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Deutschland nach dem Aus bei der WM 2022 in Katar: Die Gesichter des Scheiterns

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Die deutsche Nationalmannschaft hat sich zum zweiten Mal in Folge bei einer Weltmeisterschaft blamiert. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Das sind die Gesichter des deutschen Scheiterns.

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DFB-Präsident Bernd Neuendorf forderte am Tag nach dem Aus eine schonungslose Analyse von Bundestrainer Hansi Flick und Direktor Oliver Bierhoff. Diese wird "in der kommenden Woche" stattfinden, auch Neuendorfs Vize Hans-Joachim Watzke wird daran teilnehmen.

Ob am Ende Flick, der "eine sportliche Analyse" liefern soll, und Bierhoff im Amt bleiben, steht in den Sternen. Beide wollen bleiben, doch die von Neuendorf gewünschte und "die Entwicklung der Nationalmannschaft und unseres Fußballs seit 2018" betreffende Aufarbeitung könnte Opfer verlangen.

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OLIVER BIERHOFF

Seit 2004 ist der Direktor für Nationalmannschaften und Akademie im Amt, doch es könnte für ihn nun sehr eng werden. Bierhoff hat krude PR-Kampagnen zu verantworten, die seit dem WM-Titel 2014 das Gegenteil von dem erbrachten, was man sich erhoffte: nämlich schwindende Identifikation mit dem DFB-Team.

Bierhoff hielt zudem zu lange am ehemaligen Bundestrainer Joachim Löw fest, die Wahl für Hansi Flick fiel auch nicht unbedingt in die Kategorie Innovationsgeist. Was Bierhoff rund um Katar anzulasten ist, sind vor allem zweierlei Dinge.

Das Trainingslager im Oman sowie die weit vom Turnierzentrum Doha entfernte Unterkunft erwiesen sich als unkluge Entscheidungen. Im Oman konnte lediglich einmal vernünftig trainiert werden, Regeneration und das Ankommen in der ungewohnten Klimazone standen angesichts drängender sportlicher Themen zu sehr im Vordergrund.

Bei der Wahl des Zulal Wellness Resorts entschied man sich erneut für größtmögliche Abgeschiedenheit, die sogar dazu führte, dass man einmal einen Spieler nicht mit auf eine PK ins entfernte Doha nahm. Das kam arrogant rüber, sorgte für eine Strafe seitens der FIFA und dürfte dem ohnehin angekratzten Image des deutschen Fußballs nicht geholfen haben. Diese isolierte DFB-Blase dient somit als eindringliches Symbol für die Entzweiung zwischen Mannschaft und Fans.

Wie der gesamte DFB machte auch Bierhoff rund um den Streit um die "One Love"-Binde keine gute Figur. Hier entstand ein vermeintlicher Skandal, den man viel früher hätte antizipieren und aus dem Weg räumen müssen. Durch das inkonsequente Handeln eskalierte die Thematik jedoch und beeinträchtigte die Vorbereitung auf das erste Gruppenspiel gegen Japan beträchtlich.

Bierhoff könnte nun schon vor seinem Vertragsende 2024 keine Zukunft mehr beim DFB haben. Wenn es kommende Woche zur Krisensitzung und übergreifenden Analyse kommt, wird auch DFB-Vize sowie Liga-Boss Watzke mit am Tisch sitzen und gehörig Einfluss üben. Und der hat sich bislang noch nicht als Bierhoff-Fan zu erkennen gegeben.

Hansi Flick
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HANSI FLICK

"Ich bin immer einer, der sehr kritisch ist, und das wird auch in die Analyse mit einfließen. Wir haben alle einen sehr großen Teil dazu beigetragen, dass wir nach Hause fahren", sagte der Bundestrainer nach dem Ausscheiden.

Flicks Anteil an der Blamage ist beträchtlich. Er schaffte es nicht, eine eingespielte Mannschaft aufs Feld zu bekommen. Von einer echten ersten Elf war Deutschland meilenweit entfernt. Stattdessen tauschte Flick bei der Generalprobe gegen den Oman zahlreiche Spieler, was sich auch während des Turniers fortsetzte.

Flick bot in den Gruppenspielen drei verschiedene Mittelfeldbesetzungen und vier Rechtsverteidiger auf. Gegen Japan hat er sich besonders mit der Auswechslung von Ilkay Gündogan schlicht vercoacht. Gegen Costa Rica beorderte er Joshua Kimmich in die Viererkette und korrigierte sich bereits zur Pause. Statt mit Niclas Füllkrug einen Torjäger in Topform aufzubieten, hielt er - obwohl man gegen die Mittelamerikaner reichlich Tore benötigte - an Thomas Müller im Sturmzentrum fest.

Am Ende mangelte es der DFB-Elf in beide Spielrichtungen an Biss und Gier, defensiv wie offensiv genügten die Leistungen dem Anspruch zu keiner Zeit. Im gesamten Jahr stand in zwölf Länderspielen lediglich zweimal die Null - gegen Israel und den Oman. Von Effizienz gerade im vorderen Bereich war dazu keine Spur - sonst hätte es gegen das defensivschwache Costa Rica durchaus zu den benötigten sieben, acht Treffern reichen können.

Es waren ungewohnt viele Fehler, die sich Flick und sein Trainerteam erlaubten. Dass der Bundestrainer ständig wiederholte, die Mannschaft habe ausreichend Qualität, zeigt auf, dass die wahre Sachlage verkannt wurde.

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BERND NEUENDORF

Der DFB-Präsident wird genau hinhören, wenn Bierhoff und Flick die geforderte Analyse des Turniers und der Entwicklung seit 2018 präsentieren. Neuendorf selbst hat in Katar allerdings auch reichlich Lehrgeld gezahlt.

Besonders der "One Love"-Streit ist ihm schwer anzulasten. Die gesamte Thematik hätte besser vorbereitet und durchgeführt gehört. Am Ende ließ sich Neuendorf dann sogar von der FIFA vorführen.

Durch das Verhalten der DFB-Spitze entwickelte sich die Sache mehr und mehr zu einem Ärgernis, das bis in die Mannschaft hineinreichte und sportliche Aspekte vor dem WM-Auftakt komplett überlagerte. Gerade Kapitän Manuel Neuer, der sich vor der Abreise nach Katar deutlich zum Tragen der "One Love"-Binde bekannte, hatte unter der Handhabung der Thematik zu leiden.

Der 61 Jahre alte Neuendorf ist seit rund neun Monate im Amt. Auch er ist nun verantwortlich dafür, Perspektiven auszuloten, wie dem am Boden liegenden deutschen Fußball wieder aufgeholfen werden kann. Ein bloßes Weitermachen wie nach dem K.o. bei der WM 2018 geschehen kann er sich mit Blick auf seine eigene Position wohl kaum erlauben - vor allem aber deshalb nicht, weil in 18 Monaten die Heim-EM vor der Tür steht.

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MANUEL NEUER

Seit September 2014 ist der Keeper Kapitän der Nationalelf - viel Glück hat dies dem DFB nicht gebracht. Zweimal schied man nun in der WM-Gruppenphase aus, einmal bereits im EM-Achtelfinale.

Doch vielmehr ist Neuer, den Bundestrainer Flick weiter als besten Torwart der Welt ansieht, eben dies wohl nicht mehr. Zumindest ist sein Platz im globalen Ranking, den er in den vergangenen Jahren zu Recht inne hatte, längst nicht mehr so unumstritten.

Während des bisherigen Turniers ließen sich bessere Torhüterleistungen beobachten als das, was Neuer mit Deutschland zustande brachte. Zum Auftakt gegen Japan sah Neuer vor allem beim 1:2 nicht gut aus, als er sich zu früh bewegte und damit die kurze Ecke freigab.

Auch beide Tore gegen Costa Rica wären vermeidbar gewesen. Den Kopfball vor dem 1:1 hätte er besser mit dem Fuß geklärt, anstatt den Ball mit beiden Händen nach vorne abprallen zu lassen. Beim 1:2, das als Eigentor von Neuer gewertet wurde, verhielt er sich maximal unglücklich und hätte entschlossener herausrücken müssen. Zudem unterliefen ihm auch im Spielaufbau immer wieder ungewöhnlich schlampige Fehler.

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JOSHUA KIMMICH

Es war ein bemerkenswertes Statement, das Kimmich im Zuge der großen Enttäuschung am Donnerstag abgab. "Für mich ist es der schwierigste Tag meiner Karriere. Es ist für mich persönlich nicht einfach zu verkraften, weil man mit dem Misserfolg in Verbindung gebracht wird. Ich habe ein bisschen Angst davor, in ein Loch zu fallen", sagte er.

Das wünscht man dem Bayern-Akteur gewiss nicht, doch ganz von der Hand zu weisen ist seine Befürchtung nicht: Kimmich steht durchaus exemplarisch für die auf DFB-Ebene bislang glücklosen Jahrgänge 1994, 1995 und 1996, denen er zusammen mit Spielern wie Leroy Sané, Serge Gnabry, Leon Goretzka, Niklas Süle, Julian Brandt, Thilo Kehrer oder Lukas Klostermann angehört. WM 2018, EM 2021, WM 2022 - allesamt enttäuschend verlaufen.

Aus diesem Kreis an Spielern verkörpert Kimmich jedoch am ehesten einen Profi, der Biss, Gier und Leidenschaft mitbringt. Also jene Komponenten, die Deutschland jahrzehntelang besonders bei Endrunden den Ruf einer auf den Punkt funktionierenden Turniermannschaft eingebracht haben.

Von Kimmich werden die von ihm beim FC Bayern gewohnten Spitzenleistungen erwartet, doch wie seine Mitstreiter spielte er alles andere als ein gutes Turnier. Vielleicht trug dazu auch die stets schwelende Debatte um seine Position bei. Es dürfte ihm nicht geholfen haben, dass er gegen Costa Rica erstmals unter Flick eine Halbzeit lang Rechtsverteidiger spielen musste, nachdem der Bundestrainer diese Versetzung zuvor kategorisch ausschloss.

Kimmich sollte und wollte ein Anführer des Teams sein. Nun jedoch herrschen Zweifel an ihm und den anderen Profis der erwähnten Jahrgänge, denen ein schwer zu begradigender Makel anhaftet. Hinsichtlich der Heim-EM 2024 sind das keine guten Aussichten. Gerade Kimmich wird sich aufrappeln und neuen Mut schöpfen müssen, denn er wird als wahrscheinlicher neuer Kapitän die Truppe ins nächste Turnier führen.

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