Auswärtsspiel-Kolumne: Wie PSG-Sportdirektor Leonardo seine Mitstreiter verrückt macht

Von Fatih Demireli
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Leonardo Nascimento de Araujo war einer der besten Spielmacher seiner Zeit, der seine schillernde Persönlichkeit auch für seine zweite Karriere als Trainer und Sportfunktionär nutzte. Doch der Brasilianer mutierte zu einem gewieften Machtmenschen, der nun auch bei Paris Saint-Germain wieder unter Beobachtung steht.

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Ali Safak Öztürk kennt es nicht, kleine Brötchen zu backen. Wenn es pompös und auffällig geht, dann läuft es so. Zurückhaltung ist was für Turnbeutelvergesser. Der erst 37 Jahre alte Geschäftsmann ist Miteigner der größten Tankstellenkette der Türkei, den Sitz hat er von seinem Vater geerbt. Außerdem ist er Besitzer des luxuriösesten Hotels des Landes. Barack Obama, Jennifer Lopez und Co. gehörten in Antalya schon zu den Gästen.

Apropos Lopez: Die amerikanische Pop-Ikone ist seit 2019 in Besitz eines Trikots von Antalyaspor. Feierlich überreicht von - na klar - Öztürk, der damals Präsident des Klubs war und die Gunst der Stunde nutzte, auch ein bisschen Werbung für seinen Klub zu machen. Leonardo Nascimento de Araujo war da schon längst wieder weg. Auch er bekam im September 2017 ein Trikot von Öztürk, als er den Brasilianer als neuen Trainer vorstellte.

Aber Leonardo sollte mehr sein: "Er soll uns in höhere Sphären führen. Nicht in der Tabelle, sondern den gesamten Klub. Er soll die Infrastruktur, die Abläufe, die Wahrnehmung, das Marketing, die Strategie nach oben führen. Wir erwarten, dass er in allen Bereichen des Klubs Einfluss nimmt. Er ist nicht nur ein Trainer, er bedeutet viel mehr für uns", sagte der Präsident damals.

Zwei Monate später erklärte Öztürk seinen Rücktritt. Die Schuld allein auf Leonardo zu schieben, wäre natürlich arg vermessen. Aber Leonardo lieferte nicht mal ansatzweise das ab, was sich der Klub von ihm erhoffte.

Leonardo stürzte mit Antalyaspor ab

Insider erzählten hinterher, dass Leonardo die Aufgabe ziemlich lustlos angegangen war. Taktische Besprechungen mit der Mannschaft, in der sich illustre Namen wie Samuel Eto'o oder Samir Nasri tummelten, sollen sich auf einen handgeschriebenen DIN-A4-Zettel, den Leonardo mehr oder weniger vorlas (oder vorlesen ließ) und so die Mannschaft aufs Feld schickte, beschränkt haben.

In acht Spielen holte er nur zwei Siege und stürzte in den Abstiegskampf ab. Die Träume, dass der schillernde Name, der einst bei Milan, Paris Saint-Germain, Brasilien und Co. spielte und der unter anderem Milan und Inter trainierte, Antalya zu einer Fußballmarke mache, waren schnell dahin.

Leonardo hat einen viel zu großen Namen und ein viel zu großes Netzwerk, als dass der Brasilianer durch eine schlechte Erfahrung in der Türkei einen Imageschaden davongetragen hätte. Aber ganz untypisch sind die Ereignisse aus Antalya nicht.

PSG-Coach Pochettino wirkt nicht mehr so begeistert

Leonardos Wirken wird fast bei allen seinen Stationen von einem ungemütlichen Unterton begleitet. Ob bei Milan, Inter oder beide Male bei Paris Saint-Germain: Leonardo ist eine Figur, deren Wirkung auch immer zwischen den Zeilen zu lesen ist. Bezeugen können das einige: Da wäre beispielsweise Thomas Tuchel, den Leonardo am Ende regelrecht bekriegt hatte, bis er eine Gelegenheit fand, den Deutschen loszuwerden. Dazu aber später mehr.

Und auch Mauricio Pochettino, der damals als Wunschlösung von Leonardo für die Tuchel-Nachfolge galt, wirkt längst nicht mehr so begeistert wie anfangs. Ihm wurde zuletzt ein Interesse an einem Wechsel zu Manchester United nachgesagt. Im Sommer, wenn Ralf Rangnick aufhört und als Berater weitermacht, könnte das wieder zum Thema werden.

Leonardo wiegelt aber noch ab: "Wir wollen nicht, dass Pochettino geht. Er hat nie darum gebeten, uns verlassen zu dürfen und uns hat auch kein anderer Klub seinetwegen kontaktiert." Hört man jedoch Pochettino zu, spricht da kein Trainer, der Woche für Woche Messi, Neymar und Mbappe gleichzeitig aufstellen darf und Di Maria, Icardi und Co. noch als Backup hat.

Darum ist PSG wie ein Teenager

"Der Druck ist schon ein anderer als bei meinen früheren Stationen bei Tottenham, Southampton und Espanyol. Der Druck ist brutal", sagte Pochettino zuletzt. Der Unterschied zu den Aufgaben davor: Dort bekam der Argentinier die Zeit und den Raum, um eine Mannschaft aufzubauen, die Erfolg verspricht.

Bei Tottenham wuchs sein Kompetenzbereich in jeder Saison und Transfers wurden nur durch sein Zutun abgewickelt. Bei PSG sieht es anders aus. Der Klub möchte mit aller Macht die Weltspitze erobern und kauft alles, was einen schönen Namen hat und gerade in Mode ist. PSG ist wie ein Teenager, der jedes neue Smartphone und die neuen Sneaker kaufen muss, obwohl im Schrank noch gute Sachen sind.

Pochettino muss bei PSG tagtäglich 24 Egos glücklich machen. Dass ihm bei dieser schwierigen Aufgabe vor der Saison einen Gianluigi Donnarumma vor die Nase gesetzt bekam, obwohl er mit Keylor Navas einen Top-Torhüter hat oder ein Sergio Ramos geholt wird, obwohl dieser verletzt ist und nicht wirklich gebraucht wurde, erschwert das Ganze.

Leonardo in Mbappe-Verhandlungen entmachtet?

"Sehr herausfordernd", sei es mit diesem Kader zu arbeiten, sagte Pochettino zuletzt in englischen Medien. Zu verdanken hat er diese Herausforderung Leonardo, der seinen katarischen Bossen zeigen will, wie pompös er einkaufen und die Marke PSG noch bekannter machen kann. Der Torhüter des Europameisters? Klar, her damit! Die Abwehrikone des vergangenen Jahrzehnts? Monstervertrag! Jürgen Klopps Motor bei Liverpool? Klar, gebt Georginio Wijnaldum das Doppelte, was die Konkurrenz bietet.

Aber der Niederländer funktioniert bei PSG nicht, was nicht nur sportliche Gründe haben soll. So soll die mächtige Lateinamerika-Fraktion innerhalb der Mannschaft Wijnaldum nicht aktiv integrieren, um somit ihren geliebten Kollegen und Wijnaldum-Konkurrenten Leandro Paredes zu stützen. Wijnaldum sagt zu seiner Situation in Paris: "Ich kann nicht sagen, dass ich hundertprozentig glücklich bin. Aber ich bin ein Kämpfer und versuche, positiv zu bleiben."

Inzwischen soll Leonardo aber schon nach einer Alternative Ausschau halten. Nachhaltigkeit sieht anders aus. Seine angreifbare Personalpolitik wird durchaus diskutiert. Erst im Sommer berichtete die gut informierte L'Equipe, dass Klub-Boss Nasser Al-Khelaifi Leonardo in den Verhandlungen mit Kylian Mbappe entmachtet habe, um selbst die Gespräche zu führen.

Seit dem 1. Juli 2019 ist Leonardo als Sportdirektor bei PSG tätig.
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Seit dem 1. Juli 2019 ist Leonardo als Sportdirektor bei PSG tätig.

Streit zwischen Leonardo und Tuchel wird öffentlich

Stimmt die Geschichte, wäre es eine Bankrotterklärung für einen sportlichen Leiter. Dass Leonardo ruhig geblieben ist, verwundert zum einen nicht, weil er den gut bezahlten und sehr lukrativen Job als PSG-Sportchef nicht auf Spiel setzen will. Zum anderen sieht es ihm nicht ähnlich, dass er an seiner Macht rütteln lässt.

"Gandhi hat Indien befreit und niemals die Stimme erhoben", sagte Leonardo vor vielen Jahren. Will heißen: Lasst mich arbeiten und haltet den Mund, ich weiß, was ich tue! Doch der Glaube, dass Leonardo nur alles richtig macht, störte einst nicht nur Tuchel. Der Deutsche kritisierte öffentlich die Personalpolitik seines Chefs und mutierte so zum Trainer auf Zeit, obwohl er in Paris bei Mannschaft und Fans äußerst beliebt war.

Dass Tuchel nur wenige Monate nach seiner Entlassung in Paris mit Chelsea die Champions League gewann und damit den größten PSG-Traum sich selbst erfüllte, war eine gehörige Klatsche für Leonardo. Wie eitel der Brasilianer ist, zeigte sich auch bei Milan, wo er ob seiner Erfolge als Spieler Legendenstatus genießt. Folgerichtig wurde er später Funktionär und Trainer, geräuschlos blieb es aber dort auch nicht.

Leonardo: "Narziss gefällt nur, was der Spiegel sagt"

2010 verließ er Milan, weil er nicht nach der Pfeife des allmächtigen Silvio Berlusconi tanzen wollte. "Leonardo war zu stur, das Team hat schlecht gespielt", sagte Berlusconi damals. Stur hieß im Umkehrschluss, dass Leonardo für die Aufstellungsvorschläge seines Patrons nicht empfänglich war. Das Verhältnis wurde kompliziert und Leonardo ging.

Ausgerechnet zum Erzrivalen Inter, wo Eigner Massimo Moratti die Gunst der Stunde erkannte und den eitlen Brasilianer holte, um seinem Widersacher eins auszuwischen. Monate später sagte Leonardo über Berlusconi: "Narziss gefällt nur, was der Spiegel sagt."

Narziss ist in der griechischen Mythologie ein schöner Jüngling, der die Liebe anderer zurückwies und sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte. Fragt sich nur, wen Leonardo gemeint hat - Berlusconi oder sich selbst.