Kommentar zum Corona-Chaos im Sport: Führungsversagen auf ganzer Linie

Bekleckern sich in Zeiten der Corona-Krise nicht mit Ruhm: DFL-Geschäftsführer Seifert und DFB-Präsident Fritz Keller.
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Ein erster Profi wurde positiv auf Corona getestet, die DEL sagt die gesamten Playoffs ab, andere Sportarten werden folgen. Nur der Fußball in Deutschland leistet sich mit fadenscheinigen Begründungen bisher einen traurigen Eiertanz statt endlich konsequent zu handeln. Ein Kommentar von SPOX-Chefredakteur Martin Volkmar.

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Der Corona-Virus wird hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft eingedämmt werden und vielleicht sogar ganz verschwinden. Dummheit aber, das zeigen Teil der aktuellen Krisensituation, stirbt leider nicht aus.

Das gilt beispielsweise für den organisierten Sport, der durch eine aberwitzige Kakophonie an widersprüchlichen Aussagen zum Thema Corona unrühmlich auffällt - wenn sich die Entscheidungsträger überhaupt äußern und sich nicht wegducken. So wartet man seit Tagen vergeblich auf ein Signal von DFB-Präsident Fritz Keller, wie die zahlreichen Amateurvereine mit dem Thema Corona umgehen sollen.

DFL-Boss Christian Seifert hingegen hat sich öffentlich geäußert - weigert sich jedoch vehement, konkrete Entscheidungen zu treffen. Obwohl es in der Macht und Eigenverantwortung der Profi-Klubs liegt, analog zu anderen Ländern die Zuschauer kollektiv auszusperren, erklärt man sich für nicht-zuständig und verweist auf die Behörden.

Schieben die Verantwortung aktuell weg: DFB-Präsident Fritz Keller, DFL-Geschäftsführer Christian Seifert und DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius.
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Schieben die Verantwortung aktuell weg: DFB-Präsident Fritz Keller, DFL-Geschäftsführer Christian Seifert und DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius.

Nach Stuttgart und Leipzig will auch Frankfurt spielen

Führung wäre aber dringend nötig, denn sonst macht jeder, was er will. Exemplarisch zeigen das die momentanen Eiertänze in der Bundesliga, welche Begegnungen zu Geisterspielen erklärt werden und welche nicht. Am Montag in Stuttgart und am Dienstag in Leipzig wurden Zuschauer trotz der grassierenden Infektionswelle zugelassen, weil angeblich "statistisch gesehen" keine Ansteckungsgefahr bestünde. Auch am Donnerstag in Frankfurt sollte zunächst gespielt werden, ehe die Behörden am Mittwochnachmittag doch die Fans ausschlossen - wenige Stunden, nachdem dieselben Leute auf einer Pressekonferenz wortreich die Gründe für ein Spiel mit Zuschauern erklärt hatten. Man könnte darüber lachen, wenn es nicht so traurig wäre.

Denn statistisch gesehen drohte angeblich in Deutschland bis vor wenigen Wochen auch nicht jene Corona-Pandemie, die nun Realität ist. Und wenn man sich nur ansatzweise mit dem Thema auseinandersetzt, muss man gerade in einer Führungsposition wissen, dass es nicht darum geht, wie gefährlich das Virus ist. Maßgeblich ist vielmehr, die aktuell extreme Ausbreitung so weit wie möglich zu verlangsamen, weil sonst das gesamte System unter der Überlastung zusammenbrechen könnte - was dann tödliche Folgen vor allem für Ältere und Kranke hätte.

Diese zwingend gebotene Eindämmung schafft man nur durch radikale Maßnahmen, wie sie andere Länder vormachen: Möglichst großflächiges Absperren sämtlicher größerer Menschenansammlungen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat daher empfohlen, Veranstaltungen mit mehr als 1000 Menschen bis auf weiteres abzusagen. Der führende deutsche Virologe Alexander Kekule widerspricht sogar und rät dazu, ähnlich wie in Italien das öffentliche Leben maximal zu reduzieren und gar keine Versammlungen zuzulassen, ob in Schulen, auf Messen oder eben in Stadien und Sporthallen.

Deutsche Eishockey-Liga handelt vorbildlich

In einer solchen Lage, die schon jetzt massive wirtschaftliche Milliardenschäden zur Folge hat, wird Sport dann tatsächlich zur unwichtigsten Nebensache der Welt. Viele Funktionäre haben das schweren Herzens erkannt und sagen ihre Meisterschaften teilweise mitten im Titelrennen ab. Exemplarisch sei die Deutsche Eishockey-Liga genannt, die vorbildlich gehandelt hat. Nach den 52 Spieltagen der Vorrunde werden die Playoffs, das Herzstück der Sportart, komplett abgesagt. Einen Meister gibt es nicht, weil Tabellenführer Red Bull München im Vorfeld einen solchen "falschen Titel" abgelehnt hat. Viel gravierender sind allerdings die wirtschaftlichen Folgen für die Klubs durch die Spielausfälle, da die Zuschauereinnahmen rund die Hälfte der Etats ausmachen.

Der Profi-Fußball ist da weit weniger betroffen, trotzdem sucht man eine solche Solidarität bislang vergeblich. So wollte Union Berlin trotz der zunehmenden Hochrisiko-Lage unbedingt mit Fans gegen den FC Bayern spielen, ehe die Gesundheitsbehörden dem Spuk am Mittwoch ein Ende setzten. Ansonsten wären die Köpenicker bewusst diesen Wettbewerbsvorteil im Abstiegskampf eingegangen, weil sie deutlich mehr Einnahmen und mehr Unterstützung als die vor leeren Rängen kickenden Konkurrenten gehabt hätten.

Gleiches gilt für die anderen Teams, die mit fadenscheinigen Gründen nach dem Motto "keine Ansteckungsgefahr" weiter von einem geregelten Spielbetrieb träumen, den es schon jetzt nicht mehr gibt. Eine Meisterschaft mit einer Saison-Endphase voller Geisterspiele ist sportlich ohnehin nur halb so viel wert - wenn überhaupt. Die Eishockeyspieler haben das erkannt, die Fußballer offenbar noch nicht.

Bundesländer, aber auch DFL und DFB müssen handeln

Es bräuchte daher Führung von Menschen, die dafür in Führungsämtern sind. Allen voran müssten die Bundesländer eine einheitliche Linie verfolgen und im Zweifel den zuständigen lokalen Behörden klare Anweisungen geben, den Empfehlungen zu folgen und größere Veranstaltungen ausnahmslos abzusagen.

Es wäre aber auch dringend geboten, dass die Spitzen von DFL und DFB ebenfalls konsequent handeln und analog zu anderen Sportarten und Ländern ihre Entscheidungshoheit nutzen, um eben auch Entscheidungen zu treffen. Nämlich mindestens für komplette Geisterspiele, im Zweifel aber sogar für eine Verschiebung oder schlimmstenfalls auch Absage der gesamten Meisterschaft.

In Hannover-Profi Timo Hübers wurde nun der erste Spieler positiv auf Corona getestet. Zwar behauptet der Verein, man könne die Ansteckung exakt eingrenzen und Hübers habe danach keinen Kontakt zu Teamkollegen gehabt. Eigentlich aber müsste die gesamte Mannschaft nun zwei Wochen in Quarantäne. Von daher rückt der Abbruch der gesamten Zweitliga-Saison immer näher. Aues Präsident Helge Leonhardt rechnet laut einer internen Mail bereits damit.

Unterm Strich bleibt in der jetzigen Ausnahmesituation das Fazit: Es gibt wesentlich wichtigeres als Sport im Leben, allen voran die Gesundheit. Im Vergleich dazu sind eine Absage der Bundesliga-Saison, der Europameisterschaft oder der Olympischen Spiele nicht der Rede wert. Weil das leider zu viele nicht verstehen wollen, darunter auch viele Entscheidungsträger, braucht es klare Ansagen von ganz oben. Bis jetzt erleben wir weitgehend das Gegenteil, vor allem im organisierten Fußball.

Hier geht es zum News-Ticker über die neuesten Entwicklungen der Corona-Krise im Sport.

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