Golf-Gott trotz Hindernissen

Harry Vardon revolutionierte den Golfsport und gewann die British Open insgesamt sechs Mal
© getty

Keiner gewann die British Open so oft wie Harry Vardon. Der erste Superstar des Golfsports war ein Revolutionär. Er avancierte nicht nur zum besten Spieler seiner Zeit und faszinierte auch jenseits des Großen Teichs die Massen, sondern prägt auch über ein Jahrhundert später die internationale Elite. Eine schwere Erkrankung kostete ihn einiges - und bewahrte ihn wohl vor dem Tod auf hoher See.

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Seite an Seite mit seinem größten Widersacher läuft John Henry Taylor über den Kurs des Prestwick Golf Clubs im Südosten Schottlands. Worte wechseln sie keine. Die Blicke der Kontrahenten, die sich über etliche Jahre unvergessliche Duelle geliefert und die Massen in ihren Bann gezogen haben, sagen allerdings mehr, als es Worte vermocht hätten.

Umringt von einer Masse, die die Duellanten auf der letzten Runde der Open Championship des Jahres 1913 für keine Sekunde aus den Augen lässt, ist es Taylor, der die Zügel in der Hand hält. Direkt am ersten Loch kann er seinem Gegenüber einen Schlag abnehmen. Mit einem Vorsprung von drei Versuchen und einem geschwächten Gegner scheint der weitere Verlauf nahezu vorgezeichnet. Stünde nicht Harry Vardon neben ihm.

Liebe mit Hindernissen

Denn bereits vier Jahrzehnte zuvor schien der Weg von Henry William, genannt Harry, Vardon, der am 9. Mai 1870 in Grouville auf der Kanalinsel Jersey, der größten der Inselgruppe im Ärmelkanal, geboren wurde, vorbestimmt. Mit Golf hatte dieser jedoch zunächst wenig zu tun.

Als Kind hatte Vardon, der mit fünf Brüdern sowie zwei Schwestern in den finanziell schwierigen Verhältnissen einer Arbeiterfamilie aufwuchs, mit dem Sport, der sein Leben verändern sollte, eher wenig am Hut. Erst als die Stadt den Bau eines Golfkurses beschloss und er zusammen mit seinen Brüdern auf einem Stück Land nahe des eigenen Hauses aus Spaß selbst einen kleinen Platz errichtete, packte ihn die Faszination.

Sein Vater, der mit seinem Gehalt als Gärtner die Familie über Wasser halten musste, war jedoch wenig angetan von der neuen Liebe. Geleitet vom Familienoberhaupt und im Sinne der Vernunft entschied sich Harry deshalb nach der Schule und im Alter von 13 Jahren zu einer Lehre als Gärtner. Der Weg in den Fußstapfen seines Vaters nahm Gestalt an.

Es war eine schwere Entscheidung, die für Harrys zwei Jahre jüngeren Bruder Tom nicht in Frage kam. Statt die Vorstellungen seines alten Herrn ebenfalls in die Tat umzusetzen, wagte dieser den Sprung nach England. Dort verdiente er unter anderem mit der Herstellung von Golfschlägern seinen Lebensunterhalt und konnte als Berufsgolfer erste Erfolge feiern.

Ein längst überfälliger Schritt

In Briefen berichtete Tom seinem Bruder, zu dem er stets ein enges Verhältnis hatte, nach seinem Schritt in die ungewisse Zukunft von seinem Leben. Die Aussichten, die er Harry so vermittelte, sorgten nur kurze Zeit später dafür, dass auch dieser den Weg nach England fand.

Er wurde zunächst Greenkeeper im Studley Golf Club in Ripon. Nach einem Jahr, in dem ihm seine Ausbildung Türen geöffnet hatte, wurde er im Bury Golf Club in Lancashire Spieler. Trotz seines unbestrittenen Talents hatte Harry jedoch erneut mit Widerständen zu kämpfen.

Mit einer Körpergröße von nur 175 Zentimetern, einem Gewicht von 70 Kilo und schmächtiger Statur hatte er nicht die idealen Voraussetzungen, den großen Wurf zu schaffen. Gleichzeitig aber brachte er auch einen Vorteil mit: Vardon, der sich, ohne eine einzige Lehrstunde bei einem Trainer zu nehmen, das Spiel selbst beigebracht hatte, verfügte über große Hände.

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Gelassen zur Revolution

Hände, die wie gemacht schienen, den Griff eines Schlägers mit einer unvergleichlichen Eleganz zu umfassen. Auch seine gelassene Art passte perfekt zu seinem Spiel, welches dem seiner Kontrahenten bereits nach kurzer Zeit deutlich überlegen war.

Vardon revolutionierte den Sport mit seiner aufrechten Körperhaltung vor allem über die mittlere sowie lange Distanz. Die Tage an denen der Ball mit hoher Geschwindigkeit verhältnismäßig flach geschlagen wurde, waren vorbei.

Durch die Fähigkeit das Spielgerät in einer erheblich höheren Flugkurve über große Distanzen zu schlagen, hatte er die Möglichkeit, den Zielpunkt exakter zu bestimmen. Da der Ball zudem beim Aufkommen deutlich schneller liegen blieb, avancierte er zum "Vater des modernen Schwungs".

Mit Leichtigkeit gegen das Schicksal

"Entspannung als Ergänzung zu einigen grundlegenden Prinzipien sind die Basis für ein großartiges Spiel", erklärte Vardon einst seinen besonderen Stil, der sich bei der Wahl seiner Kleidung fortsetzte. Als erster Golfer überhaupt stand er in Kniebundhosen auf dem Platz.

Während sich andere die Finger wund spielten, um ihn zu kopieren, ließ es der neue Star locker angehen. "Man sollte niemals zu viel Golf an einem Tag spielen. Zwei Runden sind schon einiges", sagte Vardon, der seine erste Trophäe Zeit seines Lebens wie einen Schatz hütete. Außerdem sei der "erfolgreichste Weg, Golf zu spielen, oft schlichtweg der einfachste".

Nachdem Vardon, der privat zusammen mit seiner Frau Jessie von Tragödien gebeutelt wurde, die Open Championship in den Jahren 1896, 1898 und 1899 für sich entschieden hatte, avancierte er ein Jahr später endgültig zum ersten weltweiten Superstar des Golfsports. Trotz des Todes seines ersten Kindes nach nur sechs Wochen und einer weiteren Fehlgeburt, die seine Frau in noch tiefere Depressionen stürzte und der Beziehung schwer zusetzte, konnte er auf dem Platz alles abschütteln.

Ein Homerun für die Fans

Zusammen mit seinem Freund Ted Ray zog es den Pionier über den Großen Teich. Es folgte eine Tour quer durch die USA, bei der beide über 20.000 Meilen zurücklegten und Vardon mehr als 80 Showmatches absolvierte. Oftmals spielte er dabei gegen zwei Gegner, wobei bei diesen nur der bessere Ball zählte. Tausende Menschen kamen, nur um ihn spielen zu sehen.

Die Krönung war jedoch der Sieg bei den US Open im Chicago Golf Club, der seinen Status untermauerte. "Zu dieser Zeit waren die Amerikaner im Golfsport noch nicht wirklich entwickelt", erinnerte sich Vardon. "Sie haben aber die Art meines Spiels sichtlich genossen. Ich habe den Ball hoch geschlagen, etwa so wie einen Homerun." Es sollten weitere Reisen in die USA in den Jahren 1913 und 1920 folgen, bei denen er jeweils Platz zwei belegte.

Eine Krankheit ändert alles - und nichts

Unvergessen bleibt zudem das Duell mit Francis Ouiment, dem mit seinem Sieg bei den US Open im Jahr 1913 im Stechen die große Sensation gelang. Vardons Leistungen zu diesem Zeitpunkt können ihm jedoch trotz der Niederlage nicht hoch genug angerechnet werden. Denn immer wieder bereitete ihm der Sport bereits nach der Jahrhundertwende große Probleme.

Zunächst dachte er, dass die Anpassungen an den amerikanischen Rasen seinem Spiel eine negative Entwicklung beschert hätten, auch das neue Balldesign schien ihm nicht entgegenzukommen.

Nach einem weiteren Sieg bei den British Open im Jahr 1903 hatten ihm die Ärzte jedoch eine andere Erklärung geliefert. Bei Vardon war eine Tuberkulose-Erkrankung diagnostiziert worden, die ihn acht Monate in das Mundesley Sanatorium zwang und immer wieder Behandlungen erforderte. Er verlor mehr als sechs Jahre seiner Karriere.

Verzweifeln? Nicht Vardons Art

Zwar gelang es mit den einfachen medizinischen Mitteln der Zeit, die Krankheit zurückzuschlagen, dennoch war Vardon geschwächt.

Seine Liebe ließ er sich allerdings nicht rauben. "Selbst in der dunkelsten Stunde darf man niemals verzweifeln", sagte er und kam zurück. Er gewann die Open Championship 1911 zum fünften Mal, ging drei Jahre später mit Taylor, mit dem er zusammen mit James Braid das berühmte "Große Triumvirat" bildete, auf die letzte Runde - und zeigte, warum er von Peter Thompson als "Gott des Golfsports" bezeichnet werden sollte.

Taylor wankte nach dem perfekten Start an Loch eins, Vardon brachte ihn auf den folgenden zu Fall. Es war sein sechster und letzter Sieg der British Open, die er zudem vier mal auf Rang zwei beendete und die aufgrund des Weltkriegs erst 1920 erneut ausgetragen wurden.

Rekord für die Ewigkeit

Ein Rekord für die Ewigkeit und einer der Gründe, warum die PGA of America jährlich die Vardon Trophy an den Spieler mit dem niedrigsten Schlagdurchschnitt vergibt und auf der European Tour der Gewinner der Geldrangliste die Harry Vardon Trophy erhält.

Der frühere Ryder-Cup-Star Tommy Horton verdeutliche die Leistung, die Vardon an diesem Tag auf den Rasen gezaubert hatte. "Er war nicht wirklich fit", sagte Horton. "Wenn ich an das Jahr 1914 zurückdenke, dann ist es unwirklich, dass er erst wenige Wochen vor dem Turnier aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Er hatte nur ein wenig Zeit, um zu trainieren und dennoch hat er die Open Championship gewonnen. Das ist für mich absolut unglaublich."

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Bernard Darwin ging noch einen Schritt weiter. "Ich denke nicht, dass jemand, der ihn in seiner Hochzeit spielen gesehen hat, Einspruch gegen die Aussage einlegen würde, dass es wohl kein größeres Genie geben kann", schrieb der Schriftsteller und Sportjournalist über den Mann, der 1974 in die World Golf Hall of Fame aufgenommen wurde.

Tuberkulose als Lebensretter?

Der Vardon Griff, bei welchem der kleine Finger der rechten Hand bei Rechtshändern auf dem Zeigefinger der linken liegt, wird auch über ein Jahrhundert später noch von über 90 Prozent der Profis gewählt. Er nutzte ihn zwar erst nachdem Johnny Laidlay, ein schottischer Amateur, diese Haltung gewählt hatte, perfektionierte ihn jedoch und machte ihn bekannt.

Die Tuberkulose-Erkrankung, die ihn weiterer Major-Siege beraubt hatte, rettete Vardon im Gegenzug allerdings wohl paradoxer Weise das Leben. "Es war bekannt, dass er zurück in die Staaten wollte, um sein Equipment und seine Sponsoren zu promoten", berichtete Horton. "Aber er erlitt einen Rückschlag. Das war der Grund, warum er nicht auf der Titanic war."

Es ist ein weiterer kleiner Mosaikstein im Mythos eines Mannes, der am 20. März 1937 im Alter von 66 Jahren zwar die Welt verließ - durch den Sport aber für immer weiter leben wird.

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