begriffen haben, dass das ein Langzeitprojekt ist. Ich wünsche Fabian einfach, dass er es genießt. Wenn er sogar ein Match gewinnt, wäre das grandios, aber wenn nicht, kann er auf jeden Fall auf dieser Erfahrung aufbauen.

Darts in Deutschland? "Wir stehen vielleicht bei 30 Prozent"

Wo stehen wir mit Darts in Deutschland im Jahr 2021?

Seyler: Ich würde sagen, dass wir vielleicht bei 30 Prozent stehen. Nicht mehr. Wir haben das Potenzial immer noch lange nicht ausgeschöpft. Uns fehlt immer noch ein Boris-Becker-Moment. Ein Steffi-Graf-Moment. Ein Henry-Maske-Moment. Ein Wunder-von-Bern-Moment. Uns fehlt immer noch das große Zugpferd. Wir sind aber ein ungeduldiges Land. In allem, was wir jemals angefasst haben, sind wir irgendwann auch Weltmeister geworden. Nur in dieser Macho-Männer-Welt Darts in England kriegen wir seit Jahrzehnten kein Bein auf den Boden.

Aber die Entwicklung ist doch enorm.

Seyler: Das stimmt. Jetzt sind wir zu viert bei der WM vertreten, nicht nur mit ein oder zwei Jungs. Das ist schon mal ein großer Schritt. Ich bin mir auch sicher, dass irgendwann das richtige Talent dabei sein wird, um uns diesen besonderen Moment zu bescheren. Und dann werden sich noch mehr Kinder für Darts begeistern. Darts hat das Potenzial zum großen Breitensport. Die Kosten sind überschaubar, die Kinder lernen darüber, sich zu fokussieren, und du kannst dich inzwischen ganz leicht mit anderen austauschen. Du kannst dich problemlos online connecten und mit jemandem zocken, der 800 Kilometer entfernt ist. Ältere Herrschaften, die früher Kegeln gegangen sind, könnten zum Darts wechseln. Ich weiß noch genau, wie ich als Jugendlicher in der Schulaula auf das Holzbrett gehauen habe. Mir macht es einfach höllisch Spaß zu sehen, wie weit wir schon gekommen sind und ich bin heiß darauf, weiter bei der Entwicklung dabei zu sein, die Darts in Deutschland nimmt.

Welchen Anteil hat Elmar Paulke Ihrer Meinung nach an der Entwicklung?

Seyler: Einen großen, ohne Zweifel. Elmar ist ein Sklave seiner Leidenschaften. Und er hat eine unglaubliche Leidenschaft für unseren Sport entwickelt - ohne vorher einen Pfeil geworfen zu haben. Aber er hat sich mit Darts auseinandergesetzt und ist ganz tief in die Szene eingetaucht. Er hat sich von der Faszination in den Bann ziehen lassen. Er hat gesehen, wie nahe die Fans dran sind. Viel näher als in anderen Sportarten. Wir müssen uns nur anhören, wie Elmar bei einem Neuner steil geht, um zu verstehen, wie viel es ihm bedeutet. Das ist einfach authentisch und deshalb kaufen es ihm die Menschen auch ab. Er ist die große Konstante von Beginn an und hat mit seiner Art viele Menschen angezündet. Elmar liebt Darts. So einfach ist das.

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