Juventus Turin - Rücktritt von Agnelli, Nedved und Co.: Fragen und Antworten zum Juve-Beben

Von SPOX
Beben bei Juventus Turin: Der gesamte Vorstand inklusive Präsident Andrea Agnelli ist zurückgetreten. Wir liefern die Hintergründe.
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Beben bei Juventus Turin: Der gesamte Vorstand inklusive Präsident Andrea Agnelli ist zurückgetreten. Wir liefern die Hintergründe.

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Am 28. November 2022 ist der gesamte Vorstand des Serie-A-Klubs Juventus Turin zurückgetreten - eine bemerkenswerte Entwicklung.

Diese Entscheidung wurde im Vorfeld einer außerordentlichen Generalversammlung getroffen. GOAL berichtete schon früher darüber, dass im italienischen Fußball im allgemeinen und auch in Turin im speziellen Ermittlungen wegen Unregelmäßigkeiten bei Transfers angestrengt wurden.

Wer sind die prominenten Persönlichkeiten, die nun zurückgetreten sind, und warum haben sie sich zu diesem Schritt entschlossen? SPOX wirft einen Blick darauf.

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Juventus Turin: Warum ist der Vorstand zurückgetreten?

Juve hat für das Geschäftsjahr 2021/22 einen Rekordverlust in Höhe von 254,3 Millionen Euro ausgewiesen, und eine für den 23. November angesetzte Aktionärsversammlung wurde zunächst auf den 27. Dezember verschoben.

Nun wurde bekannt, dass alle Vorstandsmitglieder des Vereins zurücktreten, darunter Präsident Andrea Agnelli und Vizepräsident Pavel Nedved.

Diese Entscheidung wurde aufgrund von Ermittlungen wegen angeblich falscher Buchführung durch das Serie-A-Schwergewicht getroffen. Die CONSOB - die für die Überwachung der Aktivitäten auf dem italienischen Aktienmarkt zuständige Behörde - forderte Klarheit über die Bilanz der Bianconeri.

Die Turiner Staatsanwaltschaft untersucht auch Gehaltszahlungen, die angeblich während der COVID-19-Pandemie gestundet wurden.

Die Behörden wollen beweisen, dass Juve nicht, wie damals behauptet, vier Monatsgehälter einbehalten hat, sondern dass nur ein Monat gestrichen wurde und die Gehälter über eine Reihe privater Vereinbarungen weiter gezahlt wurden.

Im Mai und Juni 2020 unterzeichneten 23 Spieler Verträge, in denen ihre Gehälter gekürzt wurden, um die Kosten in einer Zeit zu senken, in der die Klubs auf der ganzen Welt finanziell auf die Probe gestellt wurden und die Spiele in leeren Stadien stattfanden, weil die Fans nicht zu den Partien kommen konnten.

Laut der Gazzetta dello Sport wurden die Juve-Stars "schwarz" bezahlt, um den Spielern und dem Verein die Möglichkeit zu geben, Steuern zu vermeiden, während Abrechnungen angeblich gefälscht wurden, um den Anschein zu erwecken, dass die Bücher ausgeglichen waren.

Der italienische Verband FIGC leitete am Dienstag eine Untersuchung ein, Gegenstand sind die Spielerverträge.

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Juventus Turin: Welche Vorstandsmitglieder sind zurückgetreten?

Nach dem Beben in der Juve-Zentrale wurde bekanntgegeben, dass der derzeitige CEO Maurizio Arrivabene - früherer Teamchef beim Formel-1-Team Ferrari - seine Rolle kommissarisch weiterführen wird, während ein neuer Vorstand zusammengestellt wird. Für den 18. Januar 2023 ist ein Meeting geplant, um diesen Prozess abzuschließen.

Gianluca Ferrero wird nach dem Weggang von Agnelli, der seit 2010 bei den Bianconeri tätig ist, das Amt des Präsidenten übernehmen. Zum neuen Generaldirektor wurde Maurizio Scanavino ernannt.

Der Juventus-Vorstand, der zurückgetreten ist, bestand aus:

  • Andrea Agnelli - Präsident
  • Pavel Nedved - Vizepräsident
  • Maurizio Arrivabene - Vorstandsvorsitzender
  • Laurence Debroux - Direktor
  • Massimo Della Ragione - Unabhängiges Mitglied
  • Kathryn Fink - Unabhängiges Mitglied
  • Daniela Marilungo - Unabhängiges Mitglied
  • Francesco Roncaglio - Unabhängiges Mitglied
  • Giorgio Tacchia - Unabhängiges Mitglied
  • Suzanne Heywood - Direktorin
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Juventus Turin: Wie äußerte sich Agnelli?

Juventus Turin hat auf der offiziellen Website des Vereins bestätigt, dass der Vorstand zurücktritt.

Agnelli, der beim gescheiterten Versuch, eine europäische Superliga (ESL) im April 2021 ins Leben zu rufen, eine wichtige Rolle gespielt hat, verfasste eine Mitteilung an sämtliche Mitarbeiter. Die Erklärung im Wortlaut:

"Für Juventus spielen, für Juventus arbeiten; ein Ziel: der Sieg.

Diejenigen, die das Privileg haben, das Trikot der Bianconeri zu tragen, wissen das. Diejenigen, die in einer Mannschaft arbeiten, wissen, dass harte Arbeit das Talent übertrifft, wenn das Talent nicht hart arbeitet. Juventus ist einer der größten Klubs der Welt, und wer hier arbeitet oder spielt, weiß, dass das Ergebnis den Anstrengungen des gesamten Teams zu verdanken ist.

Wir sind aufgrund unserer Geschichte und unserer DNA daran gewöhnt, zu gewinnen. Seit 2010 haben wir unsere Geschichte durch außergewöhnliche Ergebnisse gewürdigt: das Stadion, neun Scudetto-Titel bei den Männern in Folge, die ersten Netflix- und Amazon Prime-Shows in Italien, das J|Medical Center, fünf Scudetto-Titel bei den Frauen in Folge.

Und noch mehr: der Deal mit Volkswagen (nur wenige wissen davon), das Erreichen der Champions-League-Finals in Berlin und Cardiff (unser größtes Leid), die Vereinbarung mit adidas, die Next Gen Coppa Italia, der erste Verein, dessen Mannschaften im UEFA-Exekutivkomitee vertreten werden, das J|Museum und vieles mehr.

Stunden, Tage, Nächte, Monate und Saisons mit dem Ziel, sich immer weiter zu verbessern. Jeder von uns kann sich an den Moment erinnern, bevor man das Spielfeld betritt: Man verlässt die Umkleidekabine und geht nach rechts, etwa 20 Stufen hinauf, dazwischen ein Gitter, weitere zehn Stufen hinauf und schon ist man da: Und in diesem Moment weiß man, dass die ganze Mannschaft bei einem ist und das Unmögliche möglich wird.

Bernabeu, Old Trafford, Allianz Arena, Westfalenstadion, San Siro, Georgios Karaiskakis, Celtic Park, Camp Nou: Wo auch immer wir hinfuhren, wenn die Mannschaft vereint war, hatten wir vor niemandem Angst.

Wenn die Mannschaft nicht geeint ist, öffnet das den Gegnern den Weg, dich zu verletzen, und das kann tödlich sein. In diesem Moment muss man einen scharfen Verstand haben, um den Schaden zu begrenzen: Wir stehen als Verein vor einem heiklen Moment, und diese Einheit ist verloren. Es ist besser, alle gehen zusammen und geben einer neuen Mannschaft die Möglichkeit, das Spiel zu gewinnen.

Unser Anspruch wird ihre Herausforderung sein: dem Standard der Geschichte von Juventus gerecht zu werden.

Ich werde weiterhin an einem besseren Fußball arbeiten, getröstet durch einen Satz von Friedrich Nietzsche: "Und wer tanzend gesehen wurde, wurde von denen, die die Musik nicht hören konnten, für verrückt gehalten."

Denkt daran, wir werden uns mit einem Blick erkennen: Wir sind Juve-Leute! Bis zum Ende ..."

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Juventus Turin: Welche Reaktionen gibt es?

Eine der größten Legenden der Bianconeri meldete sich nach dem Knall bereits zu Wort. Alessandro del Piero, langjähriger Kapitän der Alten Dame, mit der er fast alle Titel holte, die man im Klubfußball holen kann, schloss eine Rückkehr in verantwortlicher Funktion nicht aus.

"Meine Beziehung zum Team, zu den Eigentümern und zu den Fans ist sehr eng", sagte der 48-Jährige, der dem Klub auch nach dem Zwangsabstieg 2006 die Treue gehalten hatte, im Rahmen der WM-Berichterstattung von beIN Sports. Und weiter: "Wir haben viel durchgemacht: von der Weltspitze bis zum Tiefpunkt und dann wieder zurück. Jede Nachricht über Juve löst bei mir Emotionen aus. Jetzt warte ich ab, was passieren wird."

Deutlich weniger romantisch äußerte sich die spanische Liga, die sofortige Sanktionen gegen Juventus forderte. Die spanische? Ja, richtig. LaLiga sieht sich in ihren Beschwerden über Juventus, Paris Saint-Germain und Manchester City hinsichtlich des Financial Fairplays bestätigt und betont den Einsatz des spanischen Fußballs für finanzielle Stabilität.

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Juventus Turin: Wer ist der neue Präsident Gianluca Ferrero?

Die Ära von Andrea Agnelli bei Juventus Turin ist beendet, ihm folgt Gianluca Ferrero. Mit dem Süßwarenhersteller (unter anderem Nutella) hat der 59-Jährige allerdings bis auf den Namen nichts zu tun.

Ferrero wurde 1963 in Turin geboren und hat ein Studium der Wirtschaftswissenschaften und des internationalen Handels absolviert. Er ist derzeit Wirtschaftsprüfer im Bereich Steuer- und Gesellschaftsrecht und seit 1989 Wirtschaftsprüfer und Rechnungslegungsexperte, seit 1995 als Wirtschaftsprüfer eingetragen. Ferrero ist auch Berater der Richter am Turiner Gericht.

Er ist der Wunschkandidat von Exor, der Holding der Agnelli-Familie, die in ihm die richtigen Qualitäten sieht, um den Verein voranzubringen.

Es muss jedoch daran erinnert werden, dass eine Versammlung am 18. Januar 2023 den neuen Vorstand von Juventus bestimmen wird: Exor selbst wird die vollständige Kandidatenliste 25 Tage vor der Versammlung bekanntgeben.

Ferrero verfügt unter anderem über Erfahrungen als Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses von Luigi Lavazza, Biotronik Italia, Praxi Intellectual Property, P. Fiduciaria, Emilio Lavazza und GEDI Gruppo Editoriale.

Er ist außerdem Rechnungsprüfer der Fenera Holding und der Techwald Holding sowie Vizepräsident des Verwaltungsrats der Banca di Piemonte und Mitglied des Aufsichtsrats von Il Sole 24 Ore.

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Juventus Turin: Welche sportlichen Folgen könnten die Entwicklungen haben?

Sportlich bewegt sich Juventus Turin bereits seit einiger Zeit in die falsche Richtung. Von der Dominanz des vergangenen Jahrzehnts, auf das Agnelli in seiner Abschiedserklärung noch pathetisch hingewiesen hat, ist nichts mehr übrig. In Italien datiert der letzte Meistertitel aus dem Jahr 2020, und auch in dieser Saison ist Napoli bereits enteilt. Noch schlimmer sieht es international aus: In der Champions League scheiterte die Mannschaft von Trainer Massimiliano Allegri bereits in der Gruppenphase. Juve ist im Mittelmaß angekommen.

Die Wirrungen rund um den Klub könnten vor allem mittelfristig aber noch viel heftigere Konsequenzen haben. Wirtschaftlich ist der Klub am Boden und benötigt Einnahmen, im Zweifel durch Spielerverkäufe. Große Einkäufe hingegen gehören wohl erst einmal der Vergangenheit an. Zudem könnten Juve schwere Sanktionen wie Punktabzüge drohen, sollten die Ergebnisse der Ermittlungen auch den Klub und nicht nur die handelnden Personen betreffen.

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